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Mauer im Dorf

6. November 2009

Über 40 Jahre trennte eine Betonwand das 50-Seelen-Dorf Mödlareuth und ihre Bewohner. Mit der Wiedervereinigung ist hier nur ein Teil der Mauer gefallen – der Rest ist heute ein Museum.

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Das Dorf Mödlareuth zwischen Thüringen und Bayern, wo heute das deutsch-deutsche Museum Mödlareuth steht. (Bild: Nadine Wojcik/dw)
Bild: DW
Natürlicher und künstlicher Grenzverlauf durch Mödlareuth: Tannbach und Mauer (Bild: Nadine Wojcik/dw)
Natürlicher und künstlicher Grenzverlauf durch Mödlareuth: Tannbach und MauerBild: DW

Gemütlich fließt der Tannbach durch die hügelige Landschaft. Er teilt Mödlareuth in zwei Hälften, ein Teil liegt in Thüringen, ein Teil in Bayern. An manchen Stellen ist der der Bach so seicht, dass man problemlos von einem Ufer zum anderen springen kann. Doch zu Zeiten der deutschen Teilung wurde aus dem Tannbach eine Demarkationslinie, aus einem Dorf wurden zwei, aus den Mödlareuthern wurden einige Ossis, andere Wessis. „Das war vor allem für die alten Bewohner ziemlich schwer“, erinnert sich Karin Mergner. Sie heiratete in den 60ern nach Mödlareuth-West, als die 3,40 Meter hohe Mauer bereits stand. „Das Wirtshaus war im Osten, da traf sich auch der Gesangsverein und dann konnten die nicht mehr zusammen hingehen oder mal ein Bier zusammen trinken.“

Dorf wird zum Schutzstreifen

Mit der deutschen Teilung wurde Mödlareuth zum einem sogenannten „Schutzstreifen“ der DDR-Grenze. Demnach wurden Bewohner, die aus Sicht der Staatspartei als „unzuverlässlich“ galten, kurzer Hand umgesiedelt.

Die Dörfler fügten sich und versuchten doch so nah wie möglich beieinander zu bleiben. „Wir durften schon winken, aber die drüben nicht, das war ihnen total verboten“, erinnert sich Karin Mergner. „Aber wir hatten auch heimliche Zeichen. Die Männer haben mal mit der Mütze oder dem Rechen eine Geste gemacht oder sich ganz verstohlen über die Stirn gewischt.“

Auch versuchten sich die Mödlareuther weiterhin zu besuchen. BRD-Bürger durften aufgrund der Nähe zum Grenzstreifen den östlichen Teil nicht betreten. Dafür trafen sie sich aber – so man denn ein Visum bekam – in einem Ort in der Nähe des Dorfes.

„Mal rüber gucken“ - Zonentourismus

Eine Katze streift in Mödlareuth über die Straße, im Hintergrund ein DDR-Grenzwachturm (Bild: Nadine Wojcik/dw)
Dorfidyll mit GrenzwachturmBild: DW

Die Teilung quer durchs Dorf machte Mödlareuth zum Exoten. Nur in Berlin und in einem weiteren Dorf hatten die Grenztruppen Betonmauern errichtet, ansonsten bestand die innerdeutsche Grenze aus Gitterzäunen. Dieses traurige Kurisorium zog im Westen bereits Touristen-Massen an: „Es kamen Busladungen an Menschen und die haben sich die Mauer angeschaut. Das war uns schon ziemlich lästig, weil die Leute meinten, wir leben da hinterm Mond und uns mit Kommentaren nervten, warum wir denn nicht wegziehen. Aber wir leben halt hier“, sagt Karin Mergner.

Ausharren, abwarten, zusammenhalten. Plötzlich am 9. Dezember, ein Monat nach den Grenzöffnungen in Berlin, ging das Metalltor in der Dorfmitte auf. Mit einem Volksfest wurde Mödlareuth wieder Eins. Ein halbes Jahr später wurde ein Bagger bestellt – eigentlich nur gedacht für einen symbolischen Mauerfall im Kleinen. „Doch die Leute haben den Baggerfahrer derart angespornt, dass der gar nicht mehr aufhören wollte und insgesamt 200 von den 700 Metern Mauer einriss“, sagt Robert Lebegern, Leiter des deutsch-deutschen Museums Mödlareuth. Als die Dorfbewohner dann abends beim Bier zusammen saßen und sich das Ruinenfeld vor Augen führten, entschlossen sie sich, doch Teile der Mauer stehen zu lassen. „Das war quasi die ideelle Geburtsstunde des Museums.“

Auf jeden Einwohner kommen mehr als 10.000 Besucher

Eine Mauer teilt auch heute noch das 50-Einwohner-Dorf Mödlareuth (Bild: Nadine Wojcik/dw)
Teile der Mauer stehen heute noch - als MuseumBild: DW

Bis zu 60.000 Besucher kommen heute in das 50-Seelen-Dorf, schlendern über das Freigelände, vorbei am Wachturm, dem Stacheldraht und eben auch an der Betonmauer. Einige amüsiert, einige zutiefst betroffen, manchen stehen sogar Tränen in den Augen wie Waltraud Schröder. Die Rentnerin aus Frankreich ist zum ersten Mal in Ostdeutschland. Mit der Teilung Deutschlands wurde auch ihre deutsch-französische Familie auseinandergerissen. Ein Besuch im Museumsdorf Mödlareuth war für sie ein Muss, nicht nur, weil ihre Familie ursprünglich aus der Gegend kommt: „Jetzt kann ich irgendwie besser begreifen, warum sich meine Familie nie sehen konnte.“

Dieter Mühlbauer aus Thüringen hingegen kennt Mödlareuth sehr gut. „Ich hab in der Gegend hier gearbeitet. Ich hab das also hautnah miterlebt jeden Tag, welche Probleme es gab“, sagt er. Jedes Mal wenn er Besuch hat, führt er ihn in das Museumsdorf. „Es ist eigentlich sehenswert für jeden, der das nicht kennt und es sollte schon jeder wissen, wie die Leute gelebt haben – oder leben mussten.“

Neben dem Freigelände zeigt das Museum auch eine Ausstellung über die Teilung und einen mehrsprachigen Dokumentarfilm, sowie ein Fahrzeug-Depot mit Trabis, Polizeiwagen und Militärfahrzeugen.

Manche sind stolz, manche genervt

Die Mauer ist zu einem neuen, anderen Lebensmittelpunkt für die Mödlareuther geworden. Manche nerven die täglichen Besucher. Sie wünschen sich endlich etwas Frieden. Karin Mergner hingegen steht zu dem deutsch-deutschen Museum. „Jetzt stört mich die Mauer überhaupt nicht mehr. Wir leben damit. Es ist einfach Teil unseres Lebens.“ Am Wochenende hilft Karin Mergner, wie einige Frauen im Dorf, an der Museumskasse aus. „Die Besucher kommen aus Neuseeland, aus Australien, aus Japan, aus der ganzen Welt. Ich bin da so stolz drauf. Wir sagen immer: Mensch, das Wochenende war wieder super, es waren so viele Leute da.“

Autorin: Nadine Wojcik
Redaktion: Tobias Oelmaier