1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Leidenschaften

13. November 2009

Vier Autorinnen schreiben ein Buch ausschließlich über Schriftstellerinnen – ein Werk des Feminismus? Den, in seiner offensiven Variante, haben sie hinter sich. Wie auch alle Debatten um "U"- oder "E"-Literatur.

https://p.dw.com/p/KW00
Buchcover Leidenschaften 99 Autorinnen der Weltliteratur
Foto: Margaret Mitchell ("Vom Winde verweht")Bild: Bertelsmann

Vor, sagen wir, 35 Jahren wäre dies allein aufgrund seiner Voraussetzungen ein flammendes Pamphlet gewesen: Vier Autorinnen – im Hauptberuf Literaturkritikerinnen, eine von ihnen selbst zudem Schriftstellerin – schreiben über 99 Frauen, die Weltliteratur geschrieben haben. Die Botschaft damals wäre gewesen: Aufgemerkt, Herrschaften! Es gibt uns! Und: Auch wir Frauen gehören dazu, zur großen weiten Welt der Literatur, und zwar seit Jahrtausenden! Zehn Jahre später wiederum hätte sich das, was Verena Auffermann, Gunhild Kübler, Ursula März und Elke Schmitter mit ihrem Buch unternehmen, dann noch einmal anders gelesen: Wir unterscheiden nicht zwischen "U"- und "E"-Literatur!, hätte es in den achtziger Jahren mit der Verve des Tabubruchs geheißen. Wir stellen Hedwig Courths-Mahler, Astrid Lindgren, Hildegard von Bingen und Sappho auf eine Stufe!

Porträts aus allen Zeiten

Das undatierte Archivbild zeigt die deutsche Schriftstellerin Hedwig Courths-Mahler (1869-1950).
Auf einer Stufe: Hedwig Courths-Mahler (1869-1950)...Bild: picture-alliance/dpa

Wie verjährt heute beide Arten der Energie-Aufwallung sind, enthüllt sich unmittelbar, wenn man beginnt, in dem dickleibigen Band mit dem Titel Leidenschaften herumzulesen – kann es heute noch eine Entdeckung sein, dass Frauen großartige Literatur geschrieben haben? Und ist es heute noch ein Zähnefletschen wert, sogenannt Triviales neben der sogenannten Hochliteratur zu sehen, beides von den Autorinnen mit derselben Leidenschaft ins Auge gefasst? Natürlich nicht, und das gibt dem Buch von vornherein eine Entspanntheit, die sich wohltuend auswirkt. Hier muss nichts mehr bewiesen, begründet, erkämpft und behauptet werden, die Verfasserinnen können sich umweglos ihrem Gegenstand widmen: dem literarischen Lebenswerk von 99 Schriftstellerinnen aus allen Zeiten, aus der gesamten schriftsprachlich kartierten Welt.

Die Nervenkekse der Hildegard von Bingen

Entspannt, in der Sache präzise recherchiert, feuilletonistisch im besten Sinn und hie und da mit einem eigenen literarischem Anflug, so ist das Buch geschrieben. Und daraus folgt, dass etwa der Essay über Hildegard von Bingen mit einer kleinen Erzählung über die "Nervenkekse" beginnt, die die gelehrte, von Gesichten heimgesuchte Frau angeblich in ihrem Kloster zu backen pflegte; welche Folgen das Gebäck bei Heutigen auslösen kann – und warum dies ein Rezept der Klosterfrau schließlich wohl doch nicht gewesen sein kann, erfährt man hier auch noch.

Bild der Hildegard von Bingen im Kloster St. Hildegard, Deutschland, Hessen, Rheingau, Rüdesheim.
...Hildegard von Bingen (1098-1179)...Bild: picture alliance / united archives

Dazwischen aber alles Wesentliche über Lebenslauf und Schaffen Hildegards, und hat man mit diesem Porträt einmal begonnen, wird man (auch ohne Einnahme von Nervenkeksen) unbedingt weiterlesen wollen: denn das Buch führt nicht nur vom Bekannten ins Unbekannte, bislang Ungewusste, es nimmt seine LeserInnen auch auf Zeitreisen durch Jahrtausende literarischer Schrift-Kultur mit und dabei durch alle Formen und Genres der Literatur. Die Gliederung all dessen ist die schlichtest mögliche: Die Autorinnen folgen dem Alphabet.

Anstiftung zum Lesen von A bis Z

Von George Eliot gelangt man so zu Marieluise Fleißer, von dieser weiter zu Paula Fox, an die wiederum sich Natalia Ginzburg anschließt, gefolgt von Nadine Gordimer und Patricia Highsmith. Und wer war eigentlich noch Silvina Ocampo, wer Jean Rhys oder Eileen Chang? Murasaki Shikibu? Clarice Lispector? Zhang Jie? Unmerklich, im genießerischen Schmökern, stellt sich als Nebenwirkung ein, was auf diese Weise nur höchst selten zustande kommt: Bildung. Und zugleich: die Lust, nach einer womöglich ersten Begegnung mit den Schriftstellerinnen auf diesen Seiten, nun diese selbst kennen zu lernen – oder auch seine Virgina Woolf (Herta Müller, Anna Achmatowa, Zeruya Shalev …) noch einmal vorzunehmen, nachdem man ihnen hier wiederbegegnet ist.

Die Schriftstellerin Astrid Lindgren (Archivbild vom 04.11.1997). dpa
...und Astrid Lindgren (1907-2002)Bild: dpa

Eine Anstiftung zum Lesen also: Aus der Leidenschaft der Verfasserinnen folgt, wie es ja sein soll, die Verführung. Und am Ende triumphiert die Literatur – die von Frauen geschriebene, notabene.

Rezensentin: Frauke Meyer-Gosau
Redaktion: Gabriela Schaaf

Verena Auffermann, Gunhild Kübler, Ursula März, Elke Schmitter:

Leidenschaften. 99 Autorinnen der Weltliteratur. C.Bertelsmann Verlag. 638 S. m. Abb. 24,95 Euro.