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Fotograf erinnert an ehemaliges Jugoslawien

Jan Tomes mr
24. März 2017

Zwei Alphabete, drei Sprachen, vier Religionen, fünf Nationalitäten und sechs Republiken - so beschreibt Borko Vukosav seine Heimat. Jugoslawien existiert nicht mehr, doch seine Fotos erinnern an dessen Geschichte.

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Ausstellung Borko Vukosav Fotografien Jugoslawien
Bild: Borko Vukosav

Fragt man Borko Vukosav nach seiner Fotoarbeit, antwortet er, dass die Bilder aus reiner Neugierde entstanden seien. "Es war wichtig für mich, diese Ära zu dokumentieren. Ich hatte das Gefühl, dass es da einen Teil der Geschichte gibt, den niemand anfassen will", erklärt Vukosav seine noch nicht abgeschlossene Serie "Used to Be" ("Was einmal war"). Sie fängt die Hinterlassenschaften eines der wagemutigsten politischen Projekte des 20. Jahrhunderts ein: das ehemalige Jugoslawien - heute nach Kalten Krieg und einem Jahrzehnte andauernden Zerfallsprozess mit mehreren Bürgerkriegen erheblich zerstört.

"Die Motivation für diese Arbeit liegt nicht darin, alte Schulden mit einem Land zu begleichen, welches nicht mehr existiert. Ich bin an einem historischen Dialog interessiert, den momentan offenbar niemand sonst führen möchte", sagt Vukosav, macht aber im Interview mit der DW deutlich, durchaus auch eine persönliche Motivation zu haben.

DW: Wie haben Sie Ihre Kindheit in Jugoslawien in Erinnerung?

Borko Vukosav: Ich wurde 1984 geboren, sieben Jahre vor den Bürgerkriegen. Ich war ein Kind, und ich liebte das Land. Wie konnte ich nicht? Schließlich machte uns die Propaganda weis, dass Jugoslawien das beste Land der Welt sei. Alles war perfekt und die Sonne schien. Wir wussten nichts von den politischen Problemen, und doch spürten wir, dass sich die Zeiten änderten. Ich gehörte zum Beispiel zu den ersten Schülern, die nicht der Vereinigung der Pioniere beitreten mussten. Aber es gab kein Internet, die staatlichen Nachrichten waren die einzige Informationsquelle. Meine Gefühle gegenüber dem Land waren unbestimmt, aber sehr positiv.

Erinnern Sie sich an den Moment, als sich alles änderte?

Kroatischer Fotograf Borko Vukosav
"Plötzlich waren wir die Feinde unserer Nachbarn" - Fotograf Borko VukosavBild: M. Paulenka

Ich ging eines Morgens raus, um Fußball zu spielen - das war im Jahr 1991. Ich sang ein Lied und traf einen Freund von mir. Er sagte: "Du darfst dieses Lied nicht mehr singen!" Ich fragte ihn, was er damit meinte - es war ein serbisches Volkslied. Und er antwortete nur: "Du bist Serbe!" Ich war sehr verwirrt, weil ich nicht wusste, was ein Serbe ist, ich war ja geborener Jugoslawe. Als ich nach Hause kam, sagte meine Mutter nur "vergiss es". Aber so begann der Krieg für mich.

Warum dachte er, Sie seien Serbe?

Wegen meines Nachnamens. Ich bin im kroatischen Dubrovnik geboren, meine Familie stammt aus der Gegend. Mein Name aber klingt serbisch, obwohl er seinen Ursprung tatsächlich in Montenegro hat. Als mein Urgroßvater von Montenegro nach Vojvodina in Serbien auswanderte, änderte er seinen Nachnamen, serbische Vorfahren haben wir aber keine. Als der Krieg ausbrach, wurden wir machte ein einfacher Regierungsbeschluss Serben aus uns. Plötzlich waren wir die Feinde unserer Freunde und Nachbarn. Mein Bruder und ich wurden ständig verprügelt und beschimpft, wir sollten in der Hölle schmoren. Sondereinsatzkräfte kamen zu unserem Haus, weil es in Kroatien den Plan gab, alle Serben ein für alle Mal auszurotten. Meine Mutter sagte mir immer, falls jemand nach meinem Nachnamen frage, solle ich einfach lügen.

War es möglich gegen diese Entscheidung zu protestieren?

Ja, aber meine Eltern identifizierten sich beide als Jugoslawen und waren sehr stolz auf diese Herkunft. Eine Beschwerde einzureichen, hätte ihnen das Gefühl gegeben, dagegen zu verstoßen.

Das klingt, als hätte Ihre Familie eine sehr positive Verbindung zu Jugoslawien gehabt.

Mein Vater war Philosoph, meine Mutter Mathe-Lehrerin. Sie liebten das Land, aber verehrten es nicht. Meine Großeltern hingegen waren Partisanen, die im Zweiten Weltkrieg gegen die Nazis gekämpft hatten. Sie alle glaubten an Jugoslawien - selbst mein Großvater, der als politischer Gefangener drei Jahre auf Goli otok (Anm. der Red.: Gefängnisinsel vor der kroatischen Küste) verbrachte.

Warum wurde er eingesperrt?

Kroatischer Fotograf Borko Vukosav
Vukosavs Fotoserie ist bis zum 23. April beim Format Festival in Derby zu sehenBild: M. Paulenka

Nach dem Zweiten Weltkrieg war es sehr leicht, jemanden für Spionage anzuschwärzen, eine effektive Art und Weise diese Person loszuwerden. Man konnte einfach behaupten, dass man jemanden hat schlecht über Tito reden hören und das war's dann. Goli otok war die Hölle auf Erden. Aber trotz dieser Erfahrung war mein Großvater immer noch loyaler Anhänger der Jugoslawien-Idee. Er sagte, es werde immer furchtbare Menschen geben, aber er glaubte an das Land als Ganzes.

Sind Sie während Ihrer Reisen auch auf Goli otok gewesen?

Ja, aber ich bin noch nicht bereit, diese Fotos zu zeigen. Ich glaube, ich muss mindestens noch einmal dort hin.

Wie fühlt es sich an, quer durch das ehemalige Jugoslawien zu reisen und all die verlassenen Orte zu besuchen?

Es ist eine seltsame, bizarre Erfahrung. Wenn man die Leute befragt, die nahe der Gebäude oder Orte leben, sagen sie, dass sie nichts darüber wüssten - als hätten sie nie existiert. Dann schaut man sich all diese architektonischen Wunder an, die für die politische Elite des Landes gebaut wurden oder die die Überlegenheit Jugoslawiens über andere Nationen repräsentieren sollten - und alles, was du siehst, sind Ruinen, umgeben von kompletter Stille. Es ist angsteinflößend, aber gleichzeitig auch passend, wie ich finde.

Wir, der Balkan, sind meiner Meinung nach nicht in der Lage einen konstruktiven Dialog über die Vergangenheit zu führen. Die Leute wollen nicht an ihr Versagen erinnert werden. An dem einen Tag hatten wir ein Land, am nächsten war es verschwunden. Warum? Wie? War alles eine Fälschung? Niemand weiß es.

Einen Teil der Fotoserie "Used to Be" von Borko Vukosav wird vom 24. März bis zum 23. April auf dem Format Festival in Derby, England zu sehen sein.