Laufen auf Akustik
22. Juli 2009Viertel vor 9 Uhr morgens am Sportpark in Leverkusen. Rund 250 Läufer warten darauf, dass der Startschuss zum 10-Kilometer-Lauf fällt: Jugendliche, Leistungssportler, Senioren, Frauen, Männer - hier kann und macht jeder mit, der Lust am Laufen hat. Auch Günther Kamolz. Eigentlich fällt er kaum auf unter den vielen Teilnehmern. Eigentlich. Wäre da nicht dieser lange weiße Stock und ein kleiner gelber, runder Sticker mit drei schwarzen Punkten auf seinem T-Shirt. Günther Kamolz ist sehbehindert.
Der Startschuss fällt und der große Tross setzt sich in Bewegung. Mittendrin: Der einzige blinde Teilnehmer. Für Günther Kamolz sind die zehn Kilomter kein Problem. Er ist schon zwei Mal den Kölner Marathon mitgelaufen. "Ich habe noch einen Rest-Sehstärke von zehn Prozent. Also helle und dunkle Umrisse kann ich noch einigermaßen auseinanderhalten." Ansonsten laufe er mehr mit den Ohren als mit den Augen.
Allein geht's nicht
Sehen tut für ihn sein Sohn Moritz, der auf der linken Seite neben ihm joggt. "Wir laufen auf Akustik." Moritz sagt seinem Vater ob es links oder rechts in die Kurve geht, wie der Boden beschaffen ist, ob Hindernisse auftauchen. Die beiden haben auch ständig leichten Köperkontakt, so dass Moritz ein wenig drücken oder ziehen kann. "Heute haben wir auch noch eine Schleife dabei, an der ich mich festhalte. Die probieren wir heute mal aus."
Zusätzlich benutzt der 54-Jährige noch einen langen, weißen Stab, den so genannten Langstock, den er vor sich hin und her pendelt. "Ich nenne ihn GPS, weil ich heiße Günther und dann ist das das Günther Palm System", erklärt Günther Kamolz lachend. Das GPS sagt ihm dann, ob ein Bordstein kommt oder irgendwas ihm Weg ist. "Man muss es natürlich in Bruchteilen von Sekunden umsetzten. Aber das ist eine Trainingsache."
Gefährliche Situationen
Viele blaue Flecken und die ein oder andere Verletzungen bleiben da nicht aus, erzählt der Freizeitsportler. "Klar gibt es Situationen, die gefährlich sind. Ich bin auch schon in Baugruben gefallen und so, aber man wächst mit der Situation." Bereits im Alter von fünf Jahren wurde festgestellt, dass Günther Kamolz eine schleichende Sehbehinderung hat. "Man ist manchmal frustriert und fragt sich: warum ich?" Aber er habe gelernt, mit der Situation klar zu kommen. "Dabei ist der Sport ein toller Ausgleich. Man kann manchmal seinen Aggressionen weglaufen und sich auspowern."
Seine beiden Söhne - heute ist es Moritz - unterstützen ihn dabei. "Ich mache das, um meinem Vater zu helfen. Aber es macht ja auch Spaß." Der Vater hält schmunzelnd dagegen: "Das ist moralischer Zwang, sonst kriegt der kein Taschengeld." Mittlerweile ist das Teilnehmerfeld weiter auseinandergerückt. Für Günther Kamolz ist es nun einfacher, zu joggen. Zwischendurch erklärt ihm Moritz, wo sie gerade sind: "Wir sind jetzt wir an dem Fluss Dünn. Schön grün. Rechter Hand Autobahn." Für seinen blinden Vater sind diese Hilfe wichtig: "Man muss ja auch vom Kopf her ein Gefühl haben, wo du bist. Ob bei Kilometer fünf oder acht. Damit man nicht so in Ungewisse läuft."
"Glücklich, trotz der Strapazen"
Neun Kilometer sind geschafft: Günther Kamolz hat zwar leichte Schmerzen, aber sein Tempo reduziert er nicht. Am Straßenrad stehen immer mehr Menschen, die die Teilnehmer anfeuern. Kurz vor dem Ziel geht es noch mal bergauf - eine Qual. Aber dafür sind die letzten 500 Meter zum Ziel abschüssig. "Wunderbar, das ist so der Endspurt, da ist man glücklich, trotz der Strapazen", erklärt Günther Kamolz.
"Wenn du möchtest, tust du noch ein bisschen drauf", stachelt ihn Moritz an. "Du hast noch 200 Meter, und jetzt kommt gleich eine Matte". Unter großem Applaus läuft Günther Kamolz ins Ziel. Die Zeit kann sich sehen lassen. Eine Stunde und neun Minuten. "Ich bin total k.o., weil ich die letzen 100 Meter drauf gelegt habe. Aber ich bin froh, dass ich das durchgezogen habe." Zur Belohnung gibt es eine Medaille. Das groößte Geschenk hat er aber sich selbst gemacht: Dass er trotz seiner Behinderung den Sport nicht aufgeben muss und es mal wieder geschafft hat, sich der Herausforderung zu stellen und sie auch zu meistern.
Autorin: Sarah Faupel
Redaktion: Wolfgang van Kann