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Politik

Kritik an Prozess um Nemzow-Mord

Roman Goncharenko
29. Juni 2017

Im Prozess um den Mord am russischen Oppositionspolitikers Boris Nemzow sprachen die Geschworenen die Angeklagten für schuldig. Nemzows Tochter hält den Fall trotzdem für ungelöst.

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Russland Gedenken an Boris Nemzow
Boris Nemzow wurde in der Nähe des Kreml ermordet Bild: picture-alliance/dpa/C. Thaler

Drei Tage und mehrere Anläufe brauchten die Geschworenen am militärischen Bezirksgericht in Moskau, um ihr Verdikt zu fällen. Am späten Donnerstagnachmittag waren sie so weit: Fünf junge Männer aus der russischen Teilrepublik Tschetschenien wurden schuldig gesprochen, den Oppositionspolitiker Boris Nemzow in Moskau ermordet zu haben.  

Der frühere Vize-Regierungschef unter Präsident Boris Jelzin starb, als er am 27. Februar 2015 kurz vor Mitternacht mit einer Begleiterin zu Fuß in der Moskauer Innenstadt unterwegs war. Der 55-Jährige wurde auf einer Brücke in Sichtweite des Kremls aus nächster Nähe erschossen. Nun werden die Richter das Strafmaß bestimmen. Anwälte der Angeklagten haben bereits angekündigt, in die Berufung zu gehen. Sie hatten den Mord zunächst gestanden und später ihre Aussagen widerrufen.    

Tochter und Weggefährte: Fall ungelöst      

Nemzow war ein erfahrener und einflussreicher Politiker in der außerparlamentarischen Opposition. Besonders nach der Annexion der Krim im Frühling 2014 war er einer der schärfsten Kritiker des russischen Präsidenten Wladimir Putin. 

Die Tochter des Ermordeten hält den Fall trotz des Schuldspruchs für ungelöst. "Auf der Anklagebank sitzen die unmittelbaren Täter", sagte Zhanna Nemzowa der DW. "Weder die Auftraggeber, noch das Motiv wurden festgestellt."    

Zhanna Nemtsova am Brandenburger Tor
Zhanna Nemzowa arbeitet als Journalistin in der DW Bild: DW/E. Dubnov

Auftraggeber soll laut Anklage Ruslan Muchudinow gewesen sein, ebenfalls ein Tschetschene. Nach ihm wird gefahndet und in einem separaten Verfahren weiter ermittelt, teilte am Donnerstag die Ermittlungsbehörde in Moskau mit. Laut Anklage soll Muchudinow den Tätern 15 Millionen russische Rubel für den Mord versprochen haben.  

Nemzows Tochter glaubt, die Ermordung ihres Vaters sei politisch motiviert und wirft der Ermittlungsbehörde und dem Gericht vor, "diese offensichtliche Tatsache" nicht anerkannt zu haben. Nach der Ermordung ihres Vaters hat Nemzowa aus Sicherheitsgründen Russland verlassen und arbeitet als Journalistin bei der DW. 

Auch der Oppositionspolitiker und Weggefährte Nemzows, Ilja Jaschin, hält den Mord für ungelöst, weil die Auftraggeber auf freiem Fuß sind. "Ich bin fast sicher, dass in diesen Fall hochrangige Mitarbeiter der Geheimdienste involviert sind", sagte Jaschin der DW.

Keine Vernehmung Kadyrows 

Der brisante Fall landete vor einem Militärgericht, weil der mutmaßliche Schütze, der 35-jährige Saur Dadajew, Offizier der sogenannten Internen Truppen des Innenministeriums war. Er diente im Bataillon "Sewer" ("Nord") in Tschetschenien. Diese Einheit ist in der Hauptstadt Grosny stationiert und soll russischen Medienberichten zufolge dem Anführer der russischen Teilrepublik im Nordkaukasus, Ramsan Kadyrow, persönlich treu sein. Auch der mutmaßliche Auftraggeber Muchudinow diente im Bataillon "Sewer".

Zhanna Nemzowa beantragte eine Vernehmung Kadyrows vor Gericht. Der tschetschenische Anführer sagte in einem Interview, er sei bereit, als Zeuge auszusagen. Doch das Gericht entschied sich gegen seine Vernehmung, was Nemzowa kritisiert. Es sei "keine vollständige Ermittlung, sondern eine Imitation" gewesen, schrieb sie auf Facebook nach dem Spruch der Geschworenen.

Europarat plant eigene Untersuchung 

Bald wird sich der Europarat mit dem Mord an Nemzow beschäftigen. Die Parlamentarische Versammlung des Europarats will den Fall nach der offiziellen Urteilsverkündung untersuchen, voraussichtlich im Herbst. Der Sonderbeauftragte in diesem Fall, Emanuelis Zingeris aus Litauen, sagte der DW, es handele sich um einen politischen Auftragsmord. Zu den geplanten parlamentarischen Anhörungen werde man führende Rechtsexperten einladen, auch aus Russland.