1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen
Politik

Kurden-Konflikt: 10 Fragen, 10 Antworten

Thomas Kohlmann | Shabnam von Hein | Nina Werkhäuser | Basak Özay | Nicolas Martin
17. Oktober 2017

Der kurdische Traum handelt von Unabhängigkeit und Einheit. Dafür wird seit einem Jahrhundert von der Türkei bis in den Iran gekämpft und untereinander gestritten. Im Irak spitzt sich die Situation nun zu. Ein Überblick.

https://p.dw.com/p/2m1Ry
Menschen mit Flaggen auf einem Platz in Erbil, aufgenommen September 2017
Kurden im Nordirak feiern das Ergebnis des UnabhängigkeitreferndumsBild: Eddy van Wessel

Warum sind die Kurden so zersplittert?

Die Kurden bezeichnen sich selbst als "größtes Volk ohne Land". Insgesamt leben zwischen 25 und 30 Millionen Kurden zwischen der Türkei und Iran (siehe Grafik). Einen eigenen Staat, der sich über das komplette Gebiet der kurdischen Bevölkerung erstreckt, hat es nie gegeben. Nach dem Zusammenbruch des Osmanischen Reiches erreichten sie allerdings weitgehende lokale Autonomie - die wurde aber schon wenige Jahre später wieder aufgehoben. Der Traum viele Kurden von einem Staat namens "Groß-Kurdistan" lebt weiter. Doch die Kurden sprechen nicht wirklich mit einer Stimme. Es gibt drei kurdische Sprachen und unterschiedliche Religionszugehörigkeiten. Die Aufstände von Kurden für mehr Unabhängigkeit begannen zu Beginn des 19. Jahrhunderts. Momentan machen vor allem die Kurden im Irak auf sich aufmerksam. Dort stehen sich mittlerweile das irakische Militär und Truppen der kurdischen Autonomieregion gegenüber.

Infografik Karte Kurdische Siedlungsgebiete DEU

Wie ist die Lage im kurdischen Nordirak?

Noch vor drei Wochen ertönten Hupkonzerte auf den Straßen von Erbil, der Hauptstadt der autonomen Region Kurdistan im Nordirak. Die Kurden bejubelten die überwältigende Mehrheit, mit der sie in einem umstrittenen Referendum für die Abspaltung vom Irak gestimmt hatten. Ihre Unabhängigkeit schien nah. Bagdad möchte die Abspaltung der Kurden aber mit allen Mitteln verhindern und schickte das Militär. Nach ersten Gefechten zogen sich die kurdischen Einheiten, die Peschmerga, zumeist kampflos zurück. Inzwischen ist die ölreiche Stadt Kirkuk wieder in den Händen der irakischen Arme. Wie die Kurden nun reagieren, ist offen.

Was machen Bundeswehr-Soldaten im irakischen Kurdengebiet?

Mit Vorrücken des sogenannten Islamischen Staates von Syrien in den Nordirak mobilisierten sich auch die kurdischen Peschmerga und hielten die Terrormiliz IS in Schach. Nach Bekanntwerden der Gräueltaten des IS beschloss die Bundesregierung in Berlin, Waffen und Militärausbilder zu den Peschmerga zu schicken. 32.000 Handfeuerwaffen und 30 Millionen Schuss Munition sind seither geliefert worden. Deutsche Soldaten haben in Erbil mehr als 14.000 Kurden ausgebildet. Wegen der nun zunehmenden Anspannung zwischen den irakischen Kurden und der Zentralregierung setzte die Bundeswehr die Ausbildungsunterstützung nun aus. Die deutschen Soldaten sind aber noch immer in der Region.

Irak Bnaslawa nahe Erbil Ausbildung der Peshmerga durch die Bundeswehr
Im Übungsdorf "German Village" werden Peschmerga-Kämpfer trainiertBild: picture-alliance/dpa/M. Kappeler

Wie sieht die Bundesregierung die Situation?

Die Bundesregierung beobachtet den Konflikt im Nordirak mit großer Sorge. "Niemand sollte meinen, es gebe eine militärische Lösung für die innerirakischen Spannungen, die in den letzten Tagen zutage getreten sind", erklärte der deutsche Außenminister Sigmar Gabriel. Das habe er am Montag in einem Telefonat dem irakischen Ministerpräsidenten deutlich gemacht. "Eine Eskalation schwächt alle Seiten und droht vor allem, den Irak und die Region nachhaltig zu destabilisieren." Militärische Handlungen müssten umgehend eingestellt und eine Lösung am Verhandlungstisch gefunden werden. Die Bundesregierung hatte bereits das Unabhängigkeitsreferendum kritisiert.

Welche Rolle spielt Iran?

Auch in Iran leben bis zu zwölf Millionen Kurden. Sie sind in der iranischen Gesellschaft gut integriert, kritisieren aber seit Jahrzehnten, von Teheran diskriminiert zu werden und fordern mehr sprachliche und kulturelle Rechte. Viele der Kurden leben entlang der Grenze zum nördlichen Irak. Dort unterstützen viele Menschen vorsichtig die kurdischen Nachbarn. Zwar hat der Iran die Kurden im Irak im Kampf gegen den IS unterstützt, nun ist Teheran aber zurückgerudert. Der aktuelle Konflikt im Nordirak macht die schiitische iranische Regierung nervös. Sie fürchtet einen Flächenbrand und arbeitet deshalb eng mit der ebenso schiitisch geführten Regierung im Irak zusammen.

Türkei Nouruz Neujahrsfest in Diyarbakir
Neujahrsfeierlichkeiten in der kurdisch geprägten Stadt Diyarbakir im Osten der TürkeiBild: Reuters/S. Kayar

Wie steht es um die Wirtschaft in den Kurdengebieten?

Die von Kurden bewohnten Regionen im Osten der Türkei gelten als wirtschaftlich schwach und leiden unter dem Konflikt mit der türkischen Regierung. Auch im Iran gelten die Siedlungsgebiete der Kurden als wirtschaftlich weniger entwickelt als der Rest des Landes, sie sind vor allem landwirtschaftlich geprägt. Die Kurdengebiete im Nordirak verfügen über große Öl- und Gasvorkommen. Laut Experten werden dort knapp 650.000 Fass Öl täglich gefördert. Doch als ökonomische Grundlage für eine Unabhängigkeit reicht die Förderung nach Schätzungen nicht aus. So geht der frühere CIA-Direktor David Petraeus davon aus, dass die Kurden im Irak knapp eine Million Fass pro Tag fördern müssten, um einen unabhängigen Staat am Leben zu halten.

Wo spielt die Kurden-Frage noch eine Rolle?

Neben dem Nordirak brodelt es auch weiterhin in der Türkei. Dort leben circa elf Millionen Kurden im Südosten des Landes. Auch ihnen geht es um mehr Autonomierechte. Radikale Gruppen fordern sogar die Spaltung des kurdischen Gebiets. Die Lage hat sich seit Ende der 70er Jahre durch die Gründung der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) zugespitzt. Sowohl in der Türkei als auch in den USA und der EU gilt die PKK als Terrororganisation. Im türkischen Kurdenkonflikt sind bereits mehr als 40.000 Menschen getötet worden, Schätzungen zufolge waren mehr als die Hälfte davon Mitglieder der PKK. Die türkische AKP-Regierung leitete von 2002 an einen "Prozess der Öffnung" ein. Seit Juli 2015 ist die Gewalt aber wieder eskaliert. So ist die Regierung mehrmals militärisch in den Kurdengebieten einmarschiert.

Was fordert die Türkei von den Kurden?

Der türkische Staat befürchtet, dass die Kurden sich von der Türkei abspalten und einen eigenen Staat gründen könnten. Zwar ist der Chef der PKK, Abdullah Öcalan, seit 18 Jahren inhaftiert, die Kämpfe zwischen den türkischen Streitkräften und der PKK dauern aber an. Die Türkei verlangt von der PKK, die Waffen niederzulegen. Auch die prokurdische Partei HDP wird unter Druck gesetzt. Der HDP-Vorsitzende ist derzeit in Haft. Ihm wird Terrorpropaganda und Terrorunterstützung vorgeworfen - wie auch den vielen weiteren inhaftierten HDP-Politikern. Entwicklungen wie das Unabhängigkeitsreferendum im Nordirak betrachtet man in Ankara als Gefahr für die staatliche Sicherheit.

Alewiten und Kurden demonstrieren in Köln gegen Erdogan
Für viele Kurden weiter ein Idol: Abdullah ​Öcalan. Kurden-Demonstrationen gegen den türkischen Regierungschef in Köln.Bild: picture-alliance/AP Photo/M. Meissner

Wie rechtfertigt die PKK ihre Anschläge?

Die PKK hat Terroranschläge meist mit der Unterdrückung des kurdischen Volkes gerechtfertigt. Aus Sicht der PKK waren die Operationen der türkischen Armee im kurdischen Gebiet unangemessen und zielten darauf ab, das kurdische Volk zu "assimilieren". Zunächst forderte die PKK einen eigenen kurdischen Staat im Südosten der Türkei, mit der Zeit hat sie auf diese Forderung aber verzichtet und beharrt inzwischen auf der "demokratischen Autonomie" innerhalb der Grenzen der Türkei. Radikalen Gruppen der PKK unterstützen aber weiterhin die Unabhängigkeit.

Gibt es eine Lösung für die Kurden-Frage?

Kaum, zumindest nicht schnell. Die Kurden-Frage kann wohl nur in den einzelnen Ländern einzeln gelöst werden. Und dort sieht es momentan nicht nach Entspannung aus. In der Türkei und im Irak ist das Misstrauen sehr groß. Das Unabhängigkeitsreferendum im Nordirak hat einmal mehr gezeigt: Innerhalb der bestehenden staatlichen Ordnung sehen viele Kurden ihre Zukunft nicht. Auf der anderen Seite zeigt auch der Umgang der Regierungen in beiden Ländern, dass man an Zugeständnissen an die Kurden wenig Interesse hat.