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Was vom Mythos übrig bleibt

26. November 2010

Lawrence von Arabien wird oft als europäisches Genie dargestellt, das in den Nahen Osten aufbricht und dort Weltgeschichte schreibt. Eine Ausstellung in Oldenburg will herausfinden, was dran ist an diesem Mythos.

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Hauptdarsteller Peter O'Toole, rechts, als T.E. Lawrence und Nebendarsteller Omar Sharif als Scheich Sherif Ali in dem Film "Lawrence of Arabien" auf einem Szenenfoto von 1962.(Foto: AP)
Lawrence im Film...Bild: AP

Es war einer der erfolgreichsten Filme seiner Zeit. 1962 kommt das Orientepos "Lawrence von Arabien" in die Kinos, mit Peter O’Toole in der Hauptrolle, dazu Omar Sharif, Anthony Quinn, Alec Guiness, die besten und erfolgreichsten Schauspieler dieser Epoche. Damit wird "Lawrence von Arabien" schlagartig berühmt; kein anderer Film hat die Wüste in so bezaubernd schönen Bildern ins Kino geholt. Der Film begründete den Mythos eines Helden, der in Wirklichkeit umstritten war und auch verachtet wurde. Der wahre T.E. Lawrence, der zwischen persönlicher Schüchternheit und medialem Größenwahn schwankte, wurde so unsterblich.

Selbst gemachter Mythos

Ein Intellektueller, der ganz ohne Zweifel aus seiner Zeit herausragte. 1888 in Oxford geboren, Orientalist, Soldat, Archäologe und Schriftsteller, der sich wie ein heutiger Popstar immer wieder neu inszeniert hat und seinen eigenen Mythos schuf. Selbst der aristokratisch anmutende Titel "Lawrence von Arabien" stammt von ihm. Nach seiner Rückkehr aus dem Ersten Weltkrieg tingelte Lawrence sogar mit einer aufwändig inszenierten Diashow durch Europa.

Der britische Diplomat, Schriftsteller und Archäologe Thomas Edward Lawrence in einer zeitgenössischen Aufnahme (Foto: dpa)
...und Thomas Edward Lawrence im OriginalBild: picture-alliance / dpa

Er schrieb seine Lebenserinnerungen, "Die Sieben Säulen der Weisheit – ein Triumph". Doch er blieb in problematische Erscheinung. "Im Allgemeinen ziehe ich Lügen der Wahrheit vor, besonders wenn es um mich geht", schreibt er. Wie geht man mit einer solchen Person um, die für die historische Wirklichkeit nur ein Schulterzucken übrig hat? Diese Frage stellt sich jetzt in Oldenburg, wo die erste Lawrence-Ausstellung auf dem Kontinent - "Genese eines Mythos" - noch bis Ende März zu besichtigen ist.

Nippes gegen Wahrheit

Kurator Detlef Hoffmann findet Lawrence problematischen Umgang mit der Wahrheit nicht schlimm: "Das war ja eine seiner Neigungen, die Dinge immer neu zu erzählen. Nicht nur Bernard Shaw, sondern auch andere waren fest überzeugt, dass er wie ein Schauspieler oder wie ein Dichter mit dem Erfahrenen poetisch umging. Sie haben ihm das überhaupt nicht als Lüge angekreidet, sondern als eine schillernde Darstellung. So entstehen Mythen."

Vielleicht. Aber das klingt auch reichlich naiv. Kann man Lawrence allen Ernstes heute noch eins zu eins ausstellen und sich fast jungenhaft an seinen Abenteuern berauschen? Oder müsste man dem Schauspieler und Hochstapler Lawrence nicht näher auf die Pelle rücken, seine überaus problematische Rolle für das europäisch-arabische Verhältnis in neuem Licht sehen?

Blick in die Ausstellung "Genese eines Mythos" im Landesmuseum Natur und Mensch Oldenburg (Foto: DW)
Blick in die Ausstellung...Bild: Landesmuseum Natur und Mensch Oldenburg

Während sich Kurator Hoffmann an all dem Nippes erfreut, die eine biographische Ausstellung auffahren kann, vertritt der engagierte und umsichtige Projektleiter der Lawrence-Ausstellung, der aus Syrien stammende Direktor des Oldenburger Museums, Mamoun Fansa, die entgegen gesetzte Position. Die Ausstellung solle weder einen neuen Mythos entstehen lassen noch den alten Mythos lebendig machen. "Das ist mein Ziel. Ich will Lawrence als Projektionsfläche haben, um die Geschichte des Nahen Ostens darzustellen", sagt er.

Biographische Devotionalienschau

Es muss mächtig geknirscht haben zwischen dem Kurator Hoffmann und Projektleiter Fansa, das konnte man schon in der Pressekonferenz deutlich spüren. Die Ausstellung ist eine biographische Devotionalienschau. Sie trägt eindeutig die Handschrift des Kurators Hoffmann, und der betreibt unkritisch-schwärmerische Hagiographie. Sie beginnt mit unendlich vielen, auf Plakatgröße aufgemotzten Comic-Strip-Bildern, die ganze Wände einnehmen, dann wird Lawrence Leben in aller Breite ausgewalzt. Gemälde, ein paar Waffen, der lammfellbezogene Schreibsessel des Helden und ein Motorrad des Typs, mit dem Lawrence 1935 tödlich verunglückte. Erklärt wird nichts, aussagekräftig ist nichts davon.

Blick in die Ausstellung "Genese eines Mythos" im Landesmuseum Natur und Mensch Oldenburg (Foto: DW)
...in der vor allem Lawrence-Devotionalien gezeigt werdenBild: Landesmuseum Natur und Mensch Oldenburg

Der "Mythos" Lawrence wird in dieser brav-biederen museumspädagogischen Schau, die sich der Kurator selbst geschenkt hat, nirgendwo belegt. Dabei gäbe es doch so viel zu erzählen. Lawrence war tatsächlich an der Entstehung des Nahen Ostens beteiligt – wenn auch in weit geringerem Maße als oft behauptet. Er spielte eine Rolle bei der Arabischen Revolution, dem Aufstand der Araber gegen die Türken. Doch in der arabischen Welt gilt Lawrence heute als Verräter, als einer, der die Wut auf den Westen schürt.

Als Lawrence die Araber zur Revolte anstachelte, wusste er bereits, dass sich England und Frankreich den Nahen Osten längst aufgeteilt hatten, nach dem Syke-Picot-Abkommen von 1917. Die Araber wurden instrumentalisiert, Lawrence gilt bei ihnen als Spion und Verräter. Diese Sicht ist von arabischen Historikern gerade in den letzten Jahren ausgegraben und belegt worden. In Oldenburg ist auch davon nichts zu sehen. Schade. Denn das Museum für Mensch und Natur in Oldenburg hat sich unter der Leitung von Mamoun Fansa in den letzten Jahren mit hervorragenden internationalen Ausstellungen zur Orient-Okzident-Problematik einen Namen gemacht.

Autor: Dr. Werner Bloch

Redaktion: Marlis Schaum