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Kuba: Zurück in die 1990er?

Andreas Knobloch, Havanna12. Juli 2016

Die Wirtschaftskrise in Venezuela trifft nun auch Kuba. Präsident Raúl Castro bereitet die Bevölkerung auf harte Zeiten vor. Vom Optimismus seit der Annäherung an die USA ist nur noch wenig zu spüren.

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Malecon von Havanna, Kuba
Bild: Fotolia/kmiragaya

Ramón ist einer von Hunderten privaten Taxifahrern, die ihre mit allerhand Improvisationstalent fahrtauglich gehaltenen Oldtimer als Sammeltaxis durch die Straßen von Kubas Hauptstadt Havanna kutschieren. Neuen Passagieren muss er dieser Tage erklären, dass sich die Fahrpreise erhöht haben, da auch Benzin teurer geworden ist.

Behörden und staatliche Betriebe wiederum sind dazu übergegangen, Arbeitszeit zu kürzen und den Gebrauch von Klimaanlagen einzuschränken, um Energie zu sparen. Kuba steht ein harter Sommer bevor, so scheint es.

Vor dem kubanischen Parlament hatte Präsident Raúl Castro die Bevölkerung auf wirtschaftlich schwierige Zeiten und neue Einschränkungen eingestimmt. Die Regierung müsse Ausgaben kürzen und Energie sparen, weil die Weltmarktpreise für traditionelle Exportprodukte wie Nickel, raffiniertes Öl oder Zucker gesunken sind und gleichzeitig weniger Öl aus Venezuela importiert wird.

Kubas Wirtschaft war im ersten Halbjahr 2016 um ein Prozent gewachsen, nur halb so stark wie vorhergesagt. Im selben Zeitraum des vergangenen Jahres hatte es noch ein Plus von 4,7 Prozent gegeben.

Weniger Öl aus Venezuela

Der Zeitpunkt von Castros Ankündigung mag überraschen, allerdings hatte er schon im Dezember auf mögliche Schwierigkeiten hingewiesen. Die Annäherung an den früheren Erzfeind USA brachte zwar viel Optimismus. Doch Venezuela, Kubas engster Verbündeter und wichtigster Handelspartner, ist von den anhaltend niedrigen Erdölpreisen besonders hart getroffen. Die Wirtschaftskrise dort schlägt nun auf Kuba durch.

Venezuela Grenze Kolumbien
Krisenzeichen: Venezolaner nutzen eine kurze Grenzöffnung, um in Kolumbien Medizin und Nahrungsmittel zu kaufenBild: picture-alliance/dpa/S.Mendoza

Kuba selbst produziert jährlich knapp 25 Millionen Barrel Öl, das entspricht rund 40 Prozent des Eigenverbrauchs. Den Rest bezieht das Land zu Vorzugskonditionen aus Venezuela. Im Gegenzug arbeiten rund 25.000 kubanische Ärzte und medizinisches Personal in Venezuela.

Experten schätzen, dass Venezuela zuletzt nur noch 53.500 Barrel Rohöl pro Tag nach Kuba lieferte - das wären 40 Prozent weniger als noch in der ersten Jahreshälfte 2015. Raffinierte Ölprodukte eingerechnet, beträgt der Rückgang laut Zahlen der Nachrichtenagentur Reuters noch immer rund 20 Prozent.

In der Vergangenheit hatte Kuba einen Teil des aus Venezuela erhaltenen Öls selbst verbraucht und den Rest mutmaßlich weiterverkauft. Diese zusätzlichen Einnahmen schrumpfen nun ebenfalls.

Kuba müsse deshalb unnötige Ausgaben kürzen, Importprodukte durch in Kuba hergestellte Waren ersetzen, in Devisen erwirtschaftende Sektoren investieren und seine Energie effizienter nutzen, so Castro. Die Zusammenarbeit mit Venezuela solle aber nicht eingeschränkt werden. "Die wahren Freunde erkennt man in schwierigen Momenten, und wir Kubaner werden nie die Unterstützung Venezuelas vergessen, als wir vor großen Schwierigkeiten standen", so Kubas Präsident.

Unabhängig davon versucht die Karibikinsel seit Jahren, über Energiesparprogramme ihren Energiebedarf zu drosseln und die Abhängigkeit von fossilen Energieträgern zu verringern. Die Regierung hat die Energieunabhängigkeit als eine der Prioritäten des Landes bezeichnet; bis 2030 will Kuba den Anteil erneuerbarer Energien von derzeit vier auf 24 Prozent erhöhen.

Ein Sommer ohne Klimaanlagen und Ventilatoren?

Die Bevölkerung befürchtet bereits eine neue "Sonderperiode in Friedenszeiten". So wird in Kuba die Wirtschaftskrise Anfang der 1990er Jahre genannt, als das Land nach dem Zusammenbruch der sozialistischen "Bruderstaaten" in Osteuropa vor dem Kollaps stand. Fast täglich wurde damals der Strom abgeschaltet. Die heißen Sommermonate ohne Klimaanlage oder Ventilator - das können sich heute nur wenige vorstellen.

Aber so schlimm wird es laut Kubas Staatschef nicht kommen. "Es gibt schon Spekulationen über einen unmittelbaren Zusammenbruch unserer Wirtschaft wie zu Zeiten der Sonderperiode Anfang der 90er Jahre", so Raúl Castro. "Wir verleugnen nicht, dass es Auswirkungen geben kann, selbst größere als im Moment. Aber wir sind vorbereitet und in einer besseren Verfassung als damals, damit umzugehen.“ Die sozialen Errungenschaften der Revolution würden verteidigt und schrittweise verbessert.

Castro warb zudem bei internationalen Gläubigern um Verständnis. Das Land werde seinen Zahlungsverpflichtungen nachkommen. "Wir werden nicht das Ziel aufgeben, internationales Vertrauen in die kubanische Wirtschaft wiederherzustellen."

Kuba hatte sich in den vergangenen Jahren mit fast allen Gläubigern verständigt, darunter dem Pariser Club, einem informellen Gremium, in dem staatliche Gläubiger mit Schuldnern zusammentreffen. So war Kuba einen großen Teil seiner Schulden losgeworden.

Dagegen seien auch mehr als drei Monate nach der Ankündigung der US-Regierung, Kuba den Gebrauch des US-Dollar im internationalen Zahlungsverkehr zu erlauben, Transaktionen in der US-Währung für Kuba weiterhin nicht möglich, kritisierte Castro vor der Nationalversammlung.

Einschränkungen angekündigt

Die Sitzungswoche des Parlaments, das nur halbjährig zusammentritt, da die Abgeordneten keine Vollzeitpolitiker sind und in der sitzungsfreien Zeit ihren geregelten Berufen nachgehen, war bestimmt von Debatten über die auf dem Parteikongress vom April beschlossene Aktualisierung der wirtschaftlichen und sozialen Leitlinien für die Reformvorhaben von 2016 bis 2021.

Der dafür zuständige Minister, Marino Murillo, beschrieb vor der Nationalversammlung den Umfang der geplanten Einschränkungen. So soll der Energieverbrauch insgesamt um sechs Prozent gedrosselt werden. Die privaten Haushalte, die 60 Prozent des Stroms verbrauchen, seien davon aber nicht betroffen. Auch im Tourismussektor sowie in der Nickel- und Zuckerproduktion soll es keine Einschränkungen geben.

Doch nicht alle Kubaner trauen den Ankündigungen. "Einige meiner Bekannten und Freunde haben ihren bereits gebuchten Sommerurlaub gestrichen und lassen sich das Geld zurückzahlen. Denn wer weiß, wie dick es wirklich kommt", erzählt Taxifahrer Ramón. Er selbst sei aber von Natur aus Optimist. Dann braust er davon und unterrichtet neue Fahrgäste über die gestiegenen Tarife.