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Löfflers Lektüren

7. Juni 2010

In seinem Debüt "Andere Räume, andere Träume" zeichnet der 47-jährige Daniyal Mueenuddin ein überaus beeindruckendes Gesellschaftsporträt Pakistans als Gesellschaft im Umbruch.

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Buchcover Daniyal Mueenuddin: Andere Räume, andere Träume (Suhrkamp)

Daniyal Mueenuddin, Jahrgang 1963, aufgewachsen in Lahore, entstammt selbst der pakistanischen Großgrundbesitzer-Klasse, von der sein erstes Buch handelt. Er studierte an der Yale Law School und arbeitete als Jurist in New York, ehe er nach Pakistan zurückkehrte, um das Familiengut zu bewirtschaften und um zu schreiben. Andere Räume, andere Träume ist sein (auf Englisch geschriebenes) literarisches Debüt. Mueenuddin erzählt darin vom Niedergang der alten Feudal-Gesellschaft Pakistans, aus Herren- und aus Diener-Perspektive und mit dem distanzierten Blick des westlich sozialisierten Kultur-Pendlers zwischen Ost und West. Er verknüpft acht Erzählungen, denen Schauplatz und Personal gemeinsam sind: die ländliche Region Punjab am Indus und deren müßiggängerische, immer noch steinreiche und seit britischen Kolonialzeiten im Lebensstil anglifizierte Oberschicht samt ihren Domestiken – Gutsverwalter, Chauffeure, Gärtner, Köche und Diener.

Eine neue Klasse kommt hoch

Mueenuddin kann in seinem Land keinerlei Aufwärts-Dynamik erkennen. Gesellschaftliche Umbrüche vollziehen sich immer nur horizontal. Manipulation in allen sozialen und politischen Bereichen ist der eigentliche Motor dieser Gesellschaft: Korrupte Machenschaften auf Gegenseitigkeit und geschmierte Gunst-Erweise halten diese Geschichten und diese Gesellschaft zusammen. Mit der gutsherrlichen Klasse geht es zu Ende – sie lebt zwar noch in großem Stil, lässt aber die Wirtschaft schleifen und sieht gleichgültig zu, wie sich eine neu emporkommende Schicht von korrupten Beamten, Verwaltern und Politikern durch Veruntreuung an ihrem uralten Besitz bereichert.

Wie Reichtum versickert

Der Schriftsteller Daniyal Mueenuddin (Foto: Tobias Everke / Suhrkamp Verlag)
Daniyal MueenuddinBild: Tobias Everke / Suhrkamp Verlag

Im Zentrum der Erzählungen steht der Patriarch K. K. Harouni in seinen letzten Lebensjahren, die er abwechselnd in seinem Stadthaus in Lahore und auf seinem riesigen Landgut verbringt – vereinsamt, denn seine Töchter leben in Karachi, New York und Paris. Seine teure Lebenshaltung zehrt das Familienvermögen auf, sein Verwalter betrügt ihn, seine Dienerschaft bestiehlt ihn. Nach dem Tod des Alten bricht alles auseinander: Die Dienerschaft steht vor dem Nichts, die Töchter verscherbeln den Besitz. Die jüngeren Mitglieder der Harouni-Familie sind entweder einflussreiche Unternehmer geworden oder party- und konsumsüchtige Nichtstuer und Verschwender des elterlichen Reichtums. Ein junger Gutserbe, der seine Landwirtschaft als modernes Mustergut zu führen versucht, kommt bei der trägen und verderbten Jeunesse Doree von Islamabad rasch in den Ruf eines Langweilers und Sonderlings.

Daniyal Mueenuddin kann in sparsamen, präzisen Strichen ein prägnantes Gesellschaftspanorama zeichnen. Sein Ton ist nüchtern, eindringlich und illusionslos. Dieser Debütband erinnert an Tschechow – genauso kühl und knapp im Stil, genauso unbestechlich in der Menschenkenntnis.

Autorin: Sigrid Löffler
Redaktion: Gabriela Schaaf

Daniyal Mueenuddin: «Andere Räume, andere Träume» Erzählungen. Aus dem Amerikanischen von Brigitte Heinrich

Suhrkamp Verlag, Berlin 2010. 293 S., 19,90 €