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Dylans Nobelpreisrede in der Kritik

Jochen Kürten
16. Juni 2017

Hat er abgeschrieben? Und wenn ja, warum hat er keine Quellen genannt? Nach den Plagiatsvorwürfen an Bob Dylan wiederholt sich in Deutschland eine Debatte, die vor sieben Jahren schon einmal stattfand.

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Bob Dylan mit Sonnenbrille
Bild: picture alliance/dpa/J.Lo Scalzo

Erinnern Sie sich? 2010 erschien in Deutschland der Roman "Axolotl Roadkill" der jungen Autorin Helene Hegemann. Das Buch der damals gerade 18-jährigen wurde überwiegend positiv aufgenommen, löste aber kurze Zeit später einen gehörigen Literatur-Skandal aus. Hegemann habe viele Passagen ihres Romans abgeschrieben - ohne die Quellen genannt zu haben, lautetet der Vorwurf von Journalisten und Literaturwissenschaftlern.

Das muss sich nun Bob Dylan vorwerfen lassen. Der Barde hatte seine Nobelpreisrede Anfang Juni, kurz vor Ablauf der vorgeschriebenen Frist, nach Stockholm geschickt. Die Rede, in schriftlicher wie musikalischer Form, war eine Verbeugung vor seinen musikalischen wie literarischen Vorbildern. Insbesondere Homer, Herman Melville und Erich Maria Remarque wurden dabei von Bob Dylan als Inspirationsquellen genannt.

Bob Dylan bediente sich einer Schülerhilfe für "Moby Dick"

Eine amerikanische Journalistin wollte es daraufhin genauer wissen. Andrea Pitzer war aufgefallen, dass etliche Passagen, die sich speziell auf den Romanklassiker "Moby Dick" von Melville bezogen, von Dylan in seiner Nobelpreisrede fast wortwörtlich zitiert worden sind - freilich ohne, dass die Quelle genannt wurde. Dylan habe, so Pitzer, rund 20 Sätze aus einer Online-Interpretationshilfe für Schüler und Studenten übernommen.

USA MusicCares Widmung für Bob Dylan
Bild: Getty Images/F. Harrison

Plagiat, Textdiebstahl, eines Literaturnobelpreisträgers unwürdig: Die Reaktionen auf Andrea Pitzers Coup waren zunächst überwiegend kritisch, das Erstaunen groß. Doch schnell entzündete sich in Deutschland eine Debatte, die stark an jene vor sieben Jahren in Folge des Helene-Hegemann-Romans erinnert.

"Er klaut, wo er's nur kriegen kann, und nach wie vor verschweigt er uns, wo er es geklaut hat", sagte beispielsweise der Literaturwissenschaftler und Dylan-Kenner Heinrich Detering in einem Rundfunkinterview, fügte jedoch gleichzeitig hinzu, dass man als Dylianer "Kummer mit Quellenangaben" gewohnt sei. Schließlich präzisierte Detering in dem Interview mit dem Deutschlandfunk: "Man muss hier, glaube ich, unterscheiden zwischen intellektueller Redlichkeit, an der er es hat mangeln lassen, und Kreativität." Dylan habe "auf der Grundlage von Mogelei etwas völlig Eigenständiges und Überraschendes geschaffen", so der Literaturwissenschaftler.

"Dylan weiß genau, was künstlerische Originalität ist."

Auch der Kommentator der Wochenzeitschrift "Die Zeit" nahm Dylan in Schutz: "In seiner Nobelpreisrede vermittelt er aber den Anschein, dass er recht genau weiß, was künstlerische Originalität gerade auch in Bereichen außerhalb einer Literatur klassischer Prägung ist."

Noch bevor in den USA die Plagiatsvorwürfe bekannt wurden, hatte der Kommentator der "Frankfurter Allgemeine Zeitung" geschrieben: "Wenn er eines seiner großen Vorbilder beschreibt, Melvilles 'Moby Dick', klingt das mitunter fast wie eine Zusammenfassung für Kinder." Damit hatte der Journalist, ohne von den Plagiatsvorwürfen Kenntnis zu haben, den Nagel auf den Kopf getroffen.

Helene Hegemann
Helene HegemannBild: picture-alliance/dpa/A. Burgi

Gerade darin liege aber auch der Schlüssel zum Verständnis von Bob Dylans Text- und Gesangskunst begründet, so der FAZ-Autor: "Everything is mixed in, (bei Hermann Melville und seinem Roman 'Moby Dick', Anmerk. der Red.), Highbrow, Lowbrow, Bibel und griechische Mythologie, Hindu-Mythen und britische Legenden." Dylan behaupte, dass der "Dichter nur ein Gefäß sei, durch das die Muse singt."

In Bob Dylans Nobelpreisrede, so könnte man konsequenterweise folgern, habe nun auch die Muse des Dichters gesprochen - und diese habe ihm eben die Textbausteine der Interpretationshilfe für Schüler und Studenten eingeflüstert.

Die Debatte um Bob Dylan erinnert an die um Helene Hegemann

Nach akademischen Ansprüchen mag das ein Frevel sein. Nicht jedoch im Sinne des Dichters und seiner Fans. Damit erinnert die Debatte um die Rede des Literaturnobelpreisträgers Bob Dylan an die Diskussion um den Roman von Helene Hegemann vor sieben Jahren.

"Axolotl Roadkill", die Geschichte eines 16-jährigen Mädchens in Berlin, die keine Lust zur Schule hat und stattdessen lieber durch die Clubs der Hauptstadt streift, hatte, so stellte sich später heraus, zahlreiche Passagen aus einem Text des Bloggers Airen übernommen. Diese und andere "geklaute" Textstellen fremder Autoren wurden dann in späteren Ausgaben des Buches deutlich gekennzeichnet und mit Quellenangaben versehen.

Buchcover Helene Hegemann: Axolotl Roadkill (Ullstein)
2010 erschien der umstrittene Roman von Helene Hegemann in Deutschland

Nach dem Erscheinen von "Axolotl Roadkill" hatte sich in Deutschland eine heftige Debatte um Autoren- und Urheberrechte entzündet. Zunächst hatten viele Kritiker an dem Vorgehen der Autorin heftige Kritik geübt und Hegemann ein dreistes Plagiat vorgeworfen. Vor allem auch, nachdem die Schriftstellerin ihr Vorgehen sogar noch offensiv verteidigt hatte: "Der Entstehungsprozeß (habe) mit diesem Jahrzehnt zu tun und den Vorgehensweisen dieses Jahrzehnts (...), also mit der Ablösung von diesem ganzen Urheberrechtsexzess durch das Recht zum Kopieren und zur Transformation," rechtfertigte sich Hegemann damals.

Das sahen freilich viele Kritiker anders. Hegemann habe sich schlichtweg "mit fremden Federn" geschmückt, hieß es. Doch nachdem der Verlag in den späteren Ausgaben des Buches die Quellenangaben sichtbar gemacht hatte, meldeten sich auch Stimmen, die die Autorin verteidigten. "Helene Hegemann macht (...) an keiner Stelle ihres Romans einen Hehl daraus, dass ihr Text auf Fremdtexte zurückgreift", nahm beispielsweise ein Journalist Hegemann in Schutz: "Sie zeigt offen, dass sie im Sinne einer Montageästhetik aus fremden Texten kopiert (...) Bei den Großen der Literatur gilt das verschleierte Zitat als Kunst."

So wird sicher auch Bob Dylan gedacht haben. Und auf dieses Argumentationsmuster berufen sich nun auch die Verteidiger des Sängers und Dichters. Einzig die Autorinnen und Autoren derjenigen Texte, die zumindest teilweise unfreiwillig Bausteine für Hegemann und Dylan geliefert haben, werden das vielleicht anders sehen.