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Beck: Nicht die Flinte ins Korn werfen

Fabian von der Mark22. April 2016

Kurt Beck war einer der erfolgreichsten SPD-Politiker seit der Wiedervereinigung. 2008 wurde er von der Parteispitze verjagt. Die Genossen standen damals ähnlich schlecht da wie heute.

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Kurt Beck und Malu Dreyer (Foto: dapd)
Kurt Beck und Malu DreyerBild: dapd

Umfrage-Tief der SPD, Kritik am Vorsitzenden der Sozialdemokraten, Satire-Streit: Vieles erinnert diese Tage an die Ära Beck. Nach einem Schlaganfall hat sich der langjährige Ministerpräsident von Rheinland-Pfalz wieder erholt und äußert sich als Vorsitzender der SPD-nahen Friedrich-Ebert-Stiftung (FES) zur Lage im Land.

Er empfängt am langen Besprechungstisch in seinem Büro. An der Wand Portraits von Karl Marx, Willy Brandt, August Bebel. Vom Schreibtisch aus kann Kurt Beck die Botschaften der Vereinigten Arabischen Emirate und von Nordrhein-Westfalen sehen. Sein Markenzeichen - die Frisur - ist unverändert: Vorn: kurze Bürste, hinten: schulterlang. Vor dem DW-Interview hat er mit dem Botschafter Ruandas die Eröffnung eines FES-Büros besprochen. Es soll jetzt aber um die Lage in Deutschland, den Niedergang der SPD und die Grenzen von Satire gehen.

DW: Herr Beck, Sie haben in Rheinland-Pfalz noch mit absoluter Mehrheit regiert. Ihre Nachfolgerin Malu Dreyer braucht nun zwei weitere Parteien, die Grünen und die Liberalen, um regieren zu können. Warum schwächeln die Volksparteien in Deutschland?

Kurt Beck: Erst mal ist es ein großartiger Erfolg für die SPD und Malu Dreyer. Wenn dem Parlament fünf Parteien angehören, werden ungewohnte Koalition eher die Regel sein. Der Grund dafür ist wahrlich kein schöner: die neue Stärke der Rechtspopulisten. Aber es ist gut und richtig, solch eine neue Koalition in einem Bundesland auszuprobieren. Immer nur große Koalitionen als einzige Möglichkeit - das wäre demokratiegefährdend. Man sieht in Österreich, dass dann die Ränder immer stärker werden.

In Umfragen liegt die SPD bundesweit bei gerade mal 20 Prozent…

Wir müssen unsere hervorragende Arbeit in der großen Koalition deutlicher hervorheben. Wir haben den Mindestlohn eingeführt, eine Rentenreform auf den Weg gebracht, den sozialen Wohnungsbau gestärkt. Aber es hilft nicht, nur aufzuzählen. Die SPD muss auch sagen, was jetzt ansteht. Konkret: Wer ein Leben lang hart gearbeitet hat, muss im Alter auch abgesichert sein. Das darf unsere Gesellschaft nie aufgeben. Und wer in Deutschland Steuern zu zahlen hat, der darf sich dem nicht entziehen. Dafür muss die SPD einstehen. Wenn sie dann fünf oder sechs Prozent von der Union zurückholt, ist sie wieder auf Augenhöhe. Es gibt überhaupt keinen Grund, die Flinte ins Korn zu werfen.

Welche Rolle spielt die Bundeskanzlerin für die SPD? Angela Merkel hat doch mit ihrem Flüchtlingskurs sehr viele SPD-Wähler zur CDU geholt.

In der Flüchtlingsfrage waren die Art der Menschlichkeit und die Suche nach Lösungen richtig, und sie bleiben es. Dabei war die SPD die einzig geschlossene Stütze für Frau Merkel. Die CDU war gespalten, die CSU dagegen. Aber die CDU wird es auf Dauer nicht aushalten, immer mehr Raum im rechten demokratischen Spektrum den Rechtspopulisten zu überlassen. Da rumort es schwer. Und der Streit wird sich nicht auf Dauer unter der Decke halten lassen. Entweder reagiert die CDU und macht damit im Mitte-Links-Feld wieder Platz - oder es muss deutlicher werden, dass da eine unwahrhaftige Politik verkauft wird. Die SPD hat da in den nächsten anderthalb Jahren gute Chancen.

In der SPD rumort es aber auch. Parteichef Sigmar Gabriel holte auf dem letzten Parteitag nur 74 Prozent und bot zuletzt seinen Rücktritt an. Ist er noch Teil der Lösung oder Teil des Problems der SPD?

Sigmar Gabriel ist der gewählte Vorsitzende. Er macht als Bundeswirtschaftsminister einen hervorragenden Job. Ständige Personalwechsel haben der SPD selten geholfen - im Gegenteil. Wenn man jemanden vorne hinstellt, dann hat er Unterstützung verdient. Und meine hat er.

Sigmar Gabriel und Abdel Fattah al-Sisi in Kairo (Foto: dpa)
Der SPD-Vorsitzende Gabriel erntete Kritik für seine Äußerungen in ÄgyptenBild: picture-alliance/dpa/B.v. Jutrczenka

Gabriel wurde zuletzt kritisiert, weil er den ägyptischen Staatschef Abdel Fattah al-Sisi als "beeindruckenden Präsidenten" bezeichnete. Sie standen 2007 im Feuer, als Sie auf einer Afghanistan-Reise anregten, auch mit "moderaten Taliban" das Gespräch zu suchen. Ist das vergleichbar?

Es gibt Pawlowsche Reflexe in Deutschland. Da kläfft jeder los, ohne mal zu schauen, worum es eigentlich geht. Hinter meinem Vorschlag standen damals unglaublich viele Gespräche - schade drum.

Sigmar Gabriel hat in Ägypten getan, was man von ihm erwartet. Erstens: Er hat sich höflich verhalten. Zweitens hat er parallel sehr deutlich Defizite der ägyptischen Politik angesprochen. Jemanden persönlich ans Schienbein zu treten und dann zu sagen "Aber jetzt verändere mal was an deiner Politik und lass uns die wirtschaftlichen Beziehungen intensivieren" - das passt nicht. Wenn man so deutlich Menschenrechts- und Rechtsstaatsfragen anspricht und doch mit Milliardendeals für die deutsche Wirtschaft und damit für Arbeitsplätze heimkommt, hat man Anerkennung verdient und nicht überzogene Kritik.

Deutschland hat zuletzt intensiv über den Umgang mit Satire diskutiert. Der ZDF-Moderator Jan Böhmermann hatte sich am türkischen Präsidenten Erdogan abgearbeitet. Sie haben selbst auch schon mal gegen das Satire-Magazin Titanic geklagt. (Anm. d. Red.: Auf dem Titel der Zeitschrift "Titanic" war Kurt Beck abgebildet. Der Text dazu: "Problembär außer Rand uns Band: knallt die Bestie ab.") Finden Sie die Reaktion der Kanzlerin auf die Böhmermann-Satire richtig?

Damals hatten meine Familie und ich konkrete Bedrohungslagen auszuhalten. Da hört irgendwann auch mal die Toleranz auf. Deshalb habe ich damals eine Unterlassungsverfügung erwirkt.

Ich bin sehr dafür, dass Satire ganz viel darf. Aber wer viel Freiheit hat, muss damit auch verantwortlich umgehen. Ausländische Staatsoberhäupter darf man heftig kritisieren. Aber sie persönlich etwa in Zusammenhang mit Sodomie zu bringen - das kotzt mich eher an, als dass es für mich ein Zeichen von Freiheit ist. Dennoch: Frau Merkel hätte es damit bewenden lassen sollen, dass Herr Erdogan persönlich geklagt hat, und sie hätte nicht den Weg frei machen dürfen für dieses Verfahren wegen Majestätsbeleidigung. Das war politisch falsch, weil sie sich dem Verdacht aussetzt, im Licht des Türkei-Deals willfährig zu entscheiden.

Haben Sie persönlich den Frieden mit den Parteifreunden von damals gemacht?

Was ich öffentlich sagen wollte, habe ich in meinem Buch geschrieben. Darüber hinaus bleibt alles andere bei mir persönlich. Diese innere Aussöhnung hat mir Freiheit gegeben. Und ich habe heute den Eindruck, dass mein Rat gesucht und gehört wird. Ansonsten interpretiere ich meine Rolle als Vorsitzender der Stiftung so, dass es um die Stärkung von freiheitlichem, demokratischem Leben und sozialer Gerechtigkeit geht. Und das in aller Diskretion programmatisch in die Politik einbringt.