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Lässt der Tschad kritische Militärs verschwinden?

Hilke Fischer, Fiacre Ndayiragije (N'Djamena)22. April 2016

Mehr als 40 Sicherheitskräfte gelten seit der Präsidentschaftswahl im Tschad als vermisst - sie sollen für die Opposition gestimmt haben. Präsident Déby hat die Wahl gewonnen, er ist seit 26 Jahren im Amt.

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Ein Soldat bewacht ein Wahllokal im Tschad Foto: ISSOUF SANOGO/AFP/Getty Images
Bild: Getty Images/I. Sanogo

"Am Freitag ist mein Mann aus dem Haus gegangen. Als er am Sonntag noch nicht wieder zurück war, bin ich zu seiner Arbeit gegangen. Dort sagte man mir, dass er nach der Wahl festgenommen wurde, weil er für einen Oppositionellen gestimmt habe. Bis heute fehlt von meinem Mann jede Spur."

Die Frau möchte anonym bleiben; zu groß ist ihre Angst vor dem übermächtigen Regime. Ihr Mann ist einer von mehreren Dutzend Militärs, die im Zuge der Wahlen im Tschad vor gut einer Woche verschwunden sind. Angehörige des Militärs konnten bereits am Tag vor der eigentlichen Präsidentschaftswahl ihre Stimme abgeben. Von diesem Recht machte auch ein anderer Vermisster Gebrauch. Ein Angehöriger, der ebenfalls anonym bleiben möchte, sagte der DW: "Sein Vorgesetzter hat mir erzählt, er habe mit eigenen Augen gesehen, wie mein Verwandter von vier Personen festgenommen und in ein Auto gezerrt wurde."

Leichenfund im Chari-Fluss

Im Chari-Fluss, der in den Tschad-See mündet, wurden die Leichen von vier Sicherheitskräften gefunden. Die Körper sollen Spuren von Folter aufgewiesen haben. Von den anderen - Berichte sprechen von 47 bis 60 Verschollenen - fehlt noch immer jede Spur.

Regierungsvertreter sagen, die Anschuldigungen seien haltlos. "Es ist eine geheime Wahl. Wenn also einige Familien erzählen, dass ihre Verwandten verhaftet wurden, weil sie nicht für (Präsident) Déby gestimmt haben, dann ist das unwahr", sagt der Minister für öffentliche Sicherheit, Ahmad Aahmat Bachir, im DW-Interview. "Warum sollte man auch Militärs festnehmen, die gegen Déby stimmen, und nicht Zivilisten, die das tun?"

Tschads Präsident Idriss Deby Itno Foto: JACQUES DEMARTHON/AFP/Getty Images) © Getty Images/AFP/J. Demarthon
Tschads Präsident Idriss Deby Itno will weiter regierenBild: Getty Images/AFP/J. Demarthon

Bei den Wahlen am 10. April hatte sich Staatschef Idriss Déby Itno für eine fünfte Amtsperiode beworben. Wie die nationale Wahlkommission knapp zwei Wochen später mitteilte, erhielt Déby 61,6 Prozent der Stimmen und muss sich daher keiner Stichwahl stellen. Er regiert das Land seit 1990. Ihm standen 13 Oppositionskandidaten gegenüber - sie galten von vornherein als chancenlos.

Bürgerrechtler zu Bewährungsstrafen verurteilt

Trotzdem scheint Déby unter Druck zu stehen: Am Wahltag und auch noch am Tag danach war das Internet gekappt, SMS wurden nicht zugestellt. Vor der Wahl wurden Protestkundgebungen verboten und fünf Bürgerrechtler festgenommen. Der Vorwurf: Aufruf zu einer nicht genehmigten Versammlung, der Versuch, die öffentliche Ordnung zu gefährden und Widerstand gegen die Staatsgewalt. Vier der Angeklagten Bürgerrechtler wurden inzwischen zu vier Monaten Haft auf Bewährung verurteilt.

Am Montag wurde der französische Schriftsteller Thomas Dietrich des Landes verwiesen. Er sei körperlich misshandelt worden und man habe ihm sein Geld und sein Mobiltelefon abgenommen, zitiert die Nachrichtenagentur APF Dietrich. Der Franzose, der Anfang des Jahres einen Roman über den Tschad veröffentlicht hatte, hatte die Regierung des Landes auf Facebook als Diktatur bezeichnet und Menschenrechtsverletzungen angeprangert.

Inhaftierte Bürgerrechtsaktivisten im Tschad Foto: DW/B. Dariustone
Die inhaftierte Bürgerrechtsaktivisten sind inzwischen wieder auf freiem Fuß - auf BewährungBild: (c) DW/B. Dariustone

"Ich denke, dass die Regierung jetzt merkt, dass die Unterstützung doch nicht so uneingeschränkt ist, wie sie immer gedacht hat", sagt Helga Dickow, die am Freiburger Arnold-Bergstraesser-Institut zum Tschad forscht. In den vergangenen Monaten hatten sich Protestbewegungen mit vielsagenden Namen wie "Trop, c'est trop" - "Zu viel ist zu viel", "Ça suffit" - "Es reicht" und "Iyina" - "Wir sind müde" - formiert. Mit Trillerpfeifen und Kochtöpfen machten zahlreiche Tschader lautstark ihrem Unmut Luft. Generalstreiks legten zwischenzeitlich die Hauptstadt N'Djamena und zahlreiche andere Orte lahm. Vertreter der Zivilgesellschaft forderten die Freilassung der Aktivisten und den Rücktritt des Präsidenten.

So viel Protest in ungewöhnlich für das Land. "Die Ereignisse in Burkina Faso haben viele Menschen im Tschad beeinflusst", so Dickow. In dem westafrikanischen Land war es einer Bürgerbewegung im Jahr 2014 gelungen, den langjährigen Präsidenten aus dem Amt zu jagen, als dieser sich eine erneute Amtszeit sichern wollte.

Ölmilliarden: Enttäuschte Erwartungen

Als der Tschad vor 13 Jahren begann, Öl zu fördern, waren die Erwartungen der Bürger in dem zentralafrikanischen Land hoch. Bei vergangenen Wahlen habe die Regierung stets versucht, der Bevölkerung zu zeigen, dass auch sie vom Öl profitiere, so Dickow: "Vor den Wahlen 2011 wurden viele Straßen und Krankenhäuser gebaut. Das war aber überhaupt nicht ausreichend: In den Krankenhäusern fehlte das Personal, in den neu ausgebauten Universitäten fehlten die Lehrkräfte." Die Tschader seien trotzdem sehr stolz gewesen, endlich Teerstraßen zu haben. "Der Eindruck war, dass sich etwas tut und dass sie auch etwas von dem Öl haben. Das fehlte jetzt im Vorfeld dieser Wahlen völlig." Die Arbeitslosigkeit ist hoch, besonders unter jungen Menschen, die rund die Hälfte der Bevölkerung ausmachen. Gleichzeitig kennen sie keinen anderen Präsidenten als Déby.

Protest im Tschad Foto: Blaise Dariustone, DW
Die Unzufriedenheit in der Bevölkerung wächstBild: DW/B.Dariustone

Dickow hatte auf einen zweiten Wahlgang gehofft: "Eine Stichwahl hätte der tschadischen Bevölkerung zumindest den Glauben an ein demokratisches System gegeben. Denn dann hätten die Ergebnisse der ersten Runde widergespiegelt, was man gerade an zivilgesellschaftlichem Engagement in dem Land beobachten kann."

Die Oppositionsparteien hatten angekündigt, sich im Fall einer Stichwahl gemeinsam hinter Débys Herausforderer zu stellen. Es wäre ein historisches Ereignis gewesen: Bei allen bisherigen Wahlen seiner 26-jährigen Amtszeit hatte sich Déby immer schon im ersten Wahlgang die absolute Mehrheit gesichert.