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Krisengipfel im Kanzleramt

20. November 2006

Im Kanzleramt ist über den Umgang mit Restitutionsansprüchen auf so genannte NS-Raubkunst beraten worden. Die Museen kritisieren, dass es oft weniger um späte Gerechtigkeit, als um satte Gewinne geht.

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Das Gemälde 'Berliner Straßenszene' von Ernst Ludwig Kirchner
Zurückgegeben und versteigert: Das Gemälde 'Berliner Straßenszene' von Ernst Ludwig KirchnerBild: AP

In deutschen Museen ist derzeit die Aufregung groß: Die Rückgabe des Gemäldes "Berliner Straßenszene" des expressionistischen Malers Ernst Ludwig Kirchner an die Erben des jüdischen Kunstsammlers Alfred Hess hat die Kunstszene in Alarmbereitschaft versetzt. Das Bild, das bis zum Sommer im Berliner Brücke-Museum zu sehen war, ist in der vergangenen Woche in New York von den Erben für einen Preis von 38 Millionen Dollar versteigert worden. Und es war nicht das einzige: Etwa zehn Prozent der Werke, die zur Herbstauktion von Christie's unter den Hammer kamen, hatten Erben von Verfolgten der NS-Zeit als Restitutionsgüter von Kunsthäusern zurückerhalten.

Kulturstaatssekretär Bernd Neumann
Kulturstaatssekretär Bernd Neumann lud zum Krisengipfel ins KanzleramtBild: picture-alliance/ dpa

Experten rechnen für die Zukunft mit einer zunehmenden Zahl solcher Fälle. Es gibt Schätzungen, dass von deutschen Museen rund hundert prominente Werke insbesondere der klassischen Moderne zurückverlangt werden. Um eine gemeinsame Linie im Umgang mit Forderungen von Erben von NS-Opfern zu finden, sind am Montag (20.11.2006) Vertreter deutscher Museen mit Kulturstaatsminister Bernd Neumann und Experten im Kanzleramt zusammen gekommen.

Weitere Gespräche geplant

Neumann wollte sich in dem Gespräch zunächst einen Überblick über die Situation verschaffen. An das Treffen im Kanzleramt sollen sich eine Reihe weiterer Gespräche Neumanns mit der Jewish Claims Conference und anderer Opfer-Organisationen anschließen. Abschließende Entscheidungen seien aber noch nicht zu erwarten, sagte der stellvertretende Regierungssprecher Thomas Steg. Es gehe zunächst einmal um eine Verständigung und einen Interessenausgleich mit denen, die Ansprüche geltend machten.

Grundlage aller Rückgabeforderungen ist die "Washingtoner Erklärung" von 1998. Darin verpflichteten sich zahlreiche Staaten, darunter auch die Bundesrepublik, so genannte Restitutionsansprüche unbefristet zu akzeptieren und eine für alle Beteiligten gerechte und faire Lösung zu finden. Außerdem wurden Museumsrecherchen zur Herkunft und Identifikation zweifelhaften Kunstbesitzes zugesagt. Aus Finanz- und Personalmangel wurde die an vielen Häusern begonnene Provenienzforschung allerdings oft wieder eingestellt.

Florierendes Geschäft für Anwälte

Das 'Goldene Adele' genannte Gemälde von Gustav Klimt wurde 2006 für 135 Millionen Dollar versteigert
Das 'Goldene Adele' genannte Gemälde von Gustav Klimt wurde 2006 für 135 Millionen Dollar versteigertBild: DW_TV

Diese Rolle haben mittlerweile besonders bei spektakulären Fällen Anwälte übernommen - und ein florierendes Geschäftsfeld entdeckt. So erhielt der Anwalt der Erben von Gustav Klimts "Goldener Adele" 40 Prozent des dreistelligen Millionen-Erlöses. Es gilt in der Kunstszene als ausgemacht, dass die Erben ihre neu erworbenen Schätze meist schnell wieder verkaufen müssen, unter anderem, um die entstandenen Anwaltskosten aufzubringen.

Die deutschen Museen, die den Verlust wichtiger Kunstwerke befürchten, haben ein düsteres Bild gezeichnet. Rechtsanwälte, Sammler und Galeristen würden die Museen nach strittigen Fällen regelrecht durchforsten, so Martin Roth, der Generaldirektor der Staatlichen Kunstsammlungen in Dresden.

Kritik an Rückgabepraxis zurückgewiesen

Roth befürwortet daher eine zentrale Koordination, um die Ansprüche der Erben und die Funde der Museen zusammen zu tragen sowie einen öffentlichen "Feuerwehrfonds" für den Rückkauf betroffener Kunstwerke. Vor allem aber müsse der Herkunfstforschung an deutschen Museen ein höherer Stellenwert eingeräumt werden, so Roth. Die Museen sollten finanziell und personell so ausgestattet sein, dass sie von sich aus die Herkunft ihrer Bestände untersuchen können.

Die Kulturstiftung der Länder wies Kritik an der Rückgabepraxis indes zurück. Die Häuser gingen trotz der knappen Mittel verantwortungsvoll mit dem Thema um, so Isabell Pfeiffer-Poensgen, die Generalsekretärin der Stifung. Es werde sehr viel restituiert, ohne dass die Öffentlichkeit davon erfahre. (ba)