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Kureia auf schwierigem Posten

Bettina Marx, Tel Aviv17. Februar 2004

Der Ministerpräsident der Palästinenser ist zu Besuch in Deutschland. Mit Kanzler Schröder, Bundespräsident Rau und Außenminister Fischer erörtert Kureia die Lage in Nahost. Sein Amt ist eine Mammutaufgabe.

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Ahmed Kureia bei Kanzler SchröderBild: AP

Als Ahmed Kureia im September 2003 das Amt des palästinensischen Regierungschefs übernahm, wusste er, dass er eine fast unmögliche Aufgabe vor sich hatte. Er sollte eine effiziente und schlagkräftige Regierung bilden, die palästinensische Behörde reformieren, die Wirtschaft wieder auf die Beine stellen, die radikalen Kräfte im Westjordanland und im Gazastreifen zügeln und in einen neuen Dialog mit Israel eintreten. Das alles, ohne den von Israel gebannten Präsidenten der palästinensischen Autonomiebehörde Jassir Arafat vor den Kopf zu stoßen. Und ohne den ohnehin nur spärlich vorhandenen Rückhalt in der palästinensischen Öffentlichkeit gänzlich zu verlieren.

Fügsam zum Erfolg

Sein glückloser Vorgänger, Mahmud Abbas, war an dieser Mammutaufgabe nach nur 100 Tagen im Amt gescheitert – zermürbt vom Dauerkonflikt mit Arafat und der unnachgiebigen Haltung Israels. Und auch Kureia wollte schon bald das Handtuch werfen. Nach wenigen Wochen an der Spitze einer Notstandsregierung drohte er seinen Rücktritt an, nachdem er sich nicht mit Arafat über die Nominierung des Innenministers hatten einigen können. Schließlich jedoch gab er nach, fügte sich in die von Arafat dominierten Machtverhältnisse und blieb als Regierungschef im Amt.

Anders als sein Vorgänger Abbas verstand er sich nach den ersten Meinungsverschiedenheiten mit dem palästinensischen Präsidenten als Ministerpräsident von dessen Gnaden und in dessen Auftrag. Und anders als Abbas ging er zunächst einem Treffen mit Israels Regierungschef Ariel Scharon bewusst aus dem Weg. Die Zeit dafür sei noch nicht gekommen, sagte er zuletzt Anfang Januar 2004. Er werde sich mit Scharon erst dann treffen, wenn eine solche Begegnung substantielle Fortschritte bringen werde.

Mögliches Treffen mit Scharon

Erst nach dem letzten schweren palästinensischen Selbstmordanschlag in Jerusalem, bei dem am 29. Januar 2004 mehr als zehn Menschen ums Leben kamen, erklärte sich Kureia zu einem baldigen Treffen mit Scharon bereit. Mehrfach bereits sind die Bürochefs beider Ministerpräsidenten zusammengekommen, um das erste Gespräch vorzubereiten. Auf der Tagesordnung steht eine ganze Reihe von drängenden Fragen, nicht zuletzt der von Israel im Westjordanland gebaute Sicherheitszaun und der Vorstoß des israelischen Regierungschefs, die Siedlungen im Gazastreifen zu räumen.

Abhängig von Israel und der Hamas

Erst nach einigem Zögern hatte sich die palästinensische Autonomieregierung vorsichtig zustimmend geäußert. Kein Palästinenser werde sich einem Rückzug der Israelis in den Weg stellen, hieß es in Ramallah. Doch in Wirklichkeit ist man in der palästinensischen Autonomiebehörde tief besorgt über die möglichen Auswirkungen eines israelischen Rückzugs. Denn die Regierung in Ramallah übt im Gazastreifen schon lange keine Autorität mehr aus. Das Gebiet mit seinen rund 1,4 Millionen Einwohnern wird von den extremistischen radikal-islamischen Gruppen dominiert.

Vor allem die Hamas-Bewegung genießt hier breite Unterstützung in der völlig verarmten Bevölkerung. Denn die Hamas ist nicht nur eine Widerstandsbewegung, die den Terror in die israelischen Städte trägt und dabei auch und vor allem israelische Zivilisten nicht schont, sie hat außerdem ein breit gefächertes Netzwerk sozialer Einrichtungen, die dort einspringen, wo die von Korruption und Misswirtschaft geplagte Autonomiebehörde versagt. Sollte sich Israel in einem einseitigen Schritt aus dem Gazastreifen zurückziehen, ohne gleichzeitig in Verhandlungen über die Zukunft des Westjordanlandes einzutreten, so fürchtet man in Ramallah, wird der Gazastreifen noch effektiver als bisher vom Rest der palästinensischen Gebiete abgeschnitten und entweder der Anarchie oder der Hamas anheim fallen.

Tagtägliche Anarchie

Auch im Westjordanland selbst hat die palästinensische Autonomiebehörde keine wirkliche Regierungsgewalt. Das Gebiet ist in mehrere unzusammenhängende Kantone zerschnitten, Dörfer und Städte sind voneinander und häufig auch von der Außenwelt abgeriegelt, die israelische Armee schaltet und waltet nach eigenem Gutdünken. Im nördlichen Westjordanland haben bewaffnete palästinensische Banden – häufig von der libanesischen Hisbollah-Miliz gesteuert – das Machtvakuum ausgefüllt und bestimmen mit ihrem rücksichtslosen Kampf das Leben der Palästinenser. Ahmed Kureia und seine Regierung stehen diesen Herausforderungen machtlos gegenüber. Denn nach wie vor zieht Jassir Arafat in Ramallah die Fäden.