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Laborfleisch als Rezept gegen den Hunger?

26. November 2011

Ein niederländischer Forscher lässt Muskelzellen in der Petrischale heranwachsen. 2012 soll der erste Retorten-Hamburger fertig sein. Manchem mag das geschmacklos erscheinen, doch es gibt viele gute Gründe dafür.

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Fleisch unter Folie (Foto: picture-alliance/photocuisine.de)
Bild: picture alliance/Photocuisine.de

Der Arbeitsplatz von Mark Post erinnert kein bisschen an Frankensteins Küche. Es sieht aus wie in einem ganz normalen Labor mit Vorrichtungen zum sterilen Arbeiten: Inkubatoren, Mikroskope. Vor zwei Wochen haben er und seine beiden Mitarbeiter das Labor für das aktuelle Experiment eingerichtet. Während im Hintergrund das Radio vor sich hin dudelt, erklärt er, wie er das Fleisch in der Petrischale zum Wachsen bringt.

Eingefärbte Muskelzellen unter dem Mikroskop (Foto: DW)
Eingefärbte Muskelzellen unter dem MikroskopBild: Mark Post

Als Ausgangspunkt sind Myoblasten, also Vorläuferzellen von Muskelfasern eines Embryos – in diesem Falle von einem Rind. "Wir isolieren die Myoblasten und legen eine Zellkultur an, so dass sie sich multiplizieren. Wenn wir genug Zellen haben, entwickeln sich daraus Myotuben, das sind die eigentlichen Muskelzellen. Diese legen wir in einer Petrischale an und lassen sie im Inkubator heranwachsen."

Was eine Muskelzelle zum Wachsen braucht

Der Inkubator ahmt exakt die Konditionen nach, die im Innern eines Rindes herrschen: Die Temperatur beträgt 37 Grad Celsius, die Luftfeuchtigkeit annähernd 100 Prozent, der Kohlendioxidgehalt rund 5 Prozent. Der Sauerstoffgehalt liegt bei knapp unter 21 Prozent. Gefüttert werden die Myotuben mit einer Nährstofflösung aus Zucker, Proteinen, Aminosäuren, Mineralien und Vitaminen. Keine Wachstumsbeschleunigung, keine Gentechnik - die Zellen sollen sich im Inkubator genau so wohl fühlen, als wüchsen sie an einer Rinderhüfte heran.

Mark Post, Professor für Physiologie der Universität Maastricht (Foto: DW)
Mark Post, Professor für Physiologie der Universität MaastrichtBild: DW

Das Ergebnis nach rund sechs Wochen sieht aus, als ob man die Lagen eines Papiertaschentuches auseinander gerupft und daraus einen wenige Zentimeter großen Streifen zurecht geschnitten hätte. Das soll man essen können? Mark Post lacht - überhaupt lacht er viel und gerne. "Das Gewebe ist noch weiß, nicht fleischfarben. Es hat noch die Konsistenz von Gewebe, daher kann man noch nicht viel probieren. Wir arbeiten derzeit an der wissenschaftlichen Grundlage, an den optimalen Bedingungen, um das Fleisch in der Petrischale herzustellen."

An Freiwilligen mangelt es nicht

Aber im kommenden Jahr will Mark Post soweit sein. Dann will er einen Prototypen vorstellen: Einen Hamburger aus Laborfleisch, der genau so aussehen soll, wie aus einer herkömmlichen Burgerschmiede. "Die Freiwilligen stehen schon Schlange, die den ersten Hamburger probieren wollen", sagt Mark Post, diesmal ganz im Ernst.

Die dünnen weißen Streifen sind kultiviertes Muskelgewebe (Foto: DW)
Die dünnen weißen Streifen sind kultiviertes MuskelgewebeBild: Mark Post

Er selbst würde es auch gerne tun, aber Mark Post wird seinem Geldgeber den Vortritt geben müssen. Zwar hat auch die niederländische Regierung das Projekt mitfinanziert, doch der Löwenanteil stammt derzeit von einem privaten Sponsor. Seit 2008 forscht der Mediziner an dem In-Vitro-Fleisch. Dabei hat Marc Post auch sonst nicht eben wenig zu tun: Neben seiner Professur für Physiologie an der Universität Maastricht leitet er das CARIM-Forschungsinstitut für Kardiovaskuläre Krankheiten mit 250 Mitarbeitern. An dem Fleischprojekt forschen aber gerade einmal drei Leute - inklusive seiner selbst.

Geldgeber dringend gesucht

Im Inkubator herrschen die gleichen Bedingungen wie im Innern eines Rindes (Foto: DW)
Im Inkubator herrschen die gleichen Bedingungen wie im Innern eines RindesBild: DW

Das Maastrichter Team ist nicht das einzige weltweit, das an Fleisch aus der Retorte arbeitet. In New York experimentieren Forscher mit Fisch-Filet, an der Universität South Carolina mit Truthahn, auch an der Universität Oxford sowie der Universität von Missouri laufen ähnliche Experimente. In den Niederlanden haben sich die Wissenschaftler einiger Universitäten zu einem Netzwerk zusammengeschlossen. Während Mark Post die Grundlagenforschung betreibt, kümmern sich andere beispielsweise um die optimale Zusammensetzung der Nährstofflösung für die Zellkulturen.

Im August 2011 hatten sich die Forscher im schwedischen Göteborg getroffen, um über ihre Aktivitäten in Sachen Laborfleisch zu sprechen, ihre Forschung zu koordinieren und gemeinsam Geldgeber aufzutun. Um aus dem blassen Zellstreifen in zehn, fünfzehn Jahren einen saftigen, marktreifen Burger zu machen, bräuchte man mehrere 1.000 Mitarbeiter, organisiert in einem weltweiten Netzwerk, schätzt Mark Post. Und Geld, sehr viel Geld: Ist mit seinem Proto-Hamburger erst einmal der Beweis erbracht, dass es funktioniert, dann geht der Geldhahn auf, so hofft Post.

Immer mehr positive Reaktionen

Mark Post mit Burger und Petrischale (Foto: DW)
Mark Post mit Burger und PetrischaleBild: DW

Vor Mark Post liegen ein echter Burger sowie eine Petri-Schale mit der Nährlösung für das Laborfleisch. Mit seinem Verfahren ließe sich auch ein komplettes Steak im Labor heranzüchten, sagt er. Denn das grundlegende Prinzip sei immer das gleiche und gelte genau so für Geflügel oder Schweinefleisch. Die Einstellung der Öffentlichkeit zu seinem Projekt hat sich gewandelt: „Früher war die erste Reaktion meist: Würg - das wird niemand jemals essen. Heute sagen viele: Ja, es macht Sinn, dass wir uns um Alternativen zu Fleisch bemühen. Lasst uns die Vorteile sehen."

Aus seiner Sicht sind das vor allem drei: "Die Art, wie wir Fleisch produzieren, ist sehr uneffektiv. Schweine und Rinder als Hauptquellen von Fleisch haben eine Biokonversionsrate von nur 15 Prozent. Wir müssen sehr viel pflanzliches Protein anbauen und den Tieren zu fressen geben, um ein vergleichsweise kleines Stück tierisches Eiweiß zu erhalten." Um ein Kilo Fleisch zu erhalten, braucht ein Rind sieben Kilo Futter - meist in Form von Getreide. Auch Soja wird eingesetzt, wofür womöglich auch noch Regenwald abgeholzt wird. Rund ein Drittel der weltweiten Getreideernte landet laut einer Studie der Uni Oxford in Viehmägen, statt auf den Tellern der Menschen in den Entwicklungsländern. "Auf diese Weise werden wir es nicht schaffen, die Weltbevölkerung mit hochqualitativer Nahrung zu versorgen", ist Mark Post überzeugt. "Und die Viehzucht ist eine Last für die Umwelt. Die Tiere verbrauchen viel Wasser und Land. 70 Prozent der Anbaufläche der Welt sind belegt durch Viehzucht. Außerdem ist der Energieverbrauch enorm. Die Tiere emittieren einen substantiellen Anteil unserer Klimakiller."

Viehzucht als Klimakiller

Vier Kühe liegen auf einer Wiese an leichtem Hang (Foto: DW)
Im Magen der Kühe braut sich etwas zusammenBild: DW

Das Problem ist vor allem das Methangas. Denn alle 40 Sekunden rülpst eine Kuh. Doch das ist alles andere als ein putziges Bäuerchen, sondern eine enorme Belastung für das Weltklima. Jeder Kuh entfahren auf diese Weise pro Tag bis zu 250 Liter Methangas, das 23 Mal klimaschädlicher ist als das Treibhausgas CO2. Bei rund einer Milliarde Kühe weltweit braut sich so Schlimmes zusammen. Im Ergebnis ist die Viehzucht für rund ein Fünftel Prozent aller Treibhausgase verantwortlich!

Nicht nur für die Umwelt wäre es ein Segen, wenn wir andere Ressourcen für Proteine finden. "Wir möchten gerne verdrängen, unter welchen Bedingungen die Tiere leben und sterben. Eine entwickelte Gesellschaft kann das immer weniger akzeptieren. Wir wissen auch, dass mit der intensiven Viehzucht auch Krankheiten und Epidemien unter den Tieren entstehen, was wiederum dazu führt, dass wir Antibiotika einsetzen müssen."

Die Folgen des Fleischkonsums

Da läuft vielen das Wasser im Mund zusammen: Steak mit Gemüse (Foto: dpa)
Da läuft vielen das Wasser im Mund zusammenBild: picture-alliance/ dpa

Mark Post ist selbst kein Vegetarier und er ist sich bewusst, dass Fleischkonsum für viele zur westlichen Lebensart gehört. Ein saftiges Stück Fleisch auf dem Teller wird bei steigendem Wohlstand aber auch in anderen Weltregionen zum Maß der kulinarischen Dinge. Laut einer Prognose der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation FAO wird sich der Fleischkonsum bis zum Jahr 2050 auf jährlich 460 Millionen Tonnen verdoppeln. Das aber würde unser Planet nicht verkraften.

Doch wer würde das Laborfleisch konsumieren? Wäre es ein Lifestyleprodukt für wohlhabende Gutmenschen oder ein Beitrag zur Bekämpfung des Hungers in der Welt? Eine interessante Frage, um die es eine intensive Debatte gebe, meint der Niederländer: "Man kann Nischenmärkte bedienen und alle möglichen Arten von Fleisch anbieten. Doch meine Ambitionen sind da schon etwas höher gesteckt. Mein Hauptinteresse ist, etwas zu machen, was effektiver ist als das Fleisch, das wir heute kennen." Damit würde das In-Vitro-Fleisch auch helfen, den Hunger zu bekämpfen. Und genau das hat sich Mark Post zum Ziel gesetzt.

Autor: Birgit Görtz

Redaktion: Matthias von Hein