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Krank durch Knabbern

Ute Mader / Rafael Heiling10. Dezember 2002

Ein Stoff kann Lebkuchen-Bäckern und Pommes-Buden das Weihnachtsgeschäft versalzen: Acrylamid. Für Tiere ist es ungesund, soviel steht fest. Aber für Menschen? Die Wissenschaft forscht – für einige nicht schnell genug.

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Kartoffeln, Paprika, Fett - und ein umstrittenes NebenproduktBild: Bilderbox

Fast alles, was gebacken, gebraten oder frittiert wird, enthält Acrylamid. Das hat das Verbraucherministerium bei einem Test an 1000 Produkten herausgefunden. Acrylamid ist ein Stoff, der sich bei Tieren als krebserregend herausgestellt hat. Auch für den Menschen kann es gesundheitsgefährdend sein. Schwedische Wissenschaftler fanden die Verbindung im April 2002 in Lebensmitteln und schlugen Alarm. Acrylamid ist aber nichts, was böswillige Hersteller in den Teig tun – es entsteht auf natürliche Weise, wenn Stärke, eine Aminosäure und bestimmte Zucker zusammenkommen. In Knäckebrot, Pommes Frites und Weihnachtsplätzchen. Auch in Babykost.

Zu wenig Wissen für ein Verbot

Dass man das Risiko eindämmen muss, darüber sind sich alle einig. Über die Strategie dagegen nicht. Die Verbraucherorganisation Foodwatch verlangt vom Bundesministerium, konkrete Produkte und ihre Acrylamid-Werte zu nennen. Verbraucherministerin Renate Künast will damit aber erst mal warten. "Das Ganze ist erst rechtlich wasserdicht, wenn wir mehr Daten haben", erklärt ihre Sprecherin Sabine Kolloge gegenüber DW-WORLD. Bisher reiche die Basis aber nicht, um die Wirkung von Acrylamid so sicher zu beweisen, "dass wir nicht mit Schadenersatzklagen der Unternehmen überzogen werden." Aus dem gleichen Grund gebe es noch keine verbindlichen Grenzwerte – ohne die darf man keine Produkte verbieten. "Aber die Ministerin ist fest entschlossen, das Verbraucherinformationsgesetz auf Bundesebene wieder einzubringen". Das sehe vor, Belastungswerte auch zu veröffentlichen, wenn es noch keine festen Beweise gibt. In Nordrhein-Westfalen ist das bereits erlaubt.

Stattdessen verfolgt der Bund eine Minimierungsstrategie. Alle zwei Monate werden Produkte getestet – die zehn Prozent mit den höchsten Acrylamid-Werten werden notiert und ihre Hersteller aufgefordert, die Belastung zu senken. Darum kümmern sich die einzelnen Bundesländer. Die Firmen kooperieren und setzen selbst alles daran, weniger Acrylamid zu verursachen, berichtet Sabine Kolloge.

Das Problem der Stärke

Außerdem wird geforscht, was das Zeug hält. Man weiß, dass Acrylamid vier Dinge braucht: Stärke, eine Aminosäure namens Asparagin, Glucose oder Fruchtzucker - und Hitze, weshalb Verbraucherministerin Künast die Devise ausgab: "Vergolden statt verkohlen". Einige Anbieter verkünden gegenüber DW-WORLD erste Erfolge. Die Hersteller von Kartoffelchips hätten schon eine Senkung der Acrylamid-Werte um 15 Prozent erreicht, berichtet Klaus Reingen, Hauptgeschäftsführer des Bundesverbandes der Süßwarenindustrie. Und Eva Maria Haas, Pressesprecherin von McDonald’s, erklärt, man brate nun mit 168 Grad Celsius – noch unter dem bisherigen Richtwert von 175 Grad. Fleisch enthalte allerdings keine Stärke und bilde also kein Acrylamid, sagt Prof. Reinhard Matissek, Leiter des Lebensmittelchemischen Labors in Köln, auf Anfrage der DW-WORLD.

Forschen ohne Panik

Er weiß: In Sachen Acrylamid hören die Überraschungen nicht auf. Die neueste Erkenntnis: "Bei Temperaturen über 180 Grad verschwindet das Acrylamid wieder." Allerdings nur, betont der Professor, wenn man "sekundenlang" erhitzt.

Zwar drängt die Zeit, aber überstürzen wollen die Verantwortlichen nichts. "Es ist ja niemand akut in Lebensgefahr", sagt Ministeriumssprecherin Sabine Kolloge. "Und in den anderen EU-Ländern wird auch bloß geforscht und abgewartet." Auch Prof. Matissek findet: "Hysterie ist nicht angesagt."

Mit Technikänderungen allein könne man dem Problem nicht beikommen. "Man sucht neue Sorten von Kartoffeln und Getreide, die weniger Asparagin enthalten." Das brauche Zeit. "Aber wenn das alles einfach wäre, wäre es längst gelöst."