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Lehren aus dem 11. September

Daniel Scheschkewitz, Washington22. Juli 2004

In Washington hat die parteiübergreifende Kommission zum 11. September ihren Abschlussbericht vorgelegt. Auf über 500 Seiten werden Fehler und verpasste Chancen aufgelistet. Daniel Scheschkewitz kommentiert.

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Wären die Terroranschläge zu vermeiden gewesen? Zu diesem vernichtenden Urteil mochten sich die Kommssionsmitglieder nicht versteigen, auch wenn die Versuchung groß gewesen sein muss. Denn in schonungsloser Offenheit wird in dem Bericht auf fast sechshundert Seiten staatliches Versagen dokumentiert.

Die Attentäter von New York und Washington konnten ihr teuflisches Vorhaben weitgehend ungestört in die Tat umsetzen, weil es die USA unvorbereitet traf und keiner mit einem Terroranschlag dieser Dimension und dieser Machart gerechnet hatte. Beim CIA stritten die Geheimdienstler über die Frage, ob man Osama Bin Laden töten dürfe, im FBI verschlampte man Durchsuchungsbefehle, und die Sicherheitskräfte am Flughafen von Washington winkten einige der Attentäter noch am Morgen der Anschläge völlig ahnungslos durch die Sicherheitskontrollen.

Und Präsident Bush? Der saß im Weißen Haus und dachte darüber nach, wie man Saddam Hussein zu Leibe rücken könnte. Dass der Iran möglicherweise viel intensiver mit der El Kaida kooperierte als der Irak, wissen wir heute nach Vorlage des Berichts. Schon wird öffentlich die Frage diskutiert, ob Amerika wohl das falsche Land angegriffen hat? 20 Monate lang haben die Kommissionsmitglieder Akten gewälzt, Zeugen vernommnen und Politiker interviewt. In ihrer abschließenden Analyse teilen sie gleichermaßen gegen die Clinton- wie gegen die Bushregierung aus.

Doch statt billige Politikerschelte zu betreiben, üben die Kommissionsmitglieder vor allem konstruktive Kritik. Die Geheimdienste müssen effizienter werden, einer zentrale Kontrolle unterworfen werden und vor allem sprach- und landeskundige Mitarbeiter einstellen, für die der Islam kein Fremdwort ist.

Die Phantasie der Terroristen kennt in ihrer abgrundtiefen Menschenverachtung keine Grenzen. Nur wenn man ihre Strategien durchkreuzt und ihre Absichten erahnt - können Terroranschläge vom Ausmaß des 11. Septembers künftig verhindert werden. Und die Geheimdienste müssen weltweit noch besser zusammenarbeiten. Denn das Netz der Terroristen ist global gespannt und die El Kaida echselt ihre Operationsbasen nach dem Opportunitätsprinzip.

Die Unterfinanzierung der Geheimdienste in den USA ist inzwischen gestoppt. Doch mit Geld allein wird man auch in Zukunft keine Terroranschläge verhindern können. Neben menschlicher Expertise bedarf es auch einer Außen und Sicherheitspolitik, die Amerika als Freund und nicht als Feind anderer Völker und Kulturen erkennbar macht. Auch darauf haben die Kommissionsmitglieder völlig zu recht hingewiesen. Denn solange Terrorismusprävention sich in militärischen Präventivschlägen erschöpft, ist auch der beste Geheimdienst der Welt machtlos, und die Supermacht Amerika vor neuen Anschlägen nicht gefeit.