1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Kultursprache Deutsch

Das Gespräch führte Sabine Peschel16. Juni 2007

Ist Deutschland vielsprachig? Und ist Deutsch möglicherweise eine wichtige Regionalsprache - etwa für Osteuropa? DW-WORLD sprach mit Ludwig M. Eichinger, Direktor des Instituts für Deutsche Sprache.

https://p.dw.com/p/AxMC
Bild: Bilderbox

DW-WORLD.DE: Wie europäisch ist Deutsch?

Prof. Dr. Ludwig M. Eichinger
Bild: Annette Trabold

Ludwig M. Eichinger: Das Deutsche ist ziemlich europäisch. Das sieht man, wenn man die Geschichte, aber auch den heutigen Zustand betrachtet. Das Bewusstsein der Trennung von den anderen europäischen Sprachen ist großenteils erst in der Zeit der Nationenbildung im 19. Jahrhundert entstanden.

Das Goethe-Institut hat sich zwei Jahre lang unter vielen Aspekten mit der "Macht der Sprache" beschäftigt. Welche "Macht" hat das Deutsche heutzutage, und welche Bedeutung hat der europäische Einigungsprozess für unsere Sprache?

Die Machtverhältnisse zwischen den größeren Sprachen haben sich dadurch, dass das Englische als internationale Sprache an Boden gewonnen hat, verschoben. Diesen Punkt muss man einfach feststellen. Daher wird die Diskussion darüber, welchen Wert und welche Macht eine Einzelsprache hat, jetzt zu einem vernünftigen Zeitpunkt geführt. Es zeigt sich ganz deutlich, dass das deutsche Sprachgebiet innerhalb Europas so bedeutend ist, dass es objektiv eine Macht darstellt. Da aber das Deutsche international nicht so vertreten ist wie etwa das Englische oder Französische, muss man mehr dafür tun, um diese Macht auf europäischer Ebene auch in angemessener Weise zur Geltung zu bringen.

Auf welchen Gebieten spielt das Deutsche im globalen Kontext überhaupt noch eine Rolle?

Die ganzen Naturwissenschaften sind mehr oder minder auf Englisch übergegangen. Es gibt eine Reihe von traditionellen Wissenschaften, in denen das Deutsche immer stark war, und wo es jetzt auch noch eine große Rolle spielt, zum Beispiel die Philosophie, die Musikwissenschaft, oder die Kunstgeschichte. Und es gibt ein Reihe von traditionellen Fächern, wo das Deutsche - wie zum Beispiel in der Kunstgeschichte - in den letzten Jahzehnten sogar noch gewonnen hat.

Ist die deutsche Sprache also auf dem Vormarsch?

Das Deutsche könnte sich als eine Art europäische Regionalsprache Richtung Osten entwickeln, das ist eine vernünftige Option. Da es eine Jahrhunderte lange sprachliche Verbindung zwischen Deutschland und seinem östlichen Nachbarraum gibt, existiert dort auch eine hohe Tradition des Deutschlernens. Wir sollten allerdings auch - und ich finde eben das in Europa wichtig - darauf hinzielen, dass Deutsch für viele Menschen eine gute zweite Fremdsprache ist. In vielen Ländern wird Englisch selbstverständlich die erste Fremdsprache sein, aber es gibt durchaus relativ spezifische, durchaus auch wirtschaftlich und praktisch begründete Interessen, Deutsch zu lernen, die man fördern sollte.

Deutschland liegt in der Mitte Europas, auch sprachlich. Was bedeutet diese strukturelle Mitte des Deutschen?

Sie erklärt manche Besonderheiten des Deutschen, die sich zeigen, da zwei Typen von grammatischer Organisation im Deutschen zusammentreffen, manches, was am Deutschen als schwierig gilt. Und es belegt den Tatbestand, dass sich auch im Bereich der Sprachen Europa viel ähnlicher ist, als man denken würde, wenn man nur die Geschichte der jeweiligen Einzelsprachen betrachtet.

Es gibt heutzutage Intentionen, Deutsch als Nationalsprache in der Verfassung festschreiben zu lassen. Was halten Sie davon?

Die Absichten, die dahinter stecken, sind sicher gut. Man will zeigen, dass unsere Sprache nicht nur ein Symbol ist, sondern auch in allen funktionalen Teilen erhalten bleiben soll. Andererseits denke ich, dass wir zumindest derzeit noch nicht den Zustand haben, dass es irgendwie kritisch wäre, dass in Deutschland deutsch gesprochen wird. Daher braucht man es eigentlich noch nicht in die Verfassung - einen relativ allgemeinen gehaltenen Text - zu schreiben. Das gäbe dann eher das Signal, um Gotteswillen, wir sind so gefährdet, wir müssen jetzt schon auf Rechtsmittel zurückgreifen, um das Deutsche zu erhalten. Unser Problem stellt sich anders. Wie schaffen wir es zu integrieren, zum Beispiel eben den Tatbestand, dass wir viele Zuwanderer haben, für die Deutsch nicht Muttersprache ist?

Wie vielsprachig ist denn Deutschland?

Deutschland ist vergleichsweise vielsprachig - und auf der anderen Ebene einsprachig. Das System ist sehr deutschsprachig. Auch das Schulsystem soll zurecht ja zur Beherrschung der deutschen Sprache hinführen. Andererseits gibt es eine hohe faktische Mehrsprachigkeit, mit der man vernünftig umgehen muss. Die Gefahr ist ja auch nicht, dass wir, wenn jetzt beispielsweise das Türkische stärker berücksichtigt würde, alle plötzlich türkisch sprechen würden. Das Problem ist eher, Möglichkeiten zu schaffen, diese Vielsprachigkeit für die kulturelle Identität der Zuwandernden nützlich zu halten und gleichzeitig ihr gutes Funktionieren - was vielleicht ein bisschen unfreundlich klingt - in unserer Gesellschaft zu ermöglichen. Denn man sieht ja ganz objektiv, dass ein völliger Rückzug in fremden Gemeinschaften gesellschaftliche Nachteile für die jüngeren Generationen bringt. Daher sollte man nicht so sehr den Integrationspunkt betonen, dass sonst das Deutsche gefährdet wäre, sondern dass wir damit in der Lage sind, allen Bevölkerungsgruppen eine adäquate Chance zur öffentlichen Teilhabe zu geben.

Brauchen wir eine deutsche "Académie Française" zur Reinhaltung, Pflege und Vereinheitlichung, also zur strikteren Normierung des Deutschen?

Das ist deswegen bisschen schwierig, weil das Deutsche eine plurizentrische Sprachkultur ist.

Was heißt das?

Das heißt, dass das Deutsche traditionell nicht von einem Zentrum aus bestimmt, was richtig ist. Beispielsweise ist gerade ein Wörterbuch der Varianten des Deutschen erschienen, in dem beschrieben wird, was in Österreich, der Schweiz und in Deutschland jeweils Hochdeutsch ist. Natürlich könnte man sich überlegen, irgendeine Institution einzuführen, die sich darum kümmert, dass mit den Fremdwörtern vernünftig umgegangen wird. Aber so eine Gesamtakademie ist unter den Verhältnissen, wie Deutsch entstanden ist, schwierig.

Zum Schluss, ganz pauschal: Wie würden Sie das Deutsche charakterisieren?

Das Deutsche ist eine Sprache, die in der Mitte Europas liegt und daher sehr viel von der europäischen Kultur aufgenommen hat, da es unglaublich viele Kontakte hatte.


Prof. Dr. Ludwig M. Eichinger ist Direktor des Instituts für Deutsche Sprache und Ordinarius für Germanistische Linguistik an der Universität Mannheim.