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Lauschangriff auf UN?

29. Februar 2004

Der Abhörskandal um die Vereinten Nationen weitet sich aus. Neben ranghohen UN-Mitarbeitern soll nun auch die frühere UN-Hochkommissarin für Menschenrechte, Mary Robinson, abgehört worden sein.

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Verwanzt? Das Büro von Kofi Annan im New Yorker UN-GebäudeBild: AP


Auch die frühere UN-Hochkommissarin für Menschenrechte, Mary Robinson, sei abgehört worden, berichtet die Schweizer Zeitung "NZZ am Sonntag" (29.2.2004) unter Berufung auf einen ehemaligen Agenten des britischen Auslandsgeheimdienstes MI6. Der Ex-Agent habe erklärt, Ziel der Lauschoperation in Genf sei es gewesen, Robinson "auszuspionieren. Die Irin Robinson war von 1997 bis 2001 Menschenrechtskommissarin und hatte wegen ihrer kritischen Haltung in Menschenrechts- und Kriegsfragen besonders mit den USA Differenzen.

In der vergangenen Woche war bekannt geworden, dass neben UN-Generalsekretär Kofi Annan auch die früheren UN-Chefwaffeninspekteure Richard Butler und Hans Blix von Geheimdiensten belauscht worden sein sollen.

Short schränkt Anschuldigungen gegen Blair ein

Die frühere britische Ministerin Clare Short hat unterdessen ihre Äußerungen zur Geheimdienstarbeit am New Yorker UN-Hauptquartier mit Blick auf Premierminister Tony Blair eingeschränkt. Es sei "wahrscheinlich, dass der Premierminister davon nichts wusste", sagte Short am Samstag (28.2.2004) im Bezug auf Abhörprotokolle.

Sie befürchte, dass Mitschriften von Gesprächen des UN-Generalsekretärs Kofi Annan in Regierungsreihen "regelmäßig weitergegeben" wurden, ohne dass Blair dies wusste. Blair sei kein "Mann für Details", aber "in der Position, um diese Praxis zu stoppen", sagte Short.

Short hatte am Donnerstag (29.2.) erklärt, der britische Geheimdienst habe vor dem Irakkrieg Annan abgehört. Blair bezeichnete die Äußerungen der Ex-Ministerin als "zutiefst unverantwortlich" und warf ihr indirekt vor, die nationale Sicherheit Großbritanniens zu gefährden. Annans Sprecher Fred Eckhard sagte in New York, der UN-Generalsekretär wolle mit Short nicht persönlich über die Vorwürfe sprechen.

Auch Butler und Blix abgehört?

Nach Informationen des australischen Radiosenders ABC wurden auch die früheren UN-Chefwaffeninspekteure für Irak, Richard Butler und Hans Blix, abgehört, und zwar von den USA, Großbritannien, Frankreich und Russland. Blix sagte am Samstag in einem Zeitungsinterview, er habe den Verdacht, dass seinerzeit sein UN-Büro und seine New Yorker Wohnung abgehört worden seien. Dass er von den Irakern abgehört wurde, habe er damals erwartet; ein ähnliches Vorgehen der USA sei jedoch "widerlich". Es sei wie ein "Eindringen in die persönliche Integrität", in einer Situation, in der man eigentlich auf derselben Seite stehe.

Tony Blair wollte zu den Spionage-Vorwürfen nicht weiter Stellung nehmen. Ein Premierminister würde sich nie öffentlich zur Arbeit seiner Geheimdienste äußern. Sein Schweigen solle aber nicht als Schuldeingeständnis missverstanden werden, mahnte Blair. "Wir handeln in Übereinstimmung mit britischem und internationalem Recht."

Verstoß gegen das Völkerrecht

Sollten die Vorwürfe aber stimmen, hat die britische Regierung jedoch gegen das geltende Völkerrecht verstoßen. "Es ist ein ungeschriebenes Gewohnheitsrecht, dass zwischen den Völkern ein Nicht-Interventionsgebot besteht", sagt Norman Paech, Professor für Öffentliches Recht an der Hamburger Hochschule für Wirtschaft und Politik (HWP). Auch Kofi Annans Privatsphäre ist gesetzlich geschützt. "Es gibt zwar international keinen spezifischen Schutz von Persönlichkeiten, aber das Personal internationaler Organisationen darf wegen der Unantastbarkeit der Institutionen nicht angezapft werden."

Als Völkerrechtssubjekt könnte die UNO die britische Regierung vor dem Internationalen Gerichtshof in Den Haag anklagen. Spionage wäre "durchaus ein möglicher Streitpunkt zwischen der UNO in Gestalt von Kofi Annan gegen eine Regierung, die das unternommen hat", sagt Norman Paech. Annan wäre "sehr enttäuscht", wenn sich die Gerüchte als wahr erweisen sollten, hieß es am Donnerstag aus der UNO. Die Vereinten Nationen wollen nun Vorkehrungen gegen Abhöraktionen treffen. (ch/ali)