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Suche nach neuer Regierung

Srecko Matic9. November 2015

Nach der Parlamentswahl steht Kroatien vor einer schwierigen Regierungsbildung und steckt zudem mitten in einer Wirtschaftskrise. Ein Rechtsruck und eine "Orbanisierung" sind aber nicht zu erwarten.

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Božo Petrov von der Plattform MOST (Foto: STRINGER/AFP/Getty Images)
Božo Petrov von der Plattform MOST ist der neue "Königsmacher" in KroatienBild: Getty Images/AFP

Die Parlamentswahl hat dem jüngsten EU-Mitglied eine politische Patt-Situation beschert. Stärkste Kraft im neuen Parlament (Sabor) wurde die von der konservativen Oppositionspartei Kroatische Demokratische Gemeinschaft (HDZ) angeführte "Patriotische Koalition" (Domoljubna koalicija) mit 59 Mandaten vor dem Zusammenschluss "Kroatien wächst" (Hrvatska raste) um die regierenden Sozialdemokraten (SDP) mit 56 Mandaten. Das teilte die Wahlkommission nach Auszählung fast aller Stimmen am Montag in Zagreb mit. Der eigentliche Sieger heißt aber MOST (Brücke). Die neugegründete Plattform avancierte mit 19 Mandaten auf Anhieb zur drittstärksten politischen Kraft - und damit zum Königsmacher der künftigen Regierung. Im neuen Sabor mit 151 Abgeordneten - einschließlich der von vornherein feststehenden Minderheitenvertreter - ist die absolute Mehrheit von 76 Abgeordneten damit nur mit dem Drittplatzierten zu erreichen.

MOST lehnt aber eine Koalition mit den "Altparteien" HDZ und SDP ab. "Mit uns wird es keine klassische Koalition geben, wir sind aber bereit, eine Großpartei im Sabor zu tolerieren", verkündete ganz in staatsmännischer Manier MOST-Chef Božo Petrov, der neue Star der kroatischen Polit-Szene. Der "Preis" dafür wird allerdings hoch sein. "Wir wollen handfeste, ernsthafte Reformen. Die Bürger müssen sich darauf einstellen, dass es schmerzhafte Einschnitte geben wird!", kündigte Petrov an. Durch solche klaren Ansagen könnte MOST "zum Generator für Reformen werden", ist die Zagreber Politologin Smiljana Novosel überzeugt.

Tomislav Karamarko, HDZ (Foto: Copyright: picture-alliance/landov)
Tomislav Karamarko von der HDZ kann sich seines Sieges noch nicht sicher seinBild: picture-alliance/landov

Die Braut, die sich (noch nicht) traut

Petrov warf den beiden etablierten Parteien im Wahlkampf Korruption, Reformunfähigkeit und Verschwendung öffentlicher Gelder vor. Damit weckte er die Sehnsucht vieler Protestwähler nach dem "dritten Weg" im Adrialand – mit einer effizienten Verwaltung und unabhängiger Justiz. Sie hoffen nun, dass MOST bei den anstehenden Sondierungen standhaft bleibt und keine faulen Kompromisse eingehen wird.

Die Überraschung des Wahlabends ist allerdings eine unbekannte Größe – auch für ihre eigenen Wähler. MOST ist keine homogene Partei, sondern eher ein "lockerer Zusammenschluss von Lokalpolitikern" ohne einen gemeinsamen ideologischen Nenner, "der leicht in drei Teile zerfallen könnte", schrieb der Kommentator Zlatko Crnčec in einer Tageszeitung. Eine Minderheitsregierung könnte daher eine sehr unstabile Lösung sein.

Wesentlich stabiler wäre eine theoretisch mögliche große Koalition zwischen HDZ und SDP nach deutschem Vorbild. Angesichts der großen Differenzen zwischen den beiden Lagern, sowie den Egos der beiden Parteichefs, die miteinander nicht können, ist das ein eher unwahrscheinliches Szenario.

Daher sind Neuwahlen eine durchaus denkbare Opotion. Auch MOST-Chef Petrov schließt sie nicht aus, da er keine Regierung um jeden Preis haben möchte: "Neuwahlen sind billiger als eine schlechte Regierung", so Petrov in einem seiner ersten Statements nach der Wahl.

"Wir oder sie"-Rhetorik

So eine komplizierte politische Lage nach den Wahlen ist keine gute Nachricht für ein Land, das in einer tiefen Wirtschaftskrise steckt. Kroatien, das mit seinen 4,4 Millionen Einwohnern zu den ärmsten EU-Mitgliedern gehört, hat sieben Krisenjahre hinter sich. Die Wirtschaft liegt danieder, die Überschuldung steigt rapide, die Verwaltung ist ineffizient und die Jugend wandert aus - am liebsten nach Deutschland. Und die Arbeitslosenquote liegt bei rund 16 Prozent.

Es waren die ersten Parlamentswahlen seit dem Beitritt Kroatiens zur EU 2013. Der hat kaum etwas an der schwierigen ökonomischen Lage geändert. Die SDP erwies sich als kraftlose Regierungspartei, die die Wirtschaftsmisere nur einfallslos verwaltete, statt die versprochenen Reformen umzusetzen. Brüssel hat Kroatien bereits mehrfach ein schlechtes Zeugnis ausgestellt und im Ranking des International Institute for Management Development (IMD) in Lausanne ist Kroatien (zusammen mit Bulgarien) Schlusslicht wenn es um konkurrenzfähige Länder Europas geht. Die beiden Staaten stehen noch schlechter da als Griechenland.

Umso überraschender ist, es dass die Wirtschaftsthemen im Wahlkampf keine besonders große Rolle gespielt haben. Stattdessen ging es um Nationalstolz, Identität und Vergangenheit. "Seit 20 Jahren herrscht in Kroatien Frieden, aber im Wahlkampf ist der Krieg allgegenwärtig", schrieb vor kurzem die Berliner Zeitung. Die beiden großen Lager setzten auf eine "Wir oder sie"-Rhetorik und diese Polarisierung spiegelt sich auch in Wahlergebnissen. "Die kroatische Gesellschaft ist heute tief gespalten in einen säkular-fortschrittlichen und einen katholisch-konservativen Teil", fasst der Zagreber Politologe Tihomir Cipek die Lage zusammen.

Zoran Milanovic, SDP (Foto: picture-alliance/PIXSELL/M. Prpic)
Der bisherige Regierungschef Zoran Milanovic hat die Wahl verloren - aber nicht ganzBild: picture-alliance/PIXSELL/M. Prpic

Droht eine "Orbanisierung" Kroatiens?

Mit Spannung wurden die Ergebnisse der Parlamentswahlen auch im Ausland verfolgt. Die Wahl gilt manchen in der EU als entscheidend für die künftige Flüchtlingspolitik in einem der wichtigsten Transitländer auf der Balkan-Route. Im Wahlkampf hatte insbesondere die HDZ mit nationalistischen Tönen für einen schärferen Umgang mit den Flüchtlingen geworben, strengere Grenzkontrollen und den Einsatz der Armee an den Grenzen gefordert. Die Differenzen zwischen SDP und HDZ im Umgang mit der Flüchtlingskrise waren aber nicht entscheidend für den Wahlausgang.

Auch die vom Westen befürchtete "Annäherung an den ungarischen Diskurs" und die "Orbanisierung Kroatiens" ist nach Meinung der kroatischen Medien unwahrscheinlich. Bisher hat sich in der Flüchtlingskrise Zagreb mit Berlin abgestimmt, und so wird es bleiben, ünabhängig davon, wer die Regierung anführt. Und eine Abschottung des Landes ist ebenfalls nicht zu erwarten: Im Gegensatz zu vielen anderen EU-Staaten, gibt es in Kroatien keine ernstzunehmende euroskeptische Kraft. Die EU-Mitgliedschaft ist alternativlos, das ist einer der ganz wenigen Punkte, bei dem die ideologisch tief zerstrittenen Lager einer Meinung sind.