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Krawalle in Tunis trotz Ausgangssperre

13. Januar 2011

Die Proteste in Tunesien rütteln an der Machtbasis von Präsident Zine el Abidine Ben Ali. Aus verschiedenen Landesteilen wurden wieder Krawalle gemeldet - auch aus der Hauptstadt Tunis.

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Krawall in Tunesien (Foto: dpa)
Proteste, Krawalle - schon in etlichen Orten TunesiensBild: picture-alliance/dpa

Seit Wochen schon protestieren überwiegend jugendliche Tunesier gegen Arbeitslosigkeit, Korruption und die ungerechte Verteilung der Reichtümer des Landes. Was als sozialer Protest begann, entwickelt sich immer deutlicher zu einer Massenbewegung, die sich auch gegen die politische Unterdrückung durch das Regime richtet.

Die Lage verschärft sich...

...von Tag zu Tag: Aus immer mehr Landesteilen werden immer neue Todesopfer gemeldet - und mittlerweile ist auch die Hauptstadt Tunis von den schwersten Unruhen seit Jahrzehnten betroffen: Dort wurde nach heftigen Straßenschlachten zwischen der Polizei und Demonstranten eine nächtliche Ausgangssperre verhängt, in den Straßen patrouillierten Soldaten. Doch trotz dieser Ausgangssperre kam es auch in der Nacht zum Donnerstag (13.01.2011) in Tunis zu schweren Krawallen. Nach Augenzeugenberichten starb dabei ein 25-Jähriger. Ihm sei bei den Auseinandersetzungen mit der Polizei in einem Vorort von Tunis in den Kopf geschossen worden.

Nach Angaben der Internationalen Menschenrechtsliga in Paris sind in den vergangenen Tagen landesweit bislang 66 Menschen getötet worden. Die Regierung räumte zuletzt den Tod von 21 Menschen ein.

Gepanzertes Fahrzeug (Foto: AP)
Die Regierung in Tunis will die Proteste eindämmen - und lässt Panzer auffahrenBild: AP

Autoritärer Herrscher und Partner des Westens

Der Aufstand der Jugend - und damit der Bevölkerungsmehrheit Tunesiens - wird dadurch zu einer ernsthaften Herausforderung für den Machtapparat von Präsident Zine el Abidine Ben Ali, der das Land seit seiner Machtergreifung vor 23 Jahren mit eiserner Faust regiert und oppositionelle Kräfte konsequent unterdrückt. Er hat dabei immer auch auf stillschweigende Unterstützung westlicher Staaten rechnen können, die in ihm einen verlässlichen säkularen Partner und eine Art Bollwerk gegen den radikalen Islamismus in der Region sehen.

Ben Ali reagiert inzwischen in einer Form, die viele Beobachter durchaus erstaunt: Anfang der Woche versprach er vollmundig 300.000 neue Jobs. Am Mittwoch entließ er den Innenminister des Landes. Und Ben Ali kündigte die Freilassung von zahlreichen Demonstranten an. Ob es ihm mit diesen Maßnahmen gelingen wird, die Lage unter Kontrolle zu bekommen, bleibt abzuwarten.

Noch bezweifeln politische Beobachter, dass die Unruhen sein autoritäres Herrschaftssystem ernsthaft gefährden könnten. "Es wäre vermessen, zum derzeitigen Zeitpunkt schon das Ende der Regierung Ben Alis anzukündigen", meint beispielsweise Hardy Ostry, Maghreb-Experte der Konrad-Adenauer-Stiftung. Er verweist darauf, dass die Machthaber in Tunesien und anderen Ländern der Maghreb-Region schon viele soziale Protestbewegungen überstanden hätten.

Kein tunesischer Lech Walesa in Sicht

Ausgebrannte Bank (Foto: AP)
In Brand gesetzt: Bankfiliale in einem Vorort von TunisBild: AP

Auffällig ist, dass die Proteste bisher keinerlei treibende Führungspersönlichkeit hervorgebracht haben. Einen tunesischen Lech Walesa sucht man in den chaotischen Wirren dieser Tage vergeblich. Die Demonstranten sind dank Handy und Internet zwar offensichtlich sehr gut vernetzt, aber eine einheitliche Organisations- oder gar Kommandostruktur ist nicht erkennbar. Experte Ostry erklärt dies mit der jahrzehntelangen Unterdrückung oppositioneller Kräfte: "Es gibt keine Opposition, weil die Opposition marginalisiert und gespalten ist." Zwar habe es in der Vergangenheit immer wieder Allianzen von Sozialisten und moderaten Islamisten gegeben. "Aber wie in der gesamten Region halten diese Allianzen nicht sehr lange, sie sind punktuell."

Auch der tunesische Beobachter Slim Boukhdhir kann sich bisher nicht vorstellen, dass Tunesien auf eine grundlegende Veränderung der Machtverhältnisse zusteuert. "Die Proteste dort werden ja nicht von einer Opposition gesteuert, wie das in den meisten Ländern Osteuropas der Fall war." Vielmehr lebe die Hälfte aller oppositionellen Kräfte im Ausland und habe nur wenig Einfluss auf das Geschehen vor Ort. "Die Regierung behält damit das Heft des Handelns in der Hand." Der Opposition mangele es zudem auch an politischer Einigkeit, meint der Experte. "Sie hat deshalb keine Möglichkeiten, tatsächlichen Einfluss auf die Proteste zu nehmen."

Opposition aus dem Inneren des Machtapparats?

Zine el Abidine Ben Ali (Foto: AP)
Mächtig und umstritten: Staatschef Ben AliBild: AP

Zum derzeitigen Zeitpunkt habe Ben Ali durchaus noch Chancen, die Lage zu deeskalieren, meint der deutsche Maghreb-Experte Ostry. Schließlich regierten der Präsident und sein Clan das Land nicht wirklich alleine - vielmehr könnten sie sich auf den Rückhalt der Militärs und der Regierungspartei verlassen. "Auch war es bisher in Tunesien immer so, dass man am Ende schlau genug war, die Situation rechtzeitig zu erkennen und zu analysieren", so Ostry.

Bleibt die Frage, ob aus den Reihen des Machtapparats eine Alternative zu Ben Ali erwachsen könnte - immerhin hatte sich der General vor 23 Jahren selbst durch eine politische Intrige innerhalb des Machtapparats an die Staatsspitze gebracht. Doch bisher hat sich auch in Partei und Militär niemand erkennbar als politische Alternative zu Ben Ali profilieren können.

Autor: Loay Mudhoon
Redaktion: Christian Walz