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Lösung im Fall Chen Guangcheng

Matthias von Hein2. Mai 2012

Das Tauziehen um den blinden chinesischen Bürgerrechtler Chen Guangcheng ist beendet. Peking will seine Sicherheit garantieren. Damit ist der Weg frei für den strategischen Dialog zwischen China und den USA.

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Gärtner vor der US-Botschaft in Peking (Foto: AP)
Bild: AP

Als 1989 der chinesische Astrophysiker Fang Lizhi in der amerikanischen Botschaft in Peking (Botschaftsgelände im Bild oben) Zuflucht suchte, dauerte es 13 lange Monate, bis er ausreisen konnte. Der blinde Bürgerrechtler Chen Guangcheng musste nicht einmal eine Woche in derselben Zufluchtsstätte ausharren: Rechtzeitig vor dem Beginn des alljährlichen "strategischen und wirtschaftlichen Dialogs“ haben beide Seiten offenbar eine das Gesicht wahrende Lösung für den Fall Chen Guangcheng gefunden. In der vergangenen Woche war der "Barfuß-Jurist" in einer spektakulären Flucht aus dem strengen Hausarrest in seiner Heimatprovinz Shandong entkommen und hatte in der amerikanischen Botschaft Zuflucht gesucht. Am Mittwoch (02.05.2012) begleitete US-Botschafter Gary Locke persönlich den Menschenrechtsaktivisten in ein Krankenhaus. Dort traf Chen auch mit seiner Frau und seiner Tochter zusammen, die ebenfalls aus dem Hausarrest entlassen worden waren.

Studium in "sicherer Umgebung"

Chen hatte in der Vergangenheit immer wieder deutlich gemacht, dass er China nicht verlassen wolle. Jetzt hat die chinesische Seite Chen offenbar die Umsiedlung in eine "sichere Umgebung" zugesichert – inklusive der Möglichkeit, dort die Universität zu besuchen. Das hat es für einen chinesischen Dissidenten bislang noch nicht gegeben. Peking dürfte es nicht leicht gefallen sein, diesen Weg zu gehen. Entsprechend verärgert fällt die Stellungnahme aus dem chinesischen Außenministerium aus: Der chinesische Außenamtssprecher Liu Weimin schimpfte, die USA hätten sich in innere Angelegenheiten eingemischt, was China "niemals akzeptieren" könne. Eine förmliche Entschuldigung, wie von Peking gefordert, war von amerikanischer Seite nicht zu hören. Von dort hieß es, dies sei ein "außerordentlicher Fall unter außergewöhnlichen Umständen gewesen". Man erwarte nicht, dass er sich wiederhole.

Chen Guangcheng nach seiner Flucht aus dem Hausarrest bei einem Treffen mit dem Bürgerrechtler Hu Jia (Foto: dapd)
Chen Guangcheng nach seiner Flucht aus dem Hausarrest bei einem Treffen mit dem Bürgerrechtler Hu JiaBild: dapd

Wichtigstes Forum zwischen China und USA

Seit dem Wochenende hatten die USA und China über die Zukunft Chen Guangchengs verhandelt. Seine Flucht in die US-Botschaft drohte den "strategischen und wirtschaftlichen Dialog" zu überschatten, zu dem Außenministerin Hillary Clinton und Finanzminister Timothy Geithner in Begleitung von über 200 amerikanischen Beamten in Peking eingetroffen sind. Seit 2009 ist dieser Dialog das wichtigste Forum, um die sehr komplexen Beziehungen zwischen China und den USA zu managen. Dieses Mal fallen die Gespräche in eine kritische Zeit: In den USA wird im November der nächste Präsident gewählt. Der Wahlkampf nimmt Fahrt auf. In China wird im Herbst auf dem 18. Parteitag eine neue Führung installiert. Beide Termine schränken die Flexibilität der Politiker im Vorfeld ein.

Um so mehr erstaunt, dass Peking jetzt im Grunde alle Forderungen des Dissidenten erfüllt. Möglicherweise hat Chen Guangchengs Video-Botschaft vom Freitag (27.04.2012) dabei eine Rolle gespielt. Darin hatte sich Chen direkt an Ministerpräsident Wen Jiabao gewandt und dargelegt, wie die lokalen Behörden sich in seinem Fall über chinesisches Recht hinwegsetzten. Wie nicht nur er misshandelt wurde, sondern auch seine Frau, seine Mutter, seine Tochter. Chen hatte geschildert, welcher Aufwand mit seinem Hausarrest und seiner Überwachung betrieben wurde: Dauerhaft waren demnach rund 80 Leute im Einsatz. Und: Chen hat Namen von korrupten lokalen Funktionären genannt.

"Ich möchte Sie küssen"

Für die amerikanische Seite war unterhalb der Zusicherung der Sicherheit von Chen und seinen Angehörigen nichts verhandelbar. In der Vergangenheit hatten sich die USA immer wieder lautstark für Chen eingesetzt. Außenministerin Hillary Clinton hatte den Aktivisten im vergangenen November in einer Rede als Beispiel für das illegale Wegsperren von Dissidenten im Hausarrest namentlich erwähnt.

Secretary of State Hillary Rodham Clinton speaks as Chinese Vice Premier Wang Qishan, center, and Chinese State Counselor Dai Bingguo, left, listen during the opening session of the joint meeting of the U.S.-China Strategic and Economic Dialogue (S&ED), Monday, May 9, 2011, at the Interior Außenministerin Clinton mit chinesischen Spitzenpolitikern in Washington (Foto: AP)
Hillary Clinton setzte sich für Chen Guangcheng einBild: AP

Jetzt steht die amerikanische Seite in der Pflicht: Sie muss dauerhaft prüfen, wie es um die Sicherheit und Freiheit Chen Guangchengs auch in seiner neuen "sicheren Umgebung" bestellt ist. Chen bedankte sich telefonisch bei US-Außenministerin Hillary Clinton "Ich möchte Sie küssen" sagte Chen nach Angaben eines US-Beamten erleichtert. Zugleich habe er mit Blick auf seine Zukunft erklärt, er sei für den "bevorstehenden Kampf" bereit.