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Länder-Rebellion gegen Merkels Atomkurs

27. August 2010

Kanzlerin Merkel hat ihre Energiereise beendet, der Streit um die Energiepolitik fängt erst so richtig an: Wie lange sollen die AKWs weiter laufen? Und was sollen die Energie-Multis für ihre Zusatzgewinne zahlen?

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Merkel im Wasserkraftwerk Rheinfelden (Foto: AP)
Auf Tour: Merkel im Wasserkraftwerk RheinfeldenBild: AP

Vier Tage lang ist Angela Merkel quer durch die Republik getourt, auf "Energiereise". Die Kanzlerin besuchte einen Windpark an der Ostsee, ein Kohlekraftwerk am Rande des Ruhrgebiets und traf im Atomkraftwerk Emsland in Lingen die Bosse von RWE und Eon – zwei der vier großen Stromkonzerne in Deutschland.

Die heikelste Frage hat sie während der Energietour allerdings nicht beantworten können: Wie lange sollen die deutschen Atomkraftwerke noch am Netz bleiben – und was sollen die Konzerne für die Milliardengewinne zahlen, die ihnen eine Laufzeitverlängerung bringt?

Windpark (Foto: enbw)
Auch einen Windpark hat die Kanzlerin besichtigtBild: EnBW/Mathias Ibeler

Am Freitag (27.8.2010) hat Merkels Regierung immerhin eine Entscheidungshilfe bekommen: Zwei mit Spannung erwartete Gutachten trafen im Wirtschafts- und Umweltministerium ein. Darin haben Experten durchgerechnet, wie sich Verlängerungen der AKW-Laufzeiten um vier, zwölf, 20 und 28 Jahre auf Strompreise, die Versorgungssicherheit und den Energiemix auswirken würden. Mit dem Rat der Experten im Rücken wollen sich Merkel & Co. bis spätestens Ende September für ein Energiekonzept entscheiden. Dann soll klar sein, in welchem Umfang Ökostrom die Energieversorgung in Zukunft sichern soll – und wie lange die AKWs weiter laufen dürfen.

Bundesländer wollen klagen

Egal wie die Regierung sich in Sachen AKWs entscheiden wird – sie muss mit Widerstand der Bundesländer rechnen. Denn neun der 16 Länder lehnen eine Verlängerung der Laufzeiten komplett ab, darunter auch die CDU-geführten Länder Hamburg, Thüringen und das Saarland. Sollte der Bundesrat bei einer Entscheidung für längere AKW-Laufzeiten umgangen werden, werde man vor dem Bundesverfassungsgericht klagen, kündigten Minister aus Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz an. Im Bundesrat haben Union und FDP seit der jüngsten Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen keine Mehrheit mehr.

"Wir meinen, dass die Bundesregierung mit dem Versuch, die Laufzeiten zu verlängern - und das an den Bundesländern vorbei - gegen das Grundgesetz verstößt", sagte der nordrhein-westfälische Umweltminister Johannes Remmel (Grüne). Merkel betonte mit Blick auf die Klageandrohung: "Wir werden natürlich auf einer rechtssicheren Basis unsere Beschlüsse fassen." Was rechtlich möglich sei, werde dann auch umgesetzt.

Konzerne agitieren gegen Brennelementesteuer

Merkel und der EnBW-Vorstandsvorsitzende Hans-Peter Villis (Foto: AP)
Agitierte gegen neue Steuer: EnBW-Chef VillisBild: AP

Und nicht nur die Länder machen es der Regierung schwer bei ihrem neuen Energiekurs, die Energiekonzerne agitieren seit Tagen gegen die geplante Brennelementesteuer, mit der Kernbrennstoffe ab 2011 besteuert werden sollen. 2,3 Milliarden Euro soll die Steuer bringen und den Bund auch bei den Kosten für das Atommüll-Endlager Asse entlasten.

Verlängert Schwarz-Gelb die Laufzeiten der AKWs, sollen die vier Großkonzerne Eon, RWE, EnBW und Vattenfall darüber hinaus zusätzlich zur Kasse gebeten werden. Auf diese Weise sollen die enormen Zusatzgewinne abgeschöpft werden und mehr Geld in den Ausbau von Öko-Strom fließen.

Abgabe oder Beitrag?

Die Frage ist nur: Wird die Industrie verpflichtet oder reicht ein freiwilliger Beitrag, der dann sogar noch mit eigenen Investitionen der Unternehmen verrechnet wird? Nur die Konzerne wissen, welche Gewinne sie mit den längst abgeschriebenen Atommeilern - den Perlen im Kraftwerkspark - einstreichen. Die Spekulationen reichen von 30 Milliarden bis zu mehr als 200 Milliarden Euro.

Proteste bei Merkel-Besuch in Lingen (Foto: AP)
Nicht nur Öko-Aktivisten protestieren gegen Merkels AtomkursBild: AP

Merkel hält sich bedeckt. Die CDU-Chefin nimmt den Begriff "Abgabe" ausdrücklich nicht in den Mund und spricht von "Beitrag". Ansonsten schweigt sie. Hintergrund der Spekulationen über eine Selbstverpflichtung ist die Befürchtung auch in der Koalition, die Atomkonzerne könnten bei einer Steuer, höheren Sicherheitsauflagen und einem verpflichtenden Beitrag für mehr Öko-Strom am Ende überfordert werden.

Wie viel wird investiert?

Dass Merkel sich möglicherweise auf eine freiwillige Zusage verlassen will, löst unter Kritikern Kopfschütteln aus. Denn die Konzerne dürften auch so in Zukunftstechnologien investieren. "Ich würde es nicht für sinnvoll erachten, wenn man jetzt nur eine lose Formulierung über einen freiwilligen Beitrag findet für Konzerne, die ohnehin investieren", bringt es die Berliner Energieökonomin Claudia Kemfert auf den Punkt. Auch in der Koalition heißt es, dass Steuern und zusätzliche Beiträge für mehr Ökostrom bei längeren Laufzeiten das eine seien, Investitionen aber etwas anderes und allein Sache der Unternehmen.

Ganz am Ende der "Energiereise" tauchen neue Spekulationen auf: Die Regierung soll zehn Jahre längere Atom-Laufzeiten anstreben. Die Kanzlerin sagt: "Es gibt keine Entscheidung." Die Fragen bleiben also.

Autor: Manfred Götzke

Redaktion: Michael Wehling

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