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Kursrallye mit Fragezeichen

Thomas Kohlmann23. Juni 2003

Kaum hatte der Dax die 3300-Punkte-Marke überwunden, da träumte mancher Börsianer vom Ende der Talsohle. Ob die Reise aber dauerhaft nach oben geht, ist noch völlig offen.

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Rückkehr der Zombie-Aktien: Seit März 2003 haben sich viele Kurse verdoppeltBild: AP

Der Dow über 9000, der Dax auf Jahreshöchststand: Viele Anleger reiben sich in diesen Tagen ungläubig die Augen und rätseln über die rasante Kurserholung an den Aktienmärkten. Denn noch immer gibt es keine verlässlichen Anzeichen über ein Ende der weltweiten Konjunkturflaute. Auch die weitere Entwicklung in den USA steht völlig in den Sternen. Auf fast jedes positive Konjunktursignal folgen Wirtschaftsdaten, die dafür sprechen, dass der erhoffte Aufschwung in der globalen Leitwirtschaft noch auf sich warten lässt.

Die Erholung an den Märkten geht trotzdem weiter. Die Hoffnung auf eine nachhaltige Kurserholung an der Wall Street ist so groß, dass die Kurse der börsennotierten Aktienhändler und Brokerhäuser, im "Amex Broker Dealer Index" zusammengefasst, ihren seit 2000 anhaltenden Abwärtstrend verlassen haben. Das Kalkül der Anleger ist einfach: Steigen die Kurse, kehren auch die Kleinanleger an die Börse zurück. Und dann legt auch das Geschäft von Online-Brokern wie E Trade und Investmenthäusern wie Goldman Sachs oder Morgan Stanley zu.

Wiederauferstehung der Zombie-Aktien

Der aktuelle Kursanstieg hat selbst vor den am schlimmsten gebeutelten Titeln aus der High-Tech-Branche nicht halt gemacht. Dabei gibt es noch immer keinen Grund, davon auszugehen, dass sich das Geschäft eines Unternehmens wie Novell schlagartig verbessert. Nachdem Microsoft in den 1990er Jahren mit seinem Betriebssystem Windows NT dem ehemaligen Weltmarktführer für Netzwerklösungen Novell den Boden unter den Füßen weggezogen hatte, stürzte das Unternehmen in immer neue Krisen – bis heute. Der Kurs hat sich in den letzten Monaten trotzdem verdoppelt.

Der jüngste Nasdaq-Höhenflug hat Werte nach oben gespült, denen Technologie-Experten nach wie vor keine berauschende Zukunft zutrauen. Die Aktien des Internet-Informationsdienstes Infospace haben sich seit ihrem Jahrestief mehr als vervierfacht. Das Unternehmen hatte traurige Berühmtheit erlangt, als bekannt wurde, dass der frühere Top-Analyst von Merrill Lynch, Henry Blodget, die Infospace-Papiere intern als "Müll" bezeichnet – sie der Öffentlichkeit aber als heißen Aktientipp verkauft hatte.

Wiedergeburt der Finanztitel

Sein neues Jahreshoch verdankt der Dax zu einem wesentlichen Teil der rasanten Kurserholung bei Bank- und Finanzaktien. Mit Allianz, Münchner Rück und MLP, sowie den Aktien der deutschen Großbanken gespickt, profitiert das deutsche Börsenbarometer besonders stark von der Erholung der Finanzwerte. MLP-Aktien haben seit dem Frühjahr um mehr als 100 Prozent zugelegt. Münchner Rück und Allianz-Aktien stehen jeweils rund 90 Prozent über ihren Tiefs von Ende März.

Selbst die Kurse der einstigen Stars des mittlerweile zu Grabe getragenen Neuen Marktes heben ab: Aktien wie Computer Links oder Freenet stiegen in nur drei Monaten um 150 beziehungsweise 120 Prozent. Dem entsprechend gut läuft es auch beim Nachfolge-Index TecDax. Der aktuelle Aufschwung zeige eben, so Fondsmanager Heiko Veit, dass viele Unternehmen aus dem untergegangenen Neuen Markt zu Unrecht abgestraft worden sind. Er räumt aber ein: "Bei einigen Unternehmen ist Vorsicht geboten."

Optimistische Börsenpsychologen

Insgesamt positiv sehen die Frankfurter Börsenpsychologen von Cognitrend in die nähere Zukunft. Das Unternehmen aus dem Frankfurter Finanzviertel befragt im Auftrag der Deutschen Börse einmal pro Woche rund 150 institutionelle Anleger zu ihrer Markteinschätzung. Die Daten bilden die Grundlage zur Berechnung des "Dax-Bull-Bear-Index". Und auch wenn dort zur Zeit die Pessimisten in der Mehrheit sind. Denn wenn es erst einmal 400 Punkte nach unten geht, so die Einschätzung von Cognitrend-Stratege Gianni Hirschmüller, dann steigen auch wieder die ein, die zuvor Kasse gemacht haben: "Das, was wir hier sehen, ist der Trieb dabei zu sein. Das ökonomische Umfeld gibt diese Kursanstiege zwar nicht her und viele Anleger haben auch ein Problem damit, bei Jahreshöchstständen einzusteigen. Doch sie müssen – wohl oder übel - auf den fahrenden Zug aufspringen, um mit dabei zu sein. Und deshalb sehen wir die Zukunft beim Dax weiter rosig", meint Hirschmüller. 3.600 lautet die neue Zielmarke, die er und sein Partner Joachim Goldberg für den Dax anvisieren. Ein durchaus realistisches Szenario, meint ein Frankfurter Händler: "Solange nicht wieder ein Flugzeug in irgendein Hochhaus stürzt."