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Hass hinter Gardinen

Die Fragen stellte Christoph J. Heuer7. Februar 2007

Die Zahl der rechtsextremen und ausländerfeindlich motivierten Straf- und Gewalttaten ist in Deutschland auf den höchsten Stand seit sechs Jahren gestiegen. Der Pädagoge Wilhelm Heitmeyer erklärt warum.

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Demonstration von NeonazisBild: AP

DW-WORLD.DE: Die Zahl der rechtsextremen und ausländerfeindlich motivierten Straf- und Gewalttaten in Deutschland war 2006 auf dem höchsten Stand seit sechs Jahren. Wie erklären Sie sich diesen Anstieg?

Wilhelm Heitmeyer: Die Aktivitäten haben mancher Orts zugenommen, auf der anderen Seite hat sich die Sensibilität in der Bevölkerung verändert. Ein weiterer wichtiger Gesichtspunkt ist, dass bestimmte Einstellungsmuster in der Bevölkerung, wenn sie als normal angesehen werden, als Legitimation für Gewalt dienen. Deshalb muss man sehr davor warnen, die Gewalttaten vom gesellschaftlichen Klima abzukoppeln. Ein weiterer Punkt ist, dass insbesondere in Ostdeutschland der Widerstand stiller wird.

Warum sind solche Einstellungsmuster vor allem in Ostdeutschland zu beobachten?

In unserer Langzeituntersuchung haben wir festgestellt, dass die Abwanderung gerade aus kleinen Gemeinden und Kleinstädten einen Effekt hat, weil sie vor allem die gut ausgebildeten jüngeren Leute betrifft. Dann kommt so etwas wie eine Homogenität von Einstellungsmustern auf. Gegenbewegungen fallen nicht ganz weg, aber sie werden möglicherweise stiller. Das kann man inzwischen belegen. In ökonomisch abwärts driftenden Regionen finden wir mehr abwertende Muster von schwachen Gruppen, als in prosperierenden Regionen. Es kommt ja nicht von ungefähr, dass gerade in den wirtschaftlich schwachen Gebieten etwa die NPD dazu aufruft, stärker als bisher aktiv zu werden.

Ist bei Erklärungsversuchen des Ost-West-Gefälles auch die Vergangenheit Ostdeutschlands von Bedeutung?

Es gibt sicher Zusammenhänge zwischen autoritären Einstellungen und der Abwertung von Fremden. Andererseits sind die Jüngeren schon in der offeneren Bundesrepublik aufgewachsen. Man muss genau hinschauen, ob es nicht eher die Ängste dieser neuen Gesellschaft sind. Offensichtlich gibt es die Ablehnung demokratischer Errungenschaften. Die Akzeptanz der Demokratie steht für manche zur Debatte. Das hängt mit dem starken wirtschaftlichen Abschwung vor einigen Jahren zusammen. Das Demokratielernen im Westen war dagegen mit Aufschwung verbunden.

Kann der aktuelle wirtschaftliche Aufschwung das gesellschaftliche Klima auch im Hinblick auf fremdenfeindliche Tendenzen verbessern?

Das ist ein großes Fragezeichen. Dieser Aufschwung ist ja nicht gleich verteilt. Es kann auch zum gegenteiligen Effekt kommen, wenn die Menschen in den schwachen Gebieten feststellen, dass der Aufschwung wieder an ihnen vorbeigeht. Das sind aber bisher noch Hypothesen.

Spielt neben dem ökonomischen Abwärtstrend in bestimmten Regionen auch mangelnde Bildung eine Rolle?

Selbstverständlich. Wenn die gut ausgebildeten Menschen die Regionen, in denen sie selbst keine Chancen mehr sehen, verlassen, verändert sich dort auch die politische Kultur. Das ist ein Problem der strukturschwachen Gebiete.

Projizieren einige Menschen, die in diesen strukturschwachen Gebieten zurückgeblieben sind, dann die eigene Unzufriedenheit auf Ausländer oder wie kommt es zu dem ausländerfeindlichen Klima?

Da muss man unterscheiden. Auf der einen Seite sind es in der Tat Desintegrationsprozesse und -ängste, die zahlreiche Menschen umtreiben. Wenn dann noch Orientierungslosigkeit dazukommt, nach dem Muster "in welcher Gesellschaft leben wir eigentlich und welche Regeln gelten hier", dann kann gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit auftreten: die Abwertung anderer, um sich selbst aufzuwerten. Man muss dabei unterscheiden zwischen der privatisierten Einstellung und den aktiven Gruppen, die das dann zur Legitimation nehmen. Gewalttaten werden meist von Jüngeren begangen. Die feindseligen Einstellungsmuster sind aber eher hinter den Gardinen vorhanden: Bei den Älteren. Sie liefern die Legitimation. Dies wird oft unterschätzt, darauf reagiert die Gesellschaft nicht.

Vor der Fußball-WM 2006 wurde kontrovers über so genannte No-go-Areas diskutiert, also über Gebiete, in denen sich ausländisch aussehende Menschen nicht blicken lassen sollten. Hat diese Debatte zu nachhaltigen Veränderungen geführt?

Das kann man schlecht beurteilen. Den Begriff No-go-Areas sollte man noch einmal überdenken. Es geht um Angstzonen, die zum Teil stabil, manchmal aber auch schon bald nicht mehr da sind.

Könnte die Diskussion sogar einen negativen Effekt gehabt haben, weil man den Rechtsextremen dadurch "Reviere" eingeräumt hat?

Ein solcher Effekt kann eintreten, deshalb ist das ambivalent. Es ist auch ein Aufruf, zu sagen, dass wir es nicht einfach weiterlaufen lassen, nicht weiter verschweigen, dass es für bestimmte Menschengruppen eine öffentliche Freiheitsberaubung gibt. Es ist gleichzeitig ein Aufruf, aktiver zu werden. Das gilt insbesondere für die Interventionsprogramme des Bundes. Man sollte nicht nur Projekte initiieren, wo bereits zahlreiche Aktivitäten sind, sondern gerade dort, wo es eine Dominanz rechter Gruppen gibt.

Was kann der Staat angesichts des Anstiegs rechtsextremer und fremdenfeindlicher Straftaten tun?

Zum einen muss der Staat mit Polizei und Justiz arbeiten. Aber Repression erzeugt auch immer Innovation. Rechtsextreme Gruppen schaffen sich eigene private Strukturen. Dadurch werden die Eingriffsmöglichkeiten des Staates geringer. Doch nicht nur Staat und Politik, für den Zustand der Gesellschaft sind viele mitverantwortlich. Das geht von Wirtschaft und Presse, über die alltägliche Zivilcourage, bis hin zu sozialen Bewegungen, die auf die Straße gehen. Nicht nur der Staat sollte agieren. Das führt nur zu einer Verhärtung der ohnehin schon grassierenden Politiker- und Politikerinnenverdrossenheit, die ich angesichts der momentanen Demokratie-Entleerung für sehr bedenklich halte. Da muss man sehr vorsichtig sein.

Besteht die Gefahr der "Demokratie-Entleerung" gerade in Zeiten einer Großen Koalition?

Es wird schon mehrfach diskutiert, dass nicht mehr klar ist, wohin sich die Gesellschaft entwickeln soll. Die große Koalition verzettelt sich in Details, die kaum jemand versteht, wie etwa bei der Gesundheitsreform. Es muss eine Debatte angestoßen werden, in welcher Gesellschaft wir eigentlich leben wollen. Da sehen wir eine große Orientierungslosigkeit bei den Menschen, weil zahlreiche Regeln für das Funktionieren dieser Gesellschaft, die bisher galten, außer Kraft gesetzt zu sein scheinen. Denken Sie nur an die horrenden Gewinne von großen Firmen und gleichzeitige Ankündigungen von Massenentlassungen. Das begreift kein Mensch. Das sorgt dafür, dass sich Menschen abwenden.

Wilhelm Heitmeyer
Bild: Nele Heitmeyer

Wilhelm Heitmeyer, 62, ist Professor für Pädagogik mit dem Schwerpunkt Sozialisation an der Universität Bielefeld. Sein Forschungsinteresse gilt seit 1982 Rechtsextremismus, Gewalt, Fremdenfeindlichkeit, ethnisch-kulturellen Konflikten, sozialer Desintegration und seit einigen Jahren der so genannten gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit. Heitmeyer gründete 1996 das Institut für interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung und leitet es seitdem.