1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Krisengipfel mit Ungarns Premier Orban

3. September 2015

Erst ein Grenzzaun, dann eingekesselte Flüchtlinge in Budapest. Es gibt Gründe für die massive Kritik an Ungarns Umgang mit Flüchtlingen. Budapest sieht sich zu Unrecht am Pranger. Jetzt bittet Brüssel zum Gespräch.

https://p.dw.com/p/1GQKg
Ein Portrait von Ungarns Ministerpräsidenten Victor Orban vor ungarischen Nationalflaggen. (Foto: EPA/Szilard Koszticsak)
Bild: picture-alliance/dpa/S. Koszticsak

Ungarns Ministerpräsident Victor Orban wird an diesem Donnerstag zu Beratungen über die jüngste Zuspitzung der Flüchtlingskrise in Brüssel erwartet. Orban trifft dort zunächst EU-Parlamentspräsident Martin Schulz und im Anschluss Ratspräsident Donald Tusk. Auch ein Gespräch mit Kommissionschef Jean-Claude Juncker steht auf seinem Programm. Ungarn war in den vergangenen Wochen zu einem der Brennpunkte der europäischen Flüchtlingskrise geworden.

Das Land ließ am Montag überraschend tausende Flüchtlinge per Bahn nach Österreich und Deutschland weiterreisen. Die EU-Kommission bot an, Budapest bei der Einrichtung von Zentren zur Registrierung von Flüchtlingen zu unterstützen. Orban bittet nun bei seinem Brüssel-Besuch um Finanzhilfe für die Migrationskrise. Ungarn möchte nach Angaben der Kommission eine Nothilfe von acht Millionen Euro erhalten, um ankommende Flüchtlinge zu versorgen.

Mit Eilgesetzen gegen Flüchtlinge

Flüchtlinge versuchen durch den Stacheldrahtzaun an der ungarisch-seerbischen Grenze zu gelangen. (Foto: Matt Cardy/Getty Images)
Mit messerscharfen Klingen gegen Flüchtlinge: der ungarisch-serbische GrenzzaunBild: Getty Images/M. Cardy

Den Umgang des rechtskonservativen Ministerpräsidenten mit den aktuellen Flüchtlingsproblemen sieht Brüssel seit langem kritisch. An der Grenze zu Serbien, wo die meisten auf ihrer Durchreise herkommen, ließ die Regierung einen drei Meter hohen und 175 Kilometer langen Stacheldrahtzaun bauen, um Flüchtlinge von der unkontrollierten Einreise abzuhalten. Viele schaffen es trotzdem - allein am Dienstag überwanden ihn wieder mehr als 2000 Flüchtlinge. Viele von ihnen wollen von dort weiter in den Westen der EU reisen.

Auch innenpolitisch machte die Regierung mit einer aggressiven Plakatkampagne gegen die Migranten Stimmung. Um dem Flüchtlingsandrang Herr zu werden, strebt Budapest zusätzlich eine militärische Sicherung des Grenzsauns an, um illegale Grenzübertritte zu verhindern. Helfen sollen dabei 13 neue Eilgesetze, die bis Mitte September vom ungarischen Parlament beschlossen werden sollen.

Orban: "Verfehlte Einwanderungspolitik der EU"

In einem Gastbeitrag für die "Frankfurter Allgemeine Zeitung" warnte der ungarische Regierungschef angesichts der Flüchtlingskrise vor einer "Explosion" in ganz Europa. Er verteidigte den Bau des Grenzzauns. "Wer überrannt wird, kann niemanden aufnehmen". Der Ministerpräsident geißelte eine "verfehlte Einwanderungspolitik" der EU. "Jeder europäische Politiker ist verantwortungslos, der Einwanderern Hoffnungen auf ein besseres Leben macht und dazu ermuntert, alles zurückzulassen, um unter Einsatz ihres Lebens in Richtung Europa aufzubrechen", schreibt er. Unerlässlich sei der Schutz der Außengrenzen der EU. "Deshalb ist der Zaun, den wir Ungarn bauen, wichtig. Wir machen das nicht aus Spaß, sondern weil er notwendig ist." Es sei "ziemlich deprimierend, dass außer uns Ungarn - oder den Spaniern - niemand die Grenzen Europas beschützen will."

Orban fügte unter Hinweis auf die Demokratie hinzu: "Die Menschen wollen, dass wir Herr der Lage sind und unsere Grenzen schützen". Über jede andere Frage, so der ungarische Regierungschef weiter, "lohnt es sich nur dann zu sprechen, wenn die Flut aufgehalten worden ist." Es sei besorgniserregend, dass der europäische Gedanke auf dem Kontinent in die Minderheit gerate. Auch die christliche Kultur Europas sei "bereits kaum noch in der Lage, Europa in der eigenen christlichen Wertordnung zu halten".

Falscher Anreiz für Flüchtlinge

Zwischen den EU-Staaten brodelt es. Ungarns Premier hatte Berlin vorgeworfen, durch die faktische Aussetzung von Dublin den Flüchtlingsandrang verstärkt zu haben. Die deutschen Behörden hatten darauf hingewiesen, dass Flüchtlinge aus Syrien, die in Deutschland einträfen, vor dem Hintergrund des Bürgerkriegs in ihrer Heimat "mit hoher Wahrscheinlichkeit" den Status als Bürgerkriegsflüchtlinge erhalten würden. Die Regierungen der EU sollten sich "nicht gegenseitig bezichtigen", erwiderte Merkel am Dienstag nach einem Treffen mit ihrem spanischen Kollegen Mariano Rajoy in Berlin.

Durch die Krise verschärft sich der Ton zwischen den östlichen EU-Ländern und Berlin, Brüssel und Paris täglich. So unterstellte Tschechiens Ex-Präsident Vaclav Klaus der EU, sie wolle durch die unbegrenzte Aufnahme von Flüchtlingen "Suizid" begehen, dazu sage sein Land "entschieden Nein". Er reagierte damit auf Vorwürfe von Frankreichs Außenminister Laurent Fabius, der Widerstand der Osteuropäer gegen die Aufnahme von Flüchtlingen sei "skandalös".

Die Außenminister Lettlands, Litauens und der Slowakei erklärten jetzt der deutschen "Bild"-Zeitung, sie bleiben bei ihrer strikten Ablehnung verbindlicher Quoten für die Verteilung von Asylsuchenden in der EU. Die Flüchtlinge wollten schließlich nach Deutschland oder Schweden: "Quoten halten keine Migranten auf, sie verhindern nicht, dass sie in LKWs oder Schiffen umkommen", wird etwa der slowakische Außenminister Miroslaw Lajcak zitiert.

pab/sc (afp, dpa, kna, rtr)