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Legitimation dringend gesucht

Kersten Knipp1. September 2013

Im Notfall würden die USA das Regime Baschar al-Assads wohl im Alleingang angreifen - auch ohne eine Resolution des UN-Sicherheitsrats. Völkerrechtlich ist das höchst problematisch.

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Ein Kriegsschiff im Mittelmeer
Bild: picture-alliance/AP

Die Briten werden sich an einem Angriff auf Syrien ohne UN-Mandat nicht beteiligen. US-Präsident Obama dürfte sich davon aber wohl nicht abhalten lassen, militärisch gegen das Assad-Regime vorzugehen. Einen Angriff würde das Weiße Haus mit dem Giftgaseinsatz der vergangenen Woche in mehreren Dörfern in der Nähe von Damaskus begründen, für den es das Regime Baschar al-Assads verantwortlich macht und den es als Verstoß gegen das Völkerrecht wertet. Da sich der UN-Sicherheitsrat aufgrund der Haltung Russlands und Chinas zu keiner Intervention entschließen konnte, ist es möglich, dass die USA auf eine entsprechende Resolution verzichten und Syrien ohne Zustimmung des Sicherheitsrates angreifen.

Ablehnende Haltung vieler Staaten

Die humanitäre Intervention sei im Völkerrecht sehr umstritten, erläutert der an der Universität Bonn lehrende Völkerrechtler Stefan Talmon. Die Mehrzahl der Staaten lehne die humanitäre Intervention ab. "Aus westlicher Sicht mag die humanitäre Intervention heute in Extremfällen zulässig sein, wenn dadurch eine unmittelbar bevorstehende humanitäre Katastrophe abgewandt wird. Legt man dagegen eine globale Sichtweise zugrunde, so ist die humanitäre Intervention aber nicht akzeptiert. Und natürlich ist für das Völkerrecht die globale Sicht der Dinge maßgebend", so Talmon.

US-Außenminster während seiner Rede zur Lage der Nation, 26.08.2013 (Foto: REUTERS)
Fordert Intervention: US-Außenminsiter John KerryBild: Reuters/Gary Cameron

Gefahr des Missbrauchs

Die Bedenken der Interventionsgegner gründen auf bisherigen Erfahrungen mit einseitigen Interventionen - allen voran mit der US-amerikanischen Invasion im Irak 2003. Die USA begründeten den Angriff damals damit, dass das Regime Saddam Husseins im Besitz von Massenvernichtungswaffen gewesen sei. Die Behauptung erwies sich später nicht nur als nicht stichhaltig, sondern als wissentliche Fehlinformation, um den Einsatz zu rechtfertigen. Nicht vom UN-Sicherheitsrat sanktionierte Interventionen stehen daher in besonderem Maß im Verdacht, willkürlich oder aus anderen als den offiziell deklarierten Gründen durchgeführt zu werden. "Natürlich birgt die humanitäre Intervention eine Gefahr, vor allem für schwache Staaten, die selbst nicht zu humanitären Interventionen fähig sind, aber Opfer einer solchen werden können", erläutert Talmon. Eben das hat sich beim Angriff auf den Irak gezeigt: Was die Regierung letztlich zu der Invasion bewegte, ist bis heute nicht eindeutig klar. Der Traum des damaligen Präsidenten George W. Bush von einem nach Jahren der Gewalt nun endlich befriedeten "Greater Middle East" könnte ein Motiv gewesen sein. Auch über die Sicherung der irakischen Ölquellen wurde spekuliert, ebenso darüber, die Bush-Regierung habe die im zweiten Golfkrieg verpasste Gelegenheit, Saddam Hussein von der Macht zu stoßen, nachholen wollen. Nur das offiziell vorgetragene Argument von Husseins Massenvernichtungswaffen war von Anfang an nicht stichhaltig.

So bergen humanitäre Interventionen ein erhebliches Missbrauchspotenzial. "Insbesondere dann, wenn sie auf Grundlage der Entscheidung einiger weniger Staaten - sogenannter Koalitionen der Willigen - vorgenommen werden", so Talmon.

Die Gruppe der Blockfreien Staaten - fast 120 Staaten dieser Erde - hätten nach dem Kosovo-Konflikt ausdrücklich festgestellt, dass “das sogenannte Recht auf humanitäre Intervention keine Grundlage im Völkerrecht findet“, so Talmon. "Auch jetzt werden wir Staaten sehen - nicht nur Russland und China, sondern wahrscheinlich auch Staaten wie Brasilien, Indien, Südafrika, die sich kritisch zu dem Militäreinsatz äußern werden, wenn er nicht auf Grundlage einer Resolution der Vereinten Nationen stattfindet."

Eine Karte, die westliche Streitkräfte in der Nachbarschaft Syriens zeigt
Umlagert: Westliche Streitkräfte in Syriens Nachbarschaft

Prinzip der Schutzverantwortung hilft nicht weiter

Diese Schwierigkeit lasse sich auch nicht durch das von den Vereinten Nationen anerkannte politische Prinzip der Schutzverantwortung beheben, so Talmon. In ihr haben sich die Staaten verpflichtet, bei schwersten Menschenrechtsverletzungen tätig zu werden. Dies soll nach Möglichkeit präventiv, also durch vorbeugende Maßnahmen geschehen; im Notfall aber auch repressiv, also durch den Einsatz von Gewaltmaßnahmen. Allerdings lässt sich auch aus dem Prinzip der Schutzverantwortung keine rechtliche Grundlage für einzelne Staaten zum militärischen Eingreifen herleiten.

"Das Konzept der Schutzverantwortung besagt in seiner repressiven Variante also letztlich nur, dass der Sicherheitsrat, der ursprünglich nur bei internationalen Konflikten tätig werden durfte, jetzt auch bei internen Konflikten tätig werden kann und dies auch tun soll. Allerdings nur im Rahmen der allgemeinen Beschränkungen der UN-Satzung. Das heißt, dass sich die Mitglieder des Sicherheitsrats auf ein Eingreifen einigen können." Auch sie bietet für die Intervention in Syrien also keine Rechtfertigung, so Talmon, da es im UN-Sicherheitsrat bisher keine Einigung zu Syrien gibt.

Ein syrischer Aktivist mit Gasmaske in Zamalka, wo ebenfalls Chemiewaffen eingesetzt wurden, 22.8. 2013 (Foto: REUTERS)
Schutz oder Verkleidung fürs Foto? Ein syrischer Aktivist in ZamalkaBild: Reuters