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Deutscher Zukunftspreis - Team II

22. November 2009

Haben Energie fressende Klimaanlagen ausgedient? Vielleicht! Denn Fraunhofer Forscher haben ein High-Tech-Baumaterial entwickelt. Mikrokügelchen, die die Wand selbst zu einer Art klimafreundlicher Klimaanlage machen.

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Mikro-Parafinkapsel (Foto: Ansgar Pudenz)
Kleine Mikrokapseln sind das Geheimnis der intelligenten KühlungBild: Ansgar Pudenz

Irgendwie gehört es ja dazu. Wer sich an heißen Tagen am Ferienort tummelt, der hat einen ständigen Begleiter: das Surren der Klimaanlagen. Man nimmt es in Kauf, ja es freut den ein oder anderen sogar, denn der treue Begleiter sorgt überall für angenehme Wohlfühltemperaturen. Bei den Forschern des Fraunhofer-Instituts für Solare Energiesysteme (ISE) Freiburg ließ das Dröhnen der Klimaanlage allerdings die Gehirnzellen rattern. Stimmen die Prognosen, so werden die Sommer durch die schleichende Klimaerwärmung in der Zukunft noch heißer. Heißt das also noch mehr Klimaanlagen? Und damit auch noch mehr Stromverbrauch und noch mehr CO2-Ausstoß?

Klimaanlagen sind gestern, Intelligente Wände morgen

Für Professor Volker Wittwer keine Lösung. Im 880-Mitarbeiter großen Solarforschungszentrum in Freiburg machte er sich Gedanken über intelligente, energieeffiziente Baumaterialien. Sein Credo: Die Kraft der Natur und insbesondere die Kraft der Sonne kann das Problem lösen. So begann eine über zehnjährige Forschungsreise, an deren Ende die Antwort auf eine altbekannte Frage stand: Wie kann ich Nachtkälte nutzen, um auch am nächsten heißen Sonnentag das Gebäude kühl zu halten? Zusammen mit seinem Kollegen Peter Schossig begann Wittwer, an so genannten Latentwärmespeichern zu arbeiten, die mit Materialien wie Wachs, beziehungsweise Parafin arbeiten. Statt die Leute drinnen schwitzen zu lassen, sollten diese Materialien die Hitze bereits in der Wand abfangen, die Wärme speichern und vor dem Menschen verstecken.

Das Forscher-Team: Professor Volker Wittwer (links) Dr. Peter Schossig (rechts) und Dr. Ekkehard Jahns (Foto: Ansgar Pudenz)
Das Forscher-Team: Professor Volker Wittwer (links) Dr. Peter Schossig (rechts) und Dr. Ekkehard Jahns (Mitte)Bild: Ansgar Pudenz

Dabei hilft ein physikalischer Trick, der auch bei einem schmelzenden Eiswürfel im Glas zu beobachten ist: Wenn ich den Eiswürfel erwärme, schmilzt er. Die Flüssigkeit um ihn herum wird aber erst dann wärmer, wenn das letzte Eisbröckchen geschmolzen ist. "Ich muss also sehr viel Energie zuführen, um das Eis zum Schmelzen zu bringen, aber, die Flüssigkeit bleibt kalt. Das ist diese versteckte Energie, die man zum Schmelzen benötigt, die aber die Temperatur nicht erhöht", sagt Volker Wittwer.

Verkapselte Wachskugeln als Hitzefänger

Ob dieser Effekt auch in der Wand funktioniert, wurde in jahrelangen Testreihen in den Laboren überprüft. Versuche zeigten, dass wenn das Parafin in der Wand bei Temperaturen zwischen 22 und 26 Grad Celsius schmilzt, die Temperatur im Innenraum auch an heißen Nachmittagen nicht über 25 Grad ansteigt. Ein geschicktes Einstellen der Kohlenwasserstoff-Ketten der Parafine machte dies möglich. Bis aus der Theorie ein praxistaugliches Produkt entstand, dauerte es eine Weile.

Emulsion wird verrührt (Foto: Ansgar Pudenz)
Die Latentwärmespeicher können als Emulsion oder als Pulver weiterverarbeitet werdenBild: Ansgar Pudenz

Zu Beginn wollte man das Parafin noch in den Gips oder den Gipsputz einrühren. Das schlug fehl, denn schon beim ersten Sonnenstrahl verdampfte das 'flüchtige Kühlaggregat'. Dann der Versuch, die Latentwärmespeicher in Tennisball große Kugeln einzufüllen, um diese einzumauern. Auch das schlug fehl, denn die großen Kugeln waren unbrauchbar. Auch der anvisierte Schmelzeffekt funktionierte nicht richtig, weil Wachs ein enorm schlechter Wärmeleiter ist. Oft schmolz nur die Oberfläche der großen Kugeln an, der Effekt, die Wärme zu verstecken, blieb allerdings aus.

Warum also nicht das Parafin in mikroskopisch kleine Kügelchen einpacken, dachte Volker Wittwer: "Also suchten wir nach Möglichkeiten, das Parafin möglichst klein zu verpacken." Die Idee der Mikro-Verkapselung war geboren, das heißt, einzelne Wachströpfchen werden in winzige Hülsen gepackt, die Hülle ist aus Acrylglas. Die so abgeschlossenen Wachskügelchen, noch nicht einmal halb so dick wie ein menschliches Haar, können von der Industrie dann tonnenweise produziert werden. Als getrocknetes Pulver verlassen sie die Fabrik und werden in Gips, Gipsputz oder Gipsplatten gemischt.

Der Unterschied zu früher: Der Wärmespeicher verdampft nicht mehr. Die Schlüsseltechnologie war da, sagt Peter Schossig: "Der Durchbruch war für mich der Sommer 2003, als wir zum ersten Mal in realen Räumen wirklich wunderbar den Effekt zeigen konnten, dass diese Räume vier Grad kälter blieben als die vergleichbaren Räume ohne mikroverkapselte Latentwärmespeicher."

Professor Volker Wittwer, Gründungsmitglied des Fraunhofer-Instituts für Solare Energiesysteme (Foto: Ansgar Pudenz)
Professor Volker Wittwer, Gründungsmitglied des Fraunhofer-Instituts für Solare EnergiesystemeBild: Ansgar Pudenz

Die Nachtkälte als Jungbrunnen

Nur einer Pflegemaßnahme bedarf es: Die geschmolzenen Wachskugeln müssen nachts wieder abgekühlt werden, damit sie bereit sind für den nächsten, heißen Arbeitstag, sagt Volker Wittwer: "Die Nachtkühle kann ich entweder klassisch dadurch bekommen, dass ich die Fenster öffne". Die Wachskügelchen verfestigen sich dadurch wieder, und sind bereit für den nächsten Arbeitstag.

Unter Fachleuten gelten die mikroverkapselten Latentwärmespeicher bereits als kleine Revolution in der Wand. Alle Probleme lassen sich dadurch aber nicht lösen, denn ein Raum mit Mikrokapseln ist zwar kühler, aber bei einer feuchten Witterung nicht trockener. Und gerade in tropischen Regionen funktioniert das System nur bedingt, weil dort die Temperaturschwankungen zu gering sind.

Aber auch dafür hat der Forscher bereits eine Idee: "Wir arbeiten auch an aktiv gekühlten Systemen, da wird also hinter den Putz oder hinter die Gipsplatte ein Wasser durchflossenes Netz integriert." Mit geringer Pumpenergie kann dann, aus dem Erdreich gekühltes Wasser die Kugeln nachts wieder verfestigen. Das funktioniert auch in heißen Regionen, denn auch dort bleibt der Boden relativ kalt.

Ein ganz offensichtliches Problem haben die Forscher sich aber selbst eingebrockt. Ihr High-Tech-Material ist quasi unsichtbar für den Kunden. Das ist schlecht fürs Marketing, aber lösbar, findet Peter Schossig: "Der Charme unserer Innovation ist, dass weder der Handwerker vor Ort, noch der Nutzer später muss wissen, dass er sich in einem Raum mit Hightech aufhält. Wichtig ist nur, er fühlt sich wohl und das mit minimalem Energieeinsatz."

Einsatzfelder für die Kühlwunder gibt es genug

Und die Kügelchen können noch sehr viel mehr, sagt Wittwer. "Es gibt schon Betttücher, in denen das Material eingearbeitet ist. Es gibt bereits Taucheranzüge, wo es eingearbeitet ist." Und auch bei der Kühlung von Elektro-Batterien in unserer zukünftigen, strombetriebenen Auto-Flotte sei das Material eine Möglichkeit, die drohende Überhitzungsgefahr zu reduzieren.

Autor: Richard A. Fuchs

Redaktion: Judith Hartl