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Politik

Vom Hoffnungsträger zum Problemkind

Thomas Roser
20. September 2017

Kroatien will der Anwalt der EU-Anwärter sein, versprach Zagreb beim EU-Beitritt 2013. Vier Jahre später liegt das Land im Dauerclinch mit fast allen Nachbarn - und vor allem mit sich selbst.

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Kroatische Flagge und EU-Flagge
Bild: picture-alliance/dpa

Der Hass auf Andersdenkende überdauert in Kroatien selbst deren Tod. Das Ableben von Slavko Goldstein habe ihn "erfreut", schrieb der Priester Mili Plenkovic vergangene Woche auf die Nachricht vom Tod des renommierten Intellektuellen und Publizisten. Er sei froh, dass der "Kroatienhasser von der Bühne dieser Welt verschwunden" sei - so unversöhnlich zeigt sich der katholische Geistliche von der Insel Hvar in einer Facebook-Botschaft. Angesichts des "Meeres der Lügen", die Goldstein "unter dem Deckmantel der wissenschaftlichen Autorität" bewusst über Kroatien verbreitet habe, wünsche er dem Verstorbenen einen milden Richter: "Denn aus der Bibel wissen wir, dass Jahwe die lügenhafte Zunge hasst", schrieb der Priester unter Anspielung auf Goldsteins jüdische Herkunft.

Ein Rechtsruck nach dem EU-Beitritt

Die Schmähungen des Priesters gehört noch zu den harmloseren Beschimpfungen, die Goldsteins Tod begleiteten. Die Woge der Hasstiraden auf den verstorbenen Antifaschisten ist ein Sinnbild für den Rechtsruck, den Kroatien seit dem EU-Beitritt 2013 erfahren hat: Die Horizonte scheinen sich in dem angeschlagenen Küstenstaat eher nationalistisch verengt als erweitert zu haben.

Koratien - Busbahnhof Osijek
Arbeitskräfte-Exodus: Viele Buslinien führen vom kroatischen Osijek ins Ausland Bild: DW/V. Tešija

Dabei sind die wirtschaftlichen Probleme des Landes drängend genug. In den meisten Wirtschaftsstatistiken haben die früheren sozialistischen EU-Partner in Mittel- und Osteuropa das einst wesentlich wohlhabendere Kroatien längst überflügelt. Selbst Rumänien kann mittlerweile ein höheres Sozialprodukt vorweisen als der auf den vorletzten EU-Platz abgerutschte Adriastaat. Doch während ein neuer Arbeitskräfte-Exodus vor allem der Armutsregion Slawonien einen fatalen Aderlass beschert, verheddert sich Kroatiens Politikerkaste in fruchtlosen Richtungskämpfen.

Von der Vergangenheit gefesselt

Als sei der Zweite Weltkrieg gerade eben erst beendet worden, trennen tiefe Gräben die selbsterklärten Erben der Partisanen und der faschistischen Ustascha: Hasspredigen nationalistischer Geistlicher gegen die serbische Minderheit, Verbrennung serbischer Zeitungen und monatelange Debatten, ob Gedenktafeln mit dem einstigen Gruß der hitlertreuen Ustascha ("Für die Heimat bereit") zulässig seien oder nicht. Die Kroaten hätten keine Zeit für die Basketball-EM, weil sie ständig Zweiter Weltkrieg spielen müssten, ätzte unlängst bitter ein Surfer auf der Seite eines heimischen Webportals.

Andrej Plenkovic PK Kroatien
Andrej Plenkovic: Die Kontrolle über den rechten Flügel verlorenBild: picture alliance/dpa/P. Macek

Tatsächlich verharmlost auch die kroatische Präsidentin Kolinda Grabar-Kitarovic die Ustascha-Losung als "alten kroatischen Gruß", der leider missbraucht worden sei. Der vor allem auf Erhalt seiner hauchdünnen Regierungsmehrheit bedachte Premier Andrej Plenkovic scheint die Kontrolle über den nationalistischen Flügel der konservativen HDZ längst verloren zu haben. Die tiefen Verwerfungen in der politischen Landschaft bestärken das Bild eines Landes, das nicht nur mit den Nachbarn, sondern auch mit sich selbst völlig über Kreuz liegt.

Alle erdenkliche Hilfe

Dabei galt das seit 1991 unabhängige Kroatien lange Zeit als Hätschelkind des Westens. Vor allem Deutschland und Österreich gewährten Zagreb schon während des Kroatienkriegs (1991-1995) alle erdenkliche diplomatische Hilfe zur Festigung der Eigenstaatlichkeit und die anvisierte Westintegration. Nach der Jahrtausendwende steuerte der langjährige HDZ-Premier Ivo Sanader (2003-2009) das Land entschlossen in Richtung EU. Die nationalistischen Kräfte seiner Partei vermochte er lange kaltzustellen. Unzählige Korruptionsskandale ließen ihn jedoch selbst straucheln - und hinter Gittern landen.

Nicht nur die zunehmende Erweiterungsmüdigkeit in der EU nach den durchwachsenen Erfahrungen mit den 2007 beigetretenen Bulgarien und Rumänien belastete Kroatiens EU-Beitritt. Wegen des ungelösten Streits um die Seegrenze bei Piran blockierte Slowenien monatelang die Beitrittsverhandlungen. Zu allem Übel trafen die Folgen der 2007 einsetzenden Weltwirtschaftskrise das Land mit voller Wucht: Von 2009 bis 2014 wies Kroatien sechs Jahre in Folge ein Minuswachstum aus.

Als schwer angeschlagener Krisenstaat trat Kroatien 2013 der EU unter denkbar schlechten Vorzeichen bei: Unglücklich und schlecht vorbereitet stolperte der Neuling unter dem sozialdemokratischen Premier Zoran Milanovic in das neue Zeitalter. Um die Auslieferung des unter Mordverdacht stehenden Ex-Geheimdienstchefs Josip Perkovic nach Deutschland zu verhindern, hatte Zagreb noch kurz vor dem Beitritt ein Sondergesetz zur Einschränkung des Europäischen Haftbefehls durchs Parlament gepeitscht. Die Partner waren nicht erbaut und zwangen Zagreb zur Annullierung der Gesetzes.

Im Streit mit den Nachbarn

Eine Erfolgsgeschichte ist Kroatiens EU-Gastspiel bis heute nicht geworden. Im Gegenteil: Der selbsternannte Anwalt der EU-Erweiterung wird in Brüssel zunehmend als einer der Störfaktoren in der Region wahrgenommen. Zwei Mal musste die EU Kroatien bereits wegen unzulässiger Handelssanktionen gegen Ex-Kriegsgegner Serbien zurückpfeifen. Starrköpfiger Trotz bestimmt auch Kroatiens Umgang mit den anderen, nicht minder starrsinnigen Partnern aus Ex-Jugoslawien.

Kroatien Brückenbau Halbinsel Peljesac
Eines der Streitthemen mit Bosnien ist der Bau der Meeresbrücke bei PeljasacBild: picture-alliance/dpa/T. Brey

Egal, ob in Zagreb Konservative oder Sozialdemokraten am Ruder ist: Die Rücksicht auf nationalistische Empfindlichkeiten im Innern erschwert Zagreb die Suche nach Kompromissen auf dem internationalen Parkett. Ob beim Seegrenzstreit mit Slowenien, dem Dauerhickhack mit Ungarn um den Mineralöl-Konzern Ina oder den Dissonanzen mit Bosnien über den Bau der Meeresbrücke bei Peljasac: Auffällig scheint das Unvermögen Zagrebs, Konflikte mit den Nachbarn in einer kooperativen Atmosphäre zu lösen.