1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Leere Konferenzstühle am Genfer See

Andreas Gorzewski19. April 2016

Die Syrien-Friedensgespräche stocken. Die Oppositionsvertreter wollen erst wieder verhandeln, wenn das Regime seine Angriffe beendet. Doch auch die Rebellen halten sich immer weniger an die vereinbarte Feuerpause.

https://p.dw.com/p/1IYMr
Nach einem Luftangriff auf Aleppo suchen Rettungsmannschaften nach Verschütteten. (Foto: Reuters)
Nach einem Luftangriff auf Aleppo suchen Rettungsmannschaften nach VerschüttetenBild: Reuters/A. Ismail

Einige Teilnehmer der Syrien-Friedensgespräche in der Schweiz wollen vorerst in ihren Hotelzimmern bleiben. Das Oppositionsbündnis Hohes Verhandlungskomitee (HNC) kündigte empört an, seine Teilnahme auszusetzen. Vor weiteren Verhandlungen verlangen die im HNC zusammengeschlossen Gruppen, dass die Regierungstruppen ihre neuen Vorstöße in der Region Aleppo einstellen. Nur mit Mühe konnte der UN-Sondergesandte für Syrien, Staffan de Mistura, die Rebellenvertreter von der Abreise abhalten. Zugleich haben mehrere Rebellengruppen ihrerseits neue Offensiven gestartet. Damit stehen nicht nur die Friedensgespräche vor dem Scheitern, sondern auch die ohnehin brüchige Feuerpause in dem Bürgerkriegsland.

Es sei nicht hinnehmbar, über Frieden zu reden, während die Regierung von Präsident Baschar al-Assad weiter Zivilisten bombardiere und aushungere, schimpft HNC-Koordinator Riad Hidschab. Die Gespräche in Genf seien direkt an die Entwicklungen in Syrien gekoppelt, betonen die Rebellen.

Über Verbündete Druck ausüben

Nach Einschätzung von Petra Becker, Syrien-Expertin der Berliner Stiftung Wissenschaft und Politik, wollen die Oppositionsgruppen mit der Suspendierung der Gespräche mehr Druck auf Amerikaner und Europäer ausüben. Diese sollten ihrerseits mehr Druck auf Russland erzeugen, damit Moskau das mit ihm verbündete Assad-Regime zu mehr Zugeständnissen bei den Verhandlungen drängt. Washington und Moskau bemühen sich derzeit, den Gesprächsfaden in Genf nicht abreißen zu lassen.

Doch in Damaskus gibt es laut Becker bislang keine Bewegung. Das sei auch durch die Parlamentswahlen deutlich geworden, die die Assad-Regierung vergangene Woche in den Gebieten unter ihrer Kontrolle abhielt. "Mit den Wahlen hat Damaskus so getan, als sei alles in Ordnung und als brauche es gar keine Verhandlungen", sagt Becker im DW-Gespräch.

Baschar al-Assad bei der Parlamentswahl am 13. April Syrien (Foto: Reuters)
Das Regime Assad hatte trotz des Krieges ein neues Parlament wählen lassenBild: Reuters/SANA

Auch der Nahost-Experte Yezid Sayigh von der Carnegie-Stiftung sieht keine Kompromissbereitschaft auf Seiten der Regierung. "Es mag Teile des Regimes geben, die dazu bereit wären, aber Präsident Baschar al-Assad und der innere Machtzirkel glauben nicht, dass sie Zugeständnisse machen müssen", ist der frühere Professor am Londoner King's College überzeugt. Sie glaubten vielmehr, dass die Zeit für sie arbeite und sie nur durchhalten müssten. Durch die Hilferussischer Luftangriffe hat das Regime große Geländegewinne erzielt.

Frucht vor Zusammenbruch des Systems

Sayigh sieht noch einen weiteren Grund für die Unnachgiebigkeit: die Angst vor dem Kollaps des Herrschaftssystems. Das Regime stütze seine Macht nicht auf Institutionen. Vielmehr gebe die Regierung lokalen Gruppen weitgehend freie Hand, eigene Ziele zu verfolgen, solange sie loyal zum Regime stünden. Wenn die Regierung Teile ihres Kontrollsystems wie etwa die Autonomie einzelner Gruppen einem politischen Kompromiss opfere, drohe alles zusammenzubrechen.

Allerdings beharren nach wie vor beide Seite auf ihren weit auseinanderliegenden Positionen. "Das Regime sagt, ein Abgang Assads steht nicht zur Debatte. Die Opposition sagt dagegen, es ist das Mindeste, dass Assad geht", beschreibt Becker die verfahrene Lage. Da Vertreter von HNC und der syrischen Regierung noch nicht einmal am selben Tisch sitzen wollen, muss der italienische Diplomat de Mistura zwischen den Konferenzräumen beider Seiten hin und her pendeln. Im Saal des HNC trifft er derzeit niemanden an.

Oppositionsführer Riad Hidschab in Genf (Foto: Reuters)
HNC-Koordinator Hidschab fordert mit den anderen Rebellen, dass Assad die Macht abgibt.Bild: Reuters/D. Balibouse

Vor etwa zweieinhalb Jahren hatten die Vereinten Nationen schon einmal versucht, in Genf einen Fahrplan für eine Friedenslösung zu vereinbaren. Letztlich waren die Gespräche ergebnislos verlaufen.

IS und Al-Nusra-Front nicht dabei

Anders als damals sind diesmal nicht nur Vertreter der Exilopposition eingeladen. Auch Kommandeure der Kampfverbände sind angereist. Allerdings sind der "Islamische Staat" (IS) und die Al-Nusra-Front, die dem Terrornetzwerk Al-Kaida nahesteht, nicht dabei. Mit diesen Terrorgruppen will keiner reden. IS und Al-Nusra-Front waren auch ausdrücklich von der Feuerpause ausgenommen.

Die kurdische "Partei der Demokratischen Union" (PYD) wurde ebenfalls nicht eingeladen. Die Partei kontrolliert weite Teile Nord-Syriens. Allerdings meint Becker, dass die PYD in der HNC-Delegation ohnehin nichts zu suchen habe. "Die PYD sagt inzwischen ganz deutlich: Wir stehen eher auf Seiten des Regimes als auf Seiten der Opposition", sagt die Forscherin der Stiftung Wissenschaft und Politik.

Rebellen in Aleppo bereiten sich auf Kämpfe mit regimetreuen Einheiten vor. (Foto: Anadolu Agency)
Rebellen in Aleppo bereiten sich auf Kämpfe mit regimetreuen Einheiten vorBild: picture alliance/abaca

Jenseits der idyllischen Landschaft am Genfer See nimmt die Gewalt in Syrien wieder deutlich zu. In dem fünfjährigen Konflikt mit mehr als 280.000 Toten setzen nicht nur die Kämpfe der Zivilbevölkerung zu. Auch die Versorgungslage wird immer dramatischer. Parallel zum Beginn der Feuerpause am 27. Februar sollte die Lieferung von Nahrungsmitteln und Medikamenten in belagerte Orte möglich sein. Doch die Hilfskonvois werden vielerorts blockiert. Dabei steht vor allem das Regime am Pranger. "Es gibt Orte, in denen Menschen hungern und zum Teil auch verhungern in der direkten Umgebung von Damaskus", sagt Becker.

Ob und wie die Gespräche in Genf weitergehen ist ungewiss. UN-Vermittler de Mistura will jedoch nicht aufgeben. "Niemand sollte erwarten, dass nach fünf Jahren Konflikt innerhalb von einer Woche eine Lösung vorliegt."