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Kunststück

12. Mai 2012

Von Pfarrer Klaus Möllering, Berlin

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Der evangelische Pfarrer Klaus Möllering, Berlin
Pfarrer Klaus Möllering, BerlinBild: GEP

Eine Kerze. Sanft und ruhig brennt sie. Es ist ein Bild von einer Kerze - eine Ikone der modernen Kunst. Bis morgen wird sie noch in Berlin zu sehen sein – auf der großen Gerhard - Richter – Ausstellung, die Sonntag zu ende geht. Seit drei Monaten haben die Besucher sich in der langen Schlange vor der Neuen Nationalgalerie dafür angestellt, weit mehr als 300.000 sind gekommen, um sich dort dieses „Panorama“, diesen beeindruckenden Überblick über Richters aufregendes Lebenswerk anzusehen.

Aber die Kerze ist so etwas wie der heimliche Star dieser außergewöhnlichen Ausstellung: 12 Millionen Dollar hat jemand dafür neulich gezahlt. 12 Millionen für das Bild einer einfachen, brennenden Kerze! Nichts sonst ist darauf zu sehen - kein Leuchter, gar nichts lenkt einen ab: Nur das Licht, das sich verzehrt; in diesem Bild, das damit die Zeit anhält. Ein Symbol des Vergehens, im Bild verewigt. Vergehen und Ewigkeit - ist es das, was so viele Menschen in dieser großen Ausstellung daran fasziniert?

„Es ist …ein Wunsch“, so sagt es der Maler Gerhard Richter von seiner Arbeit, „ein beständiges Kriterium beim Umgang mit Kunst, dass sie etwas berühren soll, das über uns hinausgeht.“ Und er fügt hinzu: „Ich weiß nicht, wie ich die Qualität beschreiben soll, die nur die Kunst hat (egal ob Musik, Literatur oder Malerei, oder was auch immer), diese Qualität, die einfach da ist und bleibt.“

Eine Kerze. Man wird ganz ruhig, wenn man dieses Bild betrachtet. Andächtig. Eben so, wie Menschen sich immer schon gesammelt haben vor den Kerzen an Altären und Kruzifixen: Vor Bildern, die über die Jahrhunderte dunkel geworden sind von all den Bitten und Sorgen, die ihnen dabei in den Herzen brannten. Als ich zusammen mit so vielen anderen vor einigen Wochen vor Gerhard Richters Kerzenbild stand, hatte ich den Eindruck: Auch die vielen, die heute dafür eher ins Museum als in eine Kirche gehen, sehen aus dieser schlichten Kerze etwas von all den großen Wünsche leuchten, für die nach wie vor Kerzen in Kirchen angezündet werden. Das macht dieses Bild zur „großen Kunst“. Wer auf diese kleine Flamme schaut, spürt darin etwas von der eigenen, unendlichen Sehnsucht. Es bleibt nicht bei der Ehrfurcht vor einem wertvollen Bild. Die Kunst dieses Kunstwerks liegt eben darin, dass es damit die Menschen in ihrer Seele berührt.

Die Kerze brennt. Und sie bleibt. Sie steht für etwas, das über uns und unsere Wünsche weit hinausgeht und stellt uns dies doch irgendwie vor Augen. Gerhard Richter selbst macht stets wieder die Erfahrung, dass seine Bilder – so sagt er es - „klüger sind“ als er. Da trifft also auch ein solcher Meister auf etwas, das größer ist als seine eigene Kunst. Darin – ja: „offenbart“ sich etwas, was Menschen bis heute anrührt. Ich glaube, es ist eben die Erinnerung an die für manche zwar schon ferne, aber für viele doch längst noch nicht vergangene Welt des Glaubens. Das Bild bringt die Kerze, das Symbol dieser Glaubenswelt, zum Sprechen. Es spricht von der Hoffnung, die unsere Welt heller macht. Vom großen Wunsch, dass sie nicht so düster bleibt, wie sie oft erscheint - in den großen Katastrophen und Konflikten der aktuellen Nachrichten genauso wie in manchen Abgründen unseres persönlichen Alltags.

Die Kunst des Glaubens besteht eben darin, sich nicht einfach mit dem Bild abzufinden, das diese Welt bietet. Sie lebt von der brennenden Hoffnung wie auch von der bleibenden Zuversicht, dass diese Welt sich ändern muss und wird. Man muss dafür allerdings kein großer Meister sein, um die Welt in einem solchen Licht zu sehen. Viele haben sich durch alle Zeiten hindurch in dieser Kunst des Glaubens geübt. Sie zeigt sich im Beten.

Ein Gedanke, der gar nicht so fern liegt: Der morgige Sonntag, der letzte Tag der großen Richter-Ausstellung, ist nämlich zugleich der Sonntag, der unter Christen „Rogate“ heißt: „Betet!“ Eine Aufforderung, auch das Licht der Kunst des Betens nicht unter den Scheffel zu stellen, sondern es überall leuchten zu lassen und sei es im Museum!