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Kunst am Rande der Gewalt

Maria Rigoutsou3. September 2003

Kassel, die Heimatstadt der documenta, zeigt einen Querschnitt durch die aktuelle Kunst der Balkan-Länder. Politisch motivierte Arbeiten dominieren diese Schau.

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Aydan Murtezaoğlus Beitrag für "In den Schluchten des Balkan"Bild: presse

"Wie kommt man zum Londoner Museum Tate Modern?", fragen zwei Männer in Anzügen und Krawatte, die auf Eseln reiten, einen einfachen Dorfbewohner. Die Frage nach dem Weg zu einem der wichtigsten Museen für moderne Kunst der Welt stellen die zwei türkischen Künstler Sener Özmen und Erkan Özgen in ihrer Video-Installation.

Und eine mögliche Antwort lautet: "Über Kassel!" Denn René Block, der Kurator des Museums Fridericianum in Kassel, hat 88 Künstler aus allen Teilen des Balkans eingeladen, ihre Werke in der Ausstellung "In den Schluchten des Balkan" vorzustellen. Warum ausgerechnet 88 Künstler? Weil Tito 88 Jahre alt wurde! - so der Kurator.

Gleich am Eingang wird den Besuchern eine Süßigkeit namens "Balkanik" angeboten. Eine Spezialität mit Schokolade, Obst und Teig, die früher in der Türkei sehr verbreitet war. Das Rezept galt bis vor kurzem noch als verloren, wurde jedoch von der türkischen Künstlerin Eyse Erkmen wiederentdeckt. Die Leitung des Museums hat extra für diese Ausstellung einen deutschen Konditor nach Istanbul geschickt, um die Herstellung zu erlernen. Keine schlechte Idee, sich vor dem Eintritt in die Ausstellung einen "Balkanik" zu genehmigen, denn das, was hier die Besucher erwartet, ist ziemlich bitter.

Erinnerungen schmerzen

Denn obwohl über der Ausstellung kein festes Thema steht, beschäftigen sich die meisten Künstler mit dem Krieg. So beispielsweise die bosnische Künstlerin Sejla Kameric: Sie thematisiert die Vorgänge in der bosnischen Stadt Srebrenica 1995, bei dem die niederländische UN-Schutztruppe ein Massaker an der Zivilbevölkerung nicht verhinderte. Fast unbeachtet von der Öffentlichkeit blieb damals ein Graffiti im Zimmer eines niederländischen Soldaten: "Keine Zähne, einen Schnurbart und riecht nach Scheiße - ein bosnisches Mädchen". Dieses Graffiti hat die gut aussehende Künstlerin mit ihrem eigenen Foto unterlegt.

Auch die griechischen Künstler in Kassel beschäftigten sich mit Krieg und Gewalt: Die Installation von Jannis Kounellis zeigt ein Zimmer, dessen Fenster mit Eisen-Platten verbarrikadiert sind. Im Zentrum des Zimmers scheint ein schwaches Licht. Lina Theodorou hat ein Regal aufgestellt, auf dessen Brettern für das Waschmittel "Bleed" - zu Deutsch: "Bluten" - geworben wird. Als gratis Werbegeschenk gibt es dazu laut Reklame eine Pistole.

Exilkunst im internationalen Dialog

MARINA ABRAMOVIĆ In den Schluchten des Balkans Ausstellung in der Kunsthalle Fridericianum in Kassel
Marina Abramovic: Performance Balkan BaroqueBild: presse

Viele der in Kassel ausstellenden Künstler leben nicht mehr in ihren Heimatländern, sondern sind zum Teil schon seit Jahrzehnten in Westeuropa oder in den USA tätig. Ist es heutzutage auf dem Balkan wieder möglich, Kunst zu machen? Diese Frage beantwortet Sarkis, der bekannteste armenisch-stämmige Künstler aus der Türkei, der selbst seit vielen Jahren in Paris lebt, mit Ja und Nein: "Die Tatsache, dass es im Ausland für viele Künstler Ausstellungen, Museen und Galerien gibt, ist attraktiv. Aber für mich reicht das nicht. Ich persönlich habe meine Bindungen zu Istanbul abgebrochen. Dieses Kommen und Gehen, dieser Austausch ist mir wichtig."

Wichtig sind dem slowenischen Künstler Roman Uranjek auch die Kontakte zu seinen Kollegen in den anderen südosteuropäischen Ländern. Er habe großen Respekt vor ihnen, denn ethnische Konflikte hätten für sie nie eine Rolle gespielt: "Der Respekt zwischen den Künstlern und der Humor sind das Wichtigste, was wir haben."

Beeindruckend sind auch die Beiträge zweier serbischer Künstler: Das Permormance-Video der Serbin Marina Abramovic wurde bereits 1997 mit dem ersten Preis der Biennale in Venedig ausgezeichnet. Zu sehen ist ein Haufen Rinderknochen in einem dunklen Zimmer, die Künstlerin sitzt davor und säubert sie mit einer Bürste. Dazu erzählt sie eine Geschichte über die Klugheit und den guten Familiensinn der Ratten: "Wenn es aber hart auf hart kommt fressen sie sich gegeneinander auf."

Und Rasa Todosijevic hat auf einer Wand Koffer in der Form eines Hakenkreuzes aufgestellt. Ein Video zeigt seine Frau, man hört ein Geräusch, als ob sie geschlagen wird, dann die Frage des Künstlers: "Was ist Kunst?" Denn darum, so Todosijevic, drehe es sich immer.