1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Lateinamerikas Probleme mit Benedikt XVI.

20. April 2005

Wenige hatten ernsthaft geglaubt, dass jetzt schon ein Kirchenführer aus Lateinamerika zum Oberhaupt der Katholiken gewählt würde - gehofft hatten es insgeheim viele. Sie müssen jetzt ihre Enttäuschung verarbeiten.

https://p.dw.com/p/6XIj
Die Kardinäle hätten auch anders entscheiden könnenBild: dpa


"Europa meint immer noch, dass die anderen Kontinente unterentwickelt sind. Deshalb ist die Wahl eines Europäers nicht überraschend", sagte der stellvertretende Präsident der brasilianischen Bischofskonferenz, Antonio Celso de Queiroz. Auch die Wahl des Namens Benedikt XVI. deute darauf hin, dass Ratzinger sich in erster Linie der Wiederchristianisierung Europas widmen wolle: Der heilige Benedict von Nursia war der Gründer des Benediktiner-Ordens und Patron Europas. Die meisten Katholiken weltweit leben heute in Brasilien.

Kreuzgang St. Michaelis-Kirche in Hildesheim
Kreuzgang des ehemaligen Benediktinerklosters St. Michael in HildesheimBild: dpa

Befreiungstheologen sind enttäuscht

Sao Paulo Brasilien
Sao PauloBild: AP

Äußerst kritisch reagierte der bekannteste Vertreter der umstrittenen Befreiungstheologie in Brasilien, der frühere Franziskanerpater Leonardo Boff. "Als Christ akzeptiere und respektiere ich die Entscheidung", sagte Boff der Tageszeitung "O Estado de São Paulo". "Aber es wird schwer sein, diesen Papst zu lieben wegen seiner Haltungen zur Kirche und zur Welt", sagte der 66-Jährige. Boff sagte, er hoffe, der neue Papst werde "mehr an die Menschheit denken als an die Kirche". Auch solle Benedikt XVI. sowohl mit den anderen Konfessionen als auch der Wissenschaft im Dialog bleiben, um der Menschheit bessere Möglichkeiten zu eröffnen.

"Unterwürfiges Schweigen"

Joseph Ratzinger
Kardinal Joseph Ratzinger, Präfekt der GlaubenskongregationBild: dpa

Boff hatte noch am Vortag der Wahl gesagt, Ratzinger sei einer der "meistgehassten Kurienkardinäle" und werde "niemals Papst werden", weil das "die Intelligenz der Kardinäle nicht zulassen" werde. Ratzinger hatte 1985 das Verfahren gegen den von der Amtskirche unerwünschten Befreiungstheologen geführt und ihn zu "unterwürfigem Schweigen" - einem einjährigen Äußerungsverbot – verpflichtet. Während des Pontifikats von Johannes Paul II. waren nach Boff noch weitere 140 Theologen gemaßregelt worden. Die Befreiungstheologie war in Lateinamerika nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil (1962-1965) als Bewegung für die Rechte der verarmten Bevölkerung entstanden. Der Vatikan geißelt die Bewegung als marxistisch.

Chance geben

Kardinal Joseph Ratzinger
Bild: AP

Die peruanische Philosophin Cecilia Tovar warnte vor Pessimismus. Die "solide theologische Bildung" des neuen Papstes lasse hoffen, dass Benedikt XVI. auch eine Hoffnung für die Anhänger der Befreiungstheologie sein könne. Ratzinger sei immer zu einem "offenen Dialog" mit dem peruanischen Priester Gustavo Gutiérrez bereit gewesen, einem der wichtigsten Vertreter der Befreiungstheologie. "Hoffentlich kann Benedikt XVI. die von Johannes Paul II. begonnene Öffnung der Kirche für Fragen der Armutsbekämpfung und der Schuldenkrise fortsetzen", sagte Tovar.

Abwarten …

Eine Welt für Alle
Eine Welt für AlleBild: AP

In Lateinamerika leben etwa 500 Millionen Katholiken, mehr als auf jedem anderen Kontinent. Der mexikanische Soziologe und Religionsexperte Bernardo Barrano erklärte, Ratzinger sei ein "Desaster für Lateinamerika". Der argentinische Erzbischof und Vizepräsident der dortigen Bischofskonferenz Domingo Castagna rief jedoch dazu auf, "den Heiligen Vater nicht nach ideologischen Kategorien zu bewerten".

Der als "progressiv" geltende brasilianische Bischof Mauro Morelli warnte davor, aus dem konservativen Ruf Ratzingers auf einen entsprechenden Kurs des Vatikans unter dessen Pontifikat zu schließen. "Es ist an ihm zu entscheiden, welche Richtung das Verständnis des Glaubens einschlagen wird", so Morelli.

Auch das katholische Hilfswerk für Lateinamerika, Adveniat, beschwichtigt: "Wegen seiner intensiven und persönlichen Beziehungen zu Lateinamerika, des hohen Respekts, der ihm in den Ortskirchen des 'Kontinents der Hoffnung' entgegengebracht wird und seiner Liebe zu den Armen und Entrechteten wird Papst Benedikt XVI. den mehr als 450 Millionen Katholiken in Lateinamerika ein guter Wegbegleiter sein", erklärte das Hilfswerk in Essen. (arn)