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Lebenswende einer Drogenabhängigen

Regina König-Wittrin6. August 2014

Klassische Drogenkarrieren finden gewöhnlich kein Happy End - sagt die Statistik. Anders bei Alex: Ein Erweckungserlebnis brachte die Lebenswende. Heute setzt sich die 31-jährige Chemnitzerin für Inhaftierte ein.

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Symbolbild Einzelhaft Gefängniszelle
Bild: picture alliance/dpa

"Als ich mit 17 oder 18 Jahren im Gefängnis saß, war das seit langer Zeit mein erster fester Wohnsitz." Alex Adresse heute: ein Gründerzeithaus in Chemnitz, der drittgrößten Stadt des Freistaats Sachsen. Hier wohnt die inzwischen 31–Jährige mit ihrem Mann und den beiden Kindern. Vor kurzem sind sie aus den Ferien zurückgekommen. Eine der Urlaubskarten hat sie an Dorothea Markert geschickt. Die 73-Jährige hat viele Jahre ehrenamtlich für die christliche Straffälligenhilfe "Schwarzes Kreuz" gearbeitet und dabei Alexandra Nisch kennen gelernt. Das war vor rund elf Jahren. Viel ist in der Zwischenzeit passiert: eine komplette Lebenswende, die Alex letztlich wieder zurück "in den Knast" gebracht hat, allerdings als Ehrenamtliche, die sich ihrerseits um straffällig gewordene Frauen kümmert.

"Mìt meinen beiden Geschwistern bin ich in Erfurt im Heim aufgewachsen", erzählt Alex bei einer Tasse Tee am Küchentisch. Sie berichtet, wie sie immer wieder abgehauen ist aus dem Kinderheim, wie Drogen ins Spiel kamen, erst Haschisch, dann Heroin. Wie sie mit Diebstählen ihr Leben finanziert hat und deshalb für sechs Monate ins Gefängnis kam: "Wenn man als Jugendliche mit einer Mörderin zusammengesperrt wird, ist das schon krass."

Knastaufenthalt als Lebensrettung

In der Haft machte sie eine Entziehungskur, kam clean raus und ging zurück nach Erfurt. "Ich sollte mich integrieren, bin aber nicht zurechtgekommen. Hab' mich einsam gefühlt." Alex trifft die alte Clique. Und schon bald spielen wieder Drogen die entscheidende Rolle. "Um den Alltag auszuschalten, ich kannte nichts anderes."

Alexandra Nisch aus Chemnitz
Vor 13 Jahren steckte Alex noch in der SuchtfalleBild: Rainer Nisch

Wieder wird sie bei Diebstählen erwischt und verurteilt. Diesmal kommt Alex in den Jugendstrafvollzug nach Chemnitz. 2003 ist das - ihr Zustand: katastrophal. "Ich habe 43 Kilogramm gewogen, bin die Treppe nicht mehr hochgekommen, hatte Hepatitis C, Abszesse, Thrombosen." Wieder Entzug. Und dann das körperliche Aufpäppeln. "Wäre ich nicht ins Gefängnis gekommen, hätte ich nicht überlebt."

Fromme, durchgeknallte Spinner

Ablenkung vom Haftalltag verspricht sie sich von einem Gesprächsangebot des "Schwarzen Kreuzes". Bundesweit ist die christliche Straffälligenhilfe mit 20 Arbeitskreisen aktiv, etwa 300 Mitglieder zählt der Verein. Die beiden Mitarbeiterinnen in Chemnitz wirken zunächst befremdlich auf Alex: "Wie fromme Spinner, absolut durchgeknallt." Dennoch geht die junge Frau weiter zu den Gesprächen: "Wegen des Essens. Es gab Cappuccino und Kekse.""Manchmal auch Kuchen mit Schlagsahne", erinnert sich Dorothea Markert, sie hat damals die Gruppenrunden ehrenamtlich betreut: "Über Schlagsahne hat sich Alex immer besonders gefreut."

Dorothea Markert, christliche Straffälligenhilfe Schwarzes Kreuz
Dorothea MarkertBild: privat

Die beiden finden einen Draht zueinander und als die Strafe nach eineinhalb Jahren verbüßt ist, bittet Alex die ältere Dame um Hilfe. Am Tag der Entlassung wartet Dorothea Markert vor dem Gefängnistor auf ihren Schützling. "Ihre erste Amtshandlung war, mit mir in eine Kirche zu gehen und zu beten", erinnert sich Alex.

Markert organisiert zunächst für sie ein Zimmer in der Obhut katholischer Nonnen und begleitet sie bei Behördengängen. Einige Zeit später knüpft Alex Kontakt zum christlichen Jugendzentrum "Die Arche" in Chemnitz, Freundschaften entstehen. "Die Christen waren schon interessant, weil die ihren Jesus hatten und so nett waren. In der Drogenszene gibt es keine Nettigkeiten, da meint es keiner ernst mit dir."

Wichtige Erkenntnis

Allmählich wächst in ihr der Wunsch, selbst zu diesem Jesus zu gehören, Christ zu werden. Alex kann sich genau erinnern: "Es war an einem Abend im Oktober 2004, ich war allein zu Hause und habe gebetet und alles gesagt, was ich gemacht habe und wofür ich mich schäme und dass es mir leid tut. Und dass ich mit Jesus leben will."

Schritt für Schritt ordnet Alex daraufhin ihr Leben neu, holt zuerst den Hauptschul-, dann den Realschulabschluss nach und macht eine Ausbildung zur Fachfrau für Systemgastronomie. In der "Arche" lernt sie ihren späteren Mann kennen."Der Glauben hat meine Einstellung zum Leben verändert, ich erachte mich selber heute als wertvoll."

Alexandra Nisch aus Chemnitz
Neue Lebensqualität - auch durch die neue Liebe zu RainerBild: Rainer Nisch

Dorothea Markert ist in all den Jahren zur "Ersatzmutter" geworden. "Ich mag die einfach", sagt Alex. "Und ich bete für sie", sagt Dorothea Markert. Dass Alex den Absprung in ein neues Leben geschafft hat, hat Gründe: "Sie wollte das wirklich und es ist Gottes Wirken", ist Markert überzeugt. Aber dass ihr Schützling eines Tages selbst als ehrenamtliche Mitarbeiterin des "Schwarzen Kreuzes" zurück in den Knast gehen könnte, "daran habe ich überhaupt nie gedacht".

Zurück im Knast

Seit einem Jahr besucht Alex einmal im Monat straffällig gewordene Frauen in der JVA Chemnitz. "Das ist schon sehr herausfordernd für mich." Sie bastelt mit ihnen, spricht über Texte aus der Bibel und kommt ins Gespräch. "Wenn die Frauen erzählen von Prostitution und Drogenmissbrauch, dann geht mir das sehr nach. Aber ich spüre, das ist jetzt die richtige Aufgabe für mich."

Dorothea Markert freut sich über Alex. Und hofft, dass noch andere Inhaftierte eine ähnliche Lebenswende erleben: "Die Straffälligen müssen als Menschen und nicht als Straftäter gesehen werden", weiß sie aus Erfahrung. Und Alex hofft, dass die Frauen entdecken, "dass sie es wert sind, ihr Leben zu verändern".