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Kunst trifft Wissenschaft

Michael Przibilla6. August 2012

Auch Gemüse kann Kunst sein - das zeigen eine Künstlerin und ein Agrarforscher auf der dOCUMENTA (13) in Kassel. Das Öko-Projekt ist hier aber nicht die einzige Verbindung zwischen Kunst und Wissenschaft.

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Professor Jürgen Hess neben einer Gemüsesäule, die er gemeinsam mit der US-amerikanischen Künstlerin Claire Pentecost für die dOCUMENTA (13) entwickelt hat (Foto: DW/Michael Przibilla)
Bild: Michael Przibilla

Es sind keine Beete, sondern Säulen. Und genau das macht das Gemüse zum Kunstprojekt. Auf der Kunstausstellung dOCUMENTA (13) in Kassel wachsen Kohlrabi, Mangold und Mais an einem Korsett aus Eisenstangen zwei Meter in die Höhe. Das spart jede Menge Platz. Und der wird immer wichtiger, je stärker die Weltbevölkerung wächst.

"Wir haben sieben Milliarden Menschen auf diesem Planeten und bald werden es neun Milliarden sein", sagt Jürgen Hess, Professor für Ökologische Agrarwissenschaften an der Universität Kassel. "Da machen sich viele Forscher Gedanken, wie all die Menschen künftig ernährt werden können." Doch nicht nur die Wissenschaftler beschäftigt das Problem. Auch Künstler wie die US-Amerikanerin Claire Pentecost suchen nach ökologisch vertretbaren Lösungen. So entstand ihr Projekt auf der dOCUMENTA (13), das sie gemeinsam mit Jürgen Hess entwickelt hat.

Kompost als Goldbarren

Mit den Gemüsesäulen versuchen die Künstlerin und der Wissenschaftler eine Antwort zu geben. Denn die Säulen benötigen nur einen Quadratmeter Grund, bieten aber sieben Quadratmeter Anbaufläche. "Es wird aber auch darum gehen, Lebens- und Ernährungsgewohnheiten in den entwickelten Ländern zu ändern", sagt der Agrarwissenschaftler. Die Menschen in den Entwicklungsländern benötigten einen besseren Zugriff auf die eigenen Ressourcen wie Boden und Düngemittel. Ressourcen, die derzeit noch von den Industriestaaten genutzt werden, weil sie politisch mächtiger und reicher sind.

Claire Pentecost: Soil-erg, 2012 (Foto: Anders Sune Berg)
Kunst mit Kompost aus Kassel: "Soil-erg" von Claire PentecostBild: Anders Sune Berg

Um für dieses Problem einen künstlerischen Ausdruck zu entwickeln, hat Claire Pentecost für die Weltkunstschau auch Kompost in die Form von Goldbarren gepresst. Dazu hat sie Kompost genommen, der zuvor in einem Projekt an der Uni Kassel eigens entwickelt und erforscht wurde. Die Zusammenarbeit zwischen Wissenschaft und Kunst sei ungewöhnlich, sagt Professor Hess, aber fruchtbar: "Künstler und kritische Agrarwissenschaftler haben in diesem Fall dasselbe Thema", betont er. Aber Künstler hätten in der Gesellschaft andere Zugänge.

Kunst erreicht viele Menschen

"Wenn ich irgendwo einen Vortrag halte, dann kommen nicht besonders viele Leute und hören sich an, was ich zu erzählen habe", meint Hess. "Aber über die dOCUMENTA (13) kommen Zigtausende". Daher sei die Weltkunstschau, die noch bis Mitte September zu sehen ist, eine wunderbare Chance, die Ideen der Wissenschaft unter die Leute zu bringen.

Möglich wurde die Kooperation von Wissenschaft und Kunst durch das Konzept von dOCUMENTA (13)-Chefin Caroline Christov-Bakargiev. Sie arbeitet mit einem erweiterten Kunstbegriff. Die Grenzen zu Politik, Gesellschaftskritik, Philosophie oder Wissenschaft sind für sie fließend. Deutlich wird dies auch bei einem weiteren Projekt, in das die Universität Kassel eingebunden ist.

Bürger sollen mitmachen

Gemeinsam mit der Künstlerinitiative "And And And" verwandeln Landschaftsplaner und Sozialwissenschaftler städtische Brachflächen in Gärten. "Dabei geht es nicht nur darum, gärtnerisch etwas auf die Beine zu stellen", sagt Lina Eckhardt, Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Fachbereich Humanwissenschaften. Für sie steht im Vordergrund, gemeinsam an einem Projekt zu arbeiten, in dem vermittelt wird, wie man durch eigenes Handeln etwas bewirken kann.

Teilnehmer des Gartenprojekts, das die Künstlerinitiative 'And And And' gemeinsam mit der Uni Kassel entwickelt hat (Foto: DW/Michael Przibilla)
Anwohner Sebastian Zinthel (links) im NachbarschaftsgartenBild: Michael Przibilla

Wichtig sei bei diesem Projekt, dass die Kasseler Bürger mitmachen, betont Eckhardt. Sie sollen bei der Gestaltung der improvisierten Gärten in ihrer Nachbarschaft selbst Hand anlegen. So wie Sebastian Zinthel. Er wohnt in einer Kasseler Hochhaussiedlung, vor der eine verwilderte Wiese lag. Jetzt blickt er auf Tomaten und Radieschen, wenn er aus dem Fenster schaut.

Zinthel kommt regelmäßig vorbei, gießt, schaut nach dem Rechten und legt neue Beete an. Auf diese Weise habe er auch schon Nachbarn kennen gelernt, erzählt er, die ihm bislang fremd waren. Er hofft, dass die Nachbarschaftsgärten die dOCUMENTA (13)-Zeit überdauern. Nach den Plänen der beteiligten Wissenschaftler soll es auf jeden Fall weiter gehen. Die Gärten sind für sie kein Projekt für 100 Tage. Die dOCUMENTA (13), heißt es, war nur die Initialzündung.