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Lage in Tunesien bleibt gespannt

16. Januar 2011

Gewalt und Chaos prägen weiter die Lage in Tunesien. In der Hauptstadt Tunis waren auch in der Nacht wieder Schüsse zu hören. Reiseveranstalter bringen deutsche Urlauber aus dem Land.

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Panzer in Tunis (Foto: AP)
Noch immer sind Panzer in Tunis zu sehenBild: AP

Tunesien kommt auch unter dem neuen Übergangspräsidenten Foued Mebazaa nicht zur Ruhe. In der Nacht zum Sonntag (16.01.2011) waren in der Hauptstadt Tunis wieder zahlreiche Schüsse zu hören. Der Ausnahmezustand galt auch in dieser Nacht weiter. Die Straßen waren menschenleer, Cafés und Geschäfte geschlossen. Allein die Sicherheitskräfte patrouillierten durch das Zentrum. Die größte Gewerkschaft des Landes, UGTT, rief im Fernsehen zur Gründung von Bürgerwehren gegen Plünderer und Gewalttäter auf.

Zwei Übergangspräsidenten in 24 Stunden

Porträt von Foued Mebazaa(Foto: AP)
Wurde zum neuen Übergangs-Präsidenten ernannt: Foued MebazaaBild: AP

Der Verfassungsrat des nordafrikanischen Landes ernannte am Samstag mit Foued Mebazaa den zweiten Übergangspräsidenten innerhalb von 24 Stunden. Zunächst hatte Ministerpräsident Mohammed Ghannouchi die Amtsgeschäfte des am Freitag durch Massenproteste zum Rückzug gezwungenen Ex-Machthabers Zine el Abidine Ben Ali übernommen.

Ben Ali hatte Tunesien 23 Jahre autoritär regiert. Proteste gegen Korruption und hohe Arbeitslosigkeit hatten sich zuletzt überraschend zu einem Volksaufstand ausgeweitet. Ben Ali setzte sich daraufhin ins saudi-arabische Exil ab. Mebazaa soll nun Neuwahlen vorbereiten. Er forderte zudem Ghannouchi auf, einen Vorschlag für eine Regierung der nationalen Einheit zu machen. Auch Oppositionskräfte sollen eingebunden werden.

Gaddafi bedauert Umsturz

Porträt von Lybiens Staatschef Gaddafi (Foto: AP)
Fürchtet Gaddafi um Ruhe im eigenen Land?Bild: AP

Der Chef der größten islamistischen Partei Tunesiens kündigte seine Rückkehr aus dem Londoner Exil an. Die politischen Parteien müssten nun die Diktatur durch eine Demokratie ersetzen, sagte Rached Ghannouchi von der verbotenen Partei Ennahdha. Er sei bereit, sich an einer Regierung zu beteiligen.

Libyens Staatschef Muammar Gaddafi bedauerte den Sturz Ben Alis. Dieser sei "nach wie vor rechtmäßiger Präsident" Tunesiens, es gebe keinen besseren als ihn, sagte Gaddafi in einer von den Medien übertragenen Rede. Gleichzeitig schlug er dem Nachbarland vor, sein Modell einer "direkten Demokratie" zu übernehmen.

Gute Chancen für bisher Regierende bei Neuwahl?

Die Aussicht auf baldige Neuwahlen ist für manche Tunesier allerdings ein Anlass zur Sorge. "Wenn jetzt schnell eine Wahl organisiert wird, kann die Opposition sich nicht organisieren", kommentierte etwa der 25-jährige Elias Nefzaoui aus der Hauptstadt Tunis die jüngsten Entwicklungen.

Tunesien sei Demokratie nicht gewohnt, Oppositionspolitiker hätten unter Präsident Ben Ali kaum eine Chance gehabt, bekannt zu werden und ihr Programm vorzustellen. "Wenn wir zu früh wählen, kommen wieder Leute aus dem alten System an die Macht", so Nefzaoui.

Urlauber aus Tunesien ausgeflogen

Deutsche Touristen nach der Rückkehr aus Tunesien (Foto: dpa)
Wieder in Sicherheit: Deutsche Touristen nach der Rückkehr aus TunesienBild: picture alliance/dpa

Seit Freitag hatten die großen Reiseveranstalter den größten Teil der deutschen Tunesien-Urlauber wieder sicher nach Hause gebracht, die übrigen Touristen sollten bis Sonntagabend ausgeflogen werden. Ursprünglich verbrachten gut 5000 Deutsche ihren Urlaub in dem nordafrikanischen Land.

"Ich habe Angst gehabt", sagte Mbarka Khamassi aus Baden-Württemberg nach ihrer Ankunft am Samstagabend in Stuttgart. "Wir sind froh, dass wir raus sind", meinte auch Robert Flanigan aus Cloppenburg, nachdem er mit seiner Frau in Hannover gelandet war. Andere Touristen waren von der überstürzten Abreise dagegen überrascht, weil sie von den blutigen Protesten und dem politischen Chaos in ihren Urlaubsanlagen nichts mitbekommen hatten.

Appelle an den Übergangspräsidenten

Die Bundesregierung rief Tunesien auf, eine Demokratie aufzubauen. Bundeskanzlerin Angela Merkel bot dazu Deutschlands Hilfe an. Außenminister Guido Westerwelle appellierte an Mebazaa: "Gehen Sie den Weg in Richtung Demokratie, sorgen Sie für wirkliche Stabilität."

Bis dahin dürfte es ein weiter Weg sein. Hinter den Schüssen, die in der Nacht zum Sonntag in Tunis zu hören waren, vermuteten tunesische Journalisten die Armee, die gegen die Mitglieder der Leibgarde Ben Alis vorgeht. Eine Bestätigung dafür gab es zunächst aber nicht. Die Situation sei immer noch völlig unübersichtlich, hieß es. Tagsüber waren am Samstag über der Hauptstadt wieder Rauchsäulen aufgestiegen. Schon in der Nacht zuvor hatten Brandstifter trotz der Ausgangssperre Feuer gelegt, unter anderem in einem Bahnhof.

Autor: Frank Wörner, Annamaria Sigrist (dpa, afp, dapd)
Redaktion: Christian Walz