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Krise in Bolivien spitzt sich zu

Vera Möller-Holtkamp / (ana)1. Juni 2005

Die Proteste in La Paz gegen die Energiepolitik der bolivianischen Regierung halten an. Schon lange schwelt der Konflikt zwischen dem armen Westen und dem wohlhabenden Osten.

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Kokabauern protestieren in La PazBild: AP

In Bolivien spitzt sich die innenpolitische Krise weiter zu. Erneut kam es in der Hauptstadt La Paz zu Ausschreitungen. Die Polizei ging mit Tränengas und Wasserwerfen gegen Demonstranten vor, die zuvor Dynamitstangen in ihre Richtung geschleudert hatten. Regierungsminister Saúl Lara widersprach Berichten, wonach die Lage außer Kontrolle sei.

Droht ein Auseinanderbrechen Boliviens?

Zuvor hatten am Dienstag (31.5.) zehntausende Menschen vor dem Kongress erneut gegen die Energiepolitik von Präsident Carlos Mesa protestiert. Damit verhinderten sie eine Parlamentsdebatte über Autonomiebestrebungen wohlhabender Provinzen wie Santa Cruz, in denen das Erdgas von multinationalen Konzernen gefördert wird. Im argentinischen Fernsehen wurde schon diskutiert, ob sich die Provinz Santa Cruz bei einer Abspaltung vielleicht Brasilien anschließen könnte. Das Militär hat Putschabsichten zwar dementiert, aber gedroht, es werde ein Auseinanderbrechen Boliviens nicht hinnehmen. Die Demonstranten forderten die Verstaatlichung der immensen Erdgasreserven, damit auch die armen Bürger vom Reichtum des Landes profitieren. Bolivien besitzt die zweitgrößten Gasvorkommen Lateinamerikas.

Ursachen des Konflikts

Demonstration für Präsident Carlos Mesa in La Paz Bolivien
Anhängerin von Carlos MesaBild: AP

Hintergrund der jüngsten Unruhen ist ein seit mehr als zwei Jahren schwelender Streit zwischen dem armen Westen des Landes und dem wohlhabenderen Osten. Stein des Anstoßes ist die Energiepolitik der Regierung. Der ehemalige Staatspräsident Gonzalo Sánchez de Lozada (1993-1997) hatte kurz vor dem Ende seiner Amtszeit per Dekret die Privatisierung der Erdgas- und Erdölindustrie verfügt, um ausländische Investitionen ins Land zu locken. Da die Förderung von Gas im Andenstaat sehr teuer ist, braucht Bolivien ausländisches Kapital.

Vor allem Bauern, Gewerkschaften und die Indiobewegung werfen der Regierung einen "Ausverkauf nationalen Reichtums an die USA" vor. Die Regierung Mesa hat reagiert und jüngst eine einheitliche Besteuerung der Öl- und Gasförderung beschlossen, um die Protestbewegung zu beschwichtigen. 18 Prozent Abgaben und 32 Prozent Steuern sollten inländische und ausländische Unternehmen in Zukunft zahlen.

Präsident Mesa mit dem Rücken zur Wand

Die Protestbewegung misstraut der Regierung. Sie fürchtet, dass die Unternehmen einen Weg finden werden, die Steuern abzusetzen, dass sie letztlich nur 18 Prozent zahlen werden. Außerdem glauben sie, dass die Ausländer dem Land die Ressourcen entziehen, ohne dass die Bevölkerung davon profitiert. Die Forderung der Demonstranten ist radikal. Sie wollen die Verstaatlichung der Gas- und Ölförderungen und den Rücktritt der Regierung.

Evo Morales
Der bolivianische Oppositionsführer Evo MoralesBild: dpa

Präsident Carlos Mesa will dem Druck der Straße nicht nachgeben. Er hat erklärt, er werde auf keinen Fall zurücktreten und planmäßig bis 2007 an der Regierung bleiben. Mesa selbst war 2003 als Vizepräsident in das Präsidentenamt gekommen, nachdem sein Vorgänger Sánchez de Lozada wegen der Massenproteste gegen die Energiepolitik zurückgetreten war. Lozada hatte einen Aufstand niedergeschlagen und galt danach nicht länger als präsidiabel.

Mesa war "letzte Karte"

Die Lage in Bolivien ist dramatisch", sagt der Bolivienexperte Bert Hoffman in einem Gespräch mit DW-WORLD. "Carlos Mesa steht heute da, wo Lozada 2003 aufgehört hat", so der Politikwissenschaftler vom Institut für Iberoamerika-Kunde in Hamburg. Nach der Einschätzung Hoffmans gibt es nur zwei Möglichkeiten: Entweder Carlos Mesa tritt zurück, trotz seines Bekundens, am Amt festhalten zu wollen. Oder er greift zur Politik der harten Hand, arbeitet mit Einschüchterung und Repression, um die Unruhen unter Kontrolle zu bringen.

"Der Vermittler Mesa war die letzte Karte", sagt Bert Hoffman. "Ich sehe keine Person in der bolivianischen politischen Klasse, die einen vergleichbaren Ruf als integerer Politiker genießt."

Protestbewegung und indigenes Selbstverständnis

Der bolivianische Präsident Carlos Mesa, Porträt
Der bolivianische Präsident Carlos MesaBild: AP

Die Protestbewegung, die von Evo Morales angeführt wird, sähe ihn, den Gewerkschaftler der Kokabauern, gerne als Präsidenten. Er ist ein Indio, wie 70 Prozent der bolivianischen Bevölkerung. Die Arbeiterbewegung um den Koka-Anbau ist Bert Hoffmann aber nicht geheuer. Wenn Morales an die Macht käme, würden die bolivianische Oberschicht und die ausländischen Investoren, das Land verloren geben, betont Bolivien-Experte Hoffman.