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Kundus-Angriff: Kein Schadensersatz

Carla Bleiker11. Dezember 2013

Im Kundus-Prozess hat das Bonner Landgericht die Klage zweier Afghanen gegen Deutschland abgewiesen. Bei einem Luftangriff 2009 waren rund hundert Zivilisten gestorben. Hinterbliebene hatten Schadensersatz gefordert.

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Von Bundeswehr bombardierter Tanklastzug in Kundus, Afghanistan (Foto: AFP/Getty Images)
Bild: Massoud Hossaini/AFP/Getty Images

Rund neun Monate nach Prozessbeginn und mehr als vier Jahre nach dem Bombardement zweier Tanklaster ging die Urteilsverkündung am Mittwoch (11.12.2013) schnell über die Bühne. Sowohl Karim Popal und Peter Derleder, die die beiden Kläger vertraten, als auch Anwalt Mark Zimmer und seine Kollegen auf Seiten des Bundesverteidigungsministeriums waren nicht erschienen. Der Vorsitzende Richter Heinz Sonnenberger verkündete das Urteil ohne Umschweife: Die Klage gegen die Bundesrepublik Deutschland wird abgewiesen, die Prozesskosten tragen die Kläger.

Der damalige Bundeswehr-Oberst Georg Klein habe seine Amtspflicht nicht verletzt, als er anordnete, zwei Tanklastzüge zu bombardieren, die Taliban entführt hatten und die auf einer Sandbank im Kundus-Fluss liegengeblieben waren.

Verstoß gegen Völkerrecht oder unzulässige Klage?

Ein Bauer und eine Witwe aus einem Dorf in der Nähe des Schauplatzes hatten insgesamt 90.000 Euro Schadensersatz gefordert. Laut Anwalt Popal seien zwei Söhne des Mannes durch den Luftangriff gestorben. Die Frau, Mutter von sechs Kindern, habe ihren Mann und somit den Versorger der Familie verloren.

Die Tanklaster waren am 3. September 2009 von Aufständischen entführt worden. Sieben Kilometer vom Lager der deutschen NATO-Truppen in Kundus entfernt blieben sie beim Versuch, den Fluss zu überqueren, stecken. Kurz vor zwei Uhr früh am folgenden Morgen gab Oberst Klein dann den Befehl für das Bombardement. Dabei starben nach unterschiedlichen Angaben zwischen 91 und 137 Zivilisten.

Die Kläger im Zivilprozess argumentierten, Klein hätte die Zivilisten rund um die Tankfahrzeuge sehen müssen und habe mit seinem Befehl gegen Völkerrecht verstoßen. Die Anwälte des Bundesverteidigungsministeriums hingegen wollten die Klage schon am Anfang des Verfahrens im März abgewiesen sehen. Die Bundesrepublik Deutschland sei in diesem Fall gar nicht haftbar, erklärte Anwalt Mark Zimmer der DW vor Prozessbeginn: "In unserem Fall hat Oberst Klein ja nicht primär im Auftrag der Bundesrepublik Deutschland gehandelt, sondern er war eingebunden in ein System der NATO." Diese Argumentation ließ das Landgericht zu Prozessbeginn nicht gelten. Gegen die Bundesrepublik wurde verhandelt.

Portrait Karim Popal. (Foto: picture alliance/ dpa)
Kläger-Anwalt Popal: Das Urteil ist nicht gerechtBild: picture-alliance/dpa

Keine Zivilisten zu erkennen

Beim letzten Verhandlungstag im Oktober wurden die Luftaufnahmen gesichtet, die US-amerikanische Jets in der Nacht des Bombardements gemacht hatten. Auf den Infrarot-Bildern waren Menschen als schwarze Punkte zu sehen, die sich auf die Tanklaster zu und von ihnen weg bewegten.

Auf diesen Aufnahmen sei nicht zu erkennen gewesen, ob die Menschen Waffen getragen hätten oder ob Kinder unter ihnen seien, betonte Sonnenberger bei der Urteilsverkündung. Klein verließ sich neben den Luftaufnahmen außerdem auf einen Informanten, der sich in der Nähe der Tanklaster aufhielt. "Klein ließ sich sieben Mal vom Informant berichten", sagte Sonnenberger. "Der sagte immer, dass sich keine Zivilisten auf der Sandbank befänden." Klein sei also der Pflicht nachgekommen, die in den Zusatzprotokollen der Genfer Konventionen festgelegt ist: Zum Schutz von Zivilisten müssen Soldaten klären, ob die Ziele, die sie angreifen, wirklich militärisch sind. Klein habe seine Möglichkeiten der Aufklärung ausgeschöpft - und handelte außerdem in dem Wissen, dass kurz vorher Tanklaster zu einer Autobombe umfunktioniert worden seien. Kurz: "Eine schuldhafte Verletzung seiner Amtspflicht war für uns nicht festzustellen.".

Demonstranten halten gegenüber des Landgerichts Bonn Plakate hoch. (Foto: Carla Bleiker/DW)
Nach der Urteilsverkündung demonstrierten Kriegsgegner vor dem LandgerichtBild: DW/C. Bleiker

Gesetz statt Gefühl

Anwalt Mark Zimmer ist über das Urteil erfreut. "Das ist wichtig für die Regierung und für die Soldaten", erklärte Zimmer gegenüber der DW. "Zusätzlich zu physischen Gefahren im Auslandseinsatz sind in jüngster Zeit vermehrt juristische Risiken hinzugekommen. Durch dieses Urteil können sich die Soldaten rechtlich sicherer fühlen."

Dies gelte besonders, weil das Gericht klar gemacht hat, dass es auf den Zeitpunkt der Entscheidung ankomme und die Bundeswehr-Soldaten nicht falsch gehandelt hätten: "Oberst Klein hat auf der Informationsbasis entschieden, dass sich auf der Sandbank nur Aufständische befinden", sagte Zimmer. "Wenn man auf dieser Basis eine Entscheidung trifft wie die, die Oberst Klein getroffen hat, dann ist das kein Fehlverhalten." Sonnenberger hatte klargestellt, dass man Oberst Kleins Entscheidung nicht mit dem heutigen Wissen um die toten Zivilisten beurteilen dürfe.

Mark Zimmer im Kreise seiner Kollegen im Landgericht Bonn. (Foto: picture alliance/ dpa)
Verteidiger Zimmer, hier mit Kollegen im Landgericht: Oberst Klein trifft keine SchuldBild: picture-alliance/dpa

Der Anwalt der Kläger, Karim Popal, kündigte an, in Berufung zu gehen. "Das ist klassische Justiz, keine Gerechtigkeit", kritisierte Popal gegenüber der DW. "Auch für die Angehörigen ist das sehr traurig."

Abdul Hanan, einer der beiden Kläger, verlor bei dem Angriff zwei seiner Söhne. Er erzählte der DW, wie enttäuscht er über den Ausgang des Verfahrens sei: "Wir wollen, dass man Georg Klein und den Piloten aufs Schärfste bestraft. Man hat uns grundlos angegriffen und unsere Angehörigen getötet."

Zum Ende der Urteilsverkündung betonte der Vorsitzende Richter Sonnenberger, wie schwer der Kammer das Urteil gefallen sei. "Man kann es nicht allen recht tun. Wir mussten uns nicht an Gefühle, sondern an Recht und Gesetz halten."