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Studieren in Kuba

Grit Hofmann3. April 2014

Auf den ersten Blick wirkt es paradox, ausgerechnet im sozialistischen Kuba Wirtschaftswissenschaften zu studieren. Der 23-jährige Steffen Vogel aus Dresden sieht das anders.

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Steffen Vogel. Foto: Grit Hoffmann
Bild: Grit Hofmann

DW: Ein Semester im Ausland – es gibt populärere Ziele als Kuba, oder?

Steffen Vogel: Naja, es war im Vorfeld schon sehr schwierig. Ich musste viele Emails schreiben, Dokumente schicken, viel Warten. Auch auf das Visum - das dann doch nie gekommen ist. Letztlich musste ich mit einem Touristenvisum einreisen.

Seit September studierst du nun an der Universität Havanna. Was ist anders in Kuba?

Es ist viel verschulter. Ich sitze nicht in Vorlesungen mit 150 Studenten, sondern in Klassen mit 36. Die Klasse macht den ganzen Studiengang gemeinsam. Die Professoren kennen die Studenten, geben sogar mündliche Noten - was ich anfangs total crazy fand. Und anders als in Dresden gibt es hier eine Anwesenheitspflicht, in manchen Klassen sind die Sitzplätze sogar schon festgelegt.

Gab es Vorbehalte bei Freunden oder der Familie?

Ja, mein Opa etwa meinte: "In Kuba lernst du doch nichts Gescheites, geh lieber nach Brüssel oder London." Ich hab ihm dann einen Brief geschrieben und erklärt, dass ich genau deshalb hierher müsse, weil hier Dinge stattfinden, die bei uns übersehen werden. Etwa, wie der Sozialismus funktioniert oder eben nicht funktioniert.

Mir war gar nicht klar, welche Rechtfertigungen es noch dafür gibt. Und was die Revolution [1953-1959, Anm. d. Red.] geleistet hat: Es gibt heute eine Alphabetisierungsrate, die höher ist als in den USA, jeder kann schreiben und rechnen. Die Gesundheitsversorgung ist komplett kostenlos. Ich war selbst überrascht, als ich einmal im Krankenhaus weder Geld noch Versicherung brauchte. Die wollten nicht mal meinen Namen, haben mich nach der Behandlung einfach wieder heimgeschickt.

Du studierst Internationale Beziehungen in Dresden, warum belegst Du hier im sozialistischen Kuba ausgerechnet Wirtschaftskurse?

Dieses scheinbare Paradox hat mich gereizt. In Deutschland werden die Wirtschaftswissenschaften sehr kapitalistisch gelehrt. Man muss schon Glück haben, wenn überhaupt soziale Marktwirtschaft im Programm ist.

Viele meiner Professoren in Dresden sehen den Staat als Hindernis, sind immer auf der Suche nach diesem theoretischen Markgleichgewicht zwischen Angebot und Nachfrage. Wir rechnen seitenweise Gleichgewichtswerte aus, von denen jeder im Saal weiß, dass das in der Realität nie erreicht wird, weil Monopole, der Staat oder Abhängigkeiten vom Weltmarkt eine Rolle spielen, etwa in der Entwicklungspolitik.

Nehmen wir ein Land mit einem einfachen Landwirtschaftssektor. Bei uns in Dresden wird angenommen, dass sich daraufhin in den Städten fortschrittlichere Branchen entwickeln, wie Industrie oder der Finanzsektor, dass die Gewinne reinvestiert werden, der Finanzsektor wächst, die armen Bauern irgendwann in der Bank arbeiten. Aber es wird nie diskutiert, ob die Gewinne wirklich wieder reinvestiert werden, oder ob sie nicht eher in die Heimatzentralen multinationaler Konzerne zurückfließen. Es ist ein weltfremdes Modell, das zu unkritisch gelehrt wird.

Steffen Vogel vor der Universität in Havanna. Foto: Grit Hoffmann
Steffen Vogel vor der Universität in HavannaBild: Grit Hofmann

Und wie ist es in Kuba?

Hier lernen wir zwar auch diese kapitalistischen Modelle, aber die Annahmen werden diskutiert. Viele sehen, dass ein Marktgleichgewicht in Kuba nicht funktioniert, weil der Staat die Preise und die Wechselkurse festsetzt. Am Beispiel von Lateinamerika wird darüber gesprochen, dass der Kapitalismus nicht nur die höchsten Renditen bringt, sondern auch verheerende Folgen haben kann und ganze Bevölkerungsschichten verarmen lässt. Und dass die Versprechen des Neoliberalismus - Wachstum und Wohlstand für alle - nicht automatisch in allen Ländern eintreten, darüber haben wir hier in Kuba viel diskutiert.

Und ein falscher Gedanke bringt keine schlechte Note?

Nein, an der Uni wird einiges gesagt, was man nie in der einzigen Zeitung, der "Granma", dem Organ der kommunistischen Partei, lesen würde. Wir haben einen Professor, der fordert, Kuba brauche mehr Markt. Es gebe zu viel Stagnation, der aufkeimende Privatsektor müsse erweitert werde, Privatinitiative müsse sich lohnen, damit die Menschen eine Chance haben, ihren Lohn zu steigern. Man läuft grundsätzlich in Kuba immer Gefahr, als Dissident abgestempelt zu werden, aber an der Uni darf er das sagen. Er berät übrigens auch das Wirtschaftsministerium.

Was ist für dich im Alltag das schwierigste?

Dass die Lebenswelten so verschieden sind. Ich kann für einen CUC [etwa 0,75 Eurocents, Anm. d. Red.] zum Strand fahren, meine Kommilitonen können sich das nicht leisten. Der wirklich größte Mangel aber ist das Internet. Für Hausarbeiten sind wir auf Materialien angewiesen, die uns der Professor gibt. Ich bin es gewohnt, mir tausende PDFs runterzuladen und mich einzulesen.

Hier an der Uni gibt es zwar Internet, aber es ist unfassbar langsam, und die Datenmenge ist auf 20 Megabyte im Monat beschränkt. Das schnelle Internet in den staatlichen Internetcafés kostet 4,50 CUC pro Stunde, ein Viertel des Monatslohns in Kuba. Deshalb ist auch die Recherchefreudigkeit der Studenten nicht besonders groß.

Du wirst noch zwei Semester studieren, dann deine Bachelor-Arbeit schreiben. Über Kuba?

Nur, wenn das in Dresden genehmigt wird. Ich möchte eine eher sozialwissenschaftliche Arbeit schreiben, über ausländische Direktinvestitionen in Kuba und ob es einen Zusammenhang zwischen Investitionen und Entwicklungsfortschritt gibt. Investitionen fördern Wachstum, aber Wachstum ist nicht gleichzeitig Entwicklung - auch wenn das viele meiner Professoren so sehen, weil sich Wachstum einfacher messen lässt. Für mich gehören zu Entwicklung aber auch Bildung, Gesundheit, Kultur, Sicherheit.

Schreibst du diese Arbeit in Kuba?

Leider nein, das Internet hier ist einfach zu schlecht. Aber ich werde auf jeden Fall zurückkommen. Vielleicht mache ich ein Praktikum bei der FAO [Organisation für Ernährung und Landwirtschaft - Anm. d. Red.]. Ich war vorher gar kein Lateinamerika-Freak, aber Kuba ist echt mein Ding geworden.