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Henning Mankell ist tot

Gaby Reucher5. Oktober 2015

Im Alter von 67 Jahren ist der schwedische Bestsellerautor Henning Mankell gestorben. Der politisch aktive Schriftsteller und Regisseur erlag einem Krebsleiden. Nicht nur Kommissar Wallander wird im Gedächtnis bleiben.

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Henning Mankell steht auf einem Feld
Bild: picture-alliance/dpa/B. Lindgren

Posthum über Henning Mankell zu schreiben, fällt nicht schwer, denn sein Leben liest sich im wahrsten Sinne des Wortes wie ein offenes Buch: "Ich will genau so schreiben, wie es ist. Über den schweren Kampf, den das immer bedeutet. Aber ich gedenke, aus der Perspektive des Lebens und nicht des Todes zu schreiben", verspricht der schwedische Autor in seinem ersten Krebs-Tagebucheintrag.

Henning Mankell hatte sich im Januar 2014 entschlossen, mit seiner Krankheit nicht nur ganz bewusst umzugehen, sondern seine Erfahrungen auch mit anderen zu teilen. Entstanden ist daraus auch sein letztes Buch "Treibsand", in dem der Krimi-Autor der eigenen Geschichte und der Geschichte der Menschheit nachgeht.

Sich alles von der Seele schreiben

Über alles, was ihm auf der Seele lag, hat Henning Mankell geschrieben und erzählt – in Romanen, Theaterstücken, in Tagebüchern, bei Vorträgen und auf seiner Homepage. Er hat berichtet von seiner Krankheit, von seinem Leben in Afrika und von seinen Erfahrungen als politischer Aktivist, etwa auf der Flotte, die 2010 die Blockade des Gazastreifens durchbrechen wollte. Umweltzerstörung, Korruption, und die sozialen Ungerechtigkeiten auf der Welt, das waren Themen, die ihn bewegten und die sich auch in seinen Romanen wiederfinden.

Portrait Henning Mankell
Mit seiner Krankheit ging Mankell offensiv umBild: picture-alliance/dpa/R. Vennenbernd

Auch die Flüchtlingsströme der jüngsten Zeit ließen den Autor nicht unberührt. Die Angst vor Flüchtlingen in Europa hielt er für übertrieben und meinte gegenüber der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung", dass es geheuchelt sei zu sagen, wir würden "von Flüchtlingen geflutet". "Das werden wir nicht. Wir leben in einer Welt von Flüchtlingen, so ist es eben." Die aktuelle Lage sei erst der Anfang: "Wir werden bald die Klimaflüchtlinge kommen sehen", sagte Mankell und ahnte schon, dass er das selbst wegen seiner Krankheit nicht mehr erleben würde.

Mankells große Liebe: Afrika

Geboren wurde der schwedische Schriftsteller und Regisseur am 3. Februar 1948 in Stockholm. Bald zog die Familie in die Provinz nach Sveg. Henning Mankell wuchs bei seinem Vater, einem Richter, auf. Schon als Junge hörte er gerne den Diskussionen über Kriminalität und Strafrecht zu. Mit 16 trieb es ihn in die Ferne. Er verließ die Schule und ging zur Marine. Zurück in Stockholm arbeitete er als Bühnenhelfer und begann dann 1968 seine Karriere als Regisseur und Autor.

Teatro Avenida Henning Mankell Theater in Maputo
Eingangshalle des "Teatro Avenida" in MosambikBild: picture-alliance/dpa/B. Pedersen

Wenn Henning Mankell in Vorträgen von seiner Kindheit sprach, dann war auf jeden Fall von seiner frühen Liebe zu Afrika die Rede. Doch erst Anfang der 1970er Jahre bereiste er den Kontinent seiner Träume. "Ich erinnere mich noch heute an jenen Morgen, an dem ich in aller Herrgottsfrühe in einem westafrikanischen Land aus dem Flugzeug stieg. Sofort überfielen mich diese Düfte, die Afrika ausmachen. Verlockende, beängstigende, bittere, süße, verführerische, magische, träumerische Düfte."

Als er 1985 gebeten wurde, eine professionelle Theatergruppe in Mosambiks Hauptstadt Maputo aufzubauen, ließ er sich mit Leib und Seele auf diese Lebensaufgabe ein und gründete das "Teatro Avenida". "Nun stehe ich sozusagen ziemlich breitbeinig da, mit dem einen Fuß im Schnee und dem anderen im Sand. Wenn man versuchen will, Einfluss zu nehmen auf die heutige Zeit, dann ist, so glaube ich wenigstens, eine gewisse doppelte Optik notwendig." Aus der doppelten Optik heraus versuchte Mankell immer wieder in der Wohlstandsgesellschaft Westeuropas ein Verständnis für den Kontinent Afrika, für seine Geschichte, seine verschiedenen Kulturen und sozialen Probleme zu wecken.

Freundschaft mit Schlingensief

Bis zu seiner Krankheit verbrachte Henning Mankell die Hälfte des Jahres in Maputo, die andere Hälfte in seiner schwedischen Heimat. Durch den Bau des Theaters entwickelte sich auch eine tiefe Freundschaft zu dem deutschen Regisseur Christoph Schlingensief, der ein Operndorf in Burkina Faso errichtete. "Christoph war ein sehr guter Freund. Er starb an der gleichen Krebsart, die auch ich habe. Er hat mit der Krankheit noch mehrere Jahre gelebt, und in dieser Zeit, die ihm blieb, viel gearbeitet, vieles angestoßen und bewegt. Ich werde versuchen, es wie Christoph zu machen" sagte Mankell im Herbst 2014 der "Welt am Sonntag" in einem Interview.

Die sozialen Missstände in Afrika haben Henning Mankell zu vielen Romanen inspiriert. So schrieb er 1995 "Der Chronist der Winde", ein Roman über Straßenkinder. In "Die rote Antilope" erzählt er nach einer wahren Begebenheit die Geschichte eines Buschmannjungen, den ein schwedischer Forscher einfach mit in seine Heimat nimmt und als Forschungsobjekt betrachtet. In "Kennedys Hirn" prangert der Autor den Umgang mit afrikanischen Aidskranken an. 2003 erschien Mankells Roman "Tea-Bag", bei dem es um die illegale Parallelwelt von Einwanderern geht.

Burkina Faso Operndorf Außenansicht
Christoph Schlingensiefs Operndorf in Burkina FasoBild: picture-alliance/dpa/F. Schuh

Welterfolg: Kommissar Wallander

Am beliebtesten waren weltweit ohne Zweifel Mankells Romane um den mürrischen, unnahbaren Kommissar Wallander, die ab 1990 in Serie gingen. 1989 war Mankell für ein Jahr nach Schweden zurückgekehrt und bemerkte die zunehmende Fremdenfeindlichkeit in seiner Gesellschaft. "Daraufhin habe ich mich entschlossen, ein Buch über Rassismus zu schreiben." Einen Kriminalroman, denn Rassismus sei schließlich kriminell, erläuterte Mankell in einem Vortrag. Der Held seines Romans: Kurt Wallander. Der trinkt zu viel Alkohol, stürzt sich in seine Arbeit und hat Probleme mit Frauen, inklusive seiner Tochter Linda.

Er hat allerdings auch einen ausgezeichneten Spürsinn bei der Aufklärung von Kriminalfällen. Zuweilen ist er "ein Arschloch", wie Mankell sagte. Autobiografische Gemeinsamkeiten mit seinem Romanhelden gab er dennoch zu: Beide arbeiteten viel, liebten die Oper und hatten dasselbe Geburtsjahr. Allein die Wallander-Krimis erschienen bisher in 35 Sprachen, der Verkauf liegt bei über 40 Millionen Exemplaren weltweit. Darüber hinaus wurden Wallanders Geschichten mehrfach verfilmt, auch in Deutschland.

Berühmter Ermittler in der Literatur Kommissar Wallander
Kommissar Wallander wurde auch als Filmfigur berühmtBild: Mary Evans Picture Library

Was weniger bekannt ist: Henning Mankell hat auch zahlreiche Kinder- und Jugendbücher geschrieben. Für das Buch "Der Hund, der unterwegs zu einem Stern war", erhielt er 1993 den deutschen Jugendbuchpreis. Wie überhaupt viele seiner Werke mehrfach preisgekrönt sind.

Dank Chemotherapie und guter Ärzte konnte Henning Mankell seine Krankheit zwar nicht besiegen, aber Anfang des Jahres schien er den Lungenkrebs vorläufig im Griff zu haben. Im Bewusstsein, dass er kein sehr hohes Alter erreichen würde, ging er wieder auf Reisen, machte sich an ein neues Buch und erfüllte sich – wie so oft in seinem Leben – einen Traum: In seiner Wahlheimat Mosambik inszenierte er noch vor seinem Tod Shakespeares Hamlet. Einen afrikanischen Hamlet, versteht sich.