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Leistungspunkte fürs Ehrenamt?

6. August 2009

An vielen Unis arbeiten Studierende ehrenamtlich. Aber die Zahl der Freiwilligen sinkt. Deshalb vergibt die Uni Münster Leistungspunkte für freiwillige Arbeit. Zum Wintersemester soll die Initiative ausgeweitet werden.

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Anna Engels, Studentin der Uni Münster (Foto: Sebastian Witte, DW)
Begeisterte Ehrenamtlerin: Anna Engels von Radio QBild: Sebastian Witte

Wenn ihre Kommilitonen nach den Vorlesungen ins Freibad oder in den Biergarten gehen, beginnt für Anna Engels die Arbeit. Mit Mikrofon und Aufnahmegerät zieht die Studentin los, recherchiert, interviewt Gesprächspartner, schreibt Radiobeiträge. Anna Engels ist Redakteurin bei Radio Q, dem Campusradio der Universität Münster. Die Arbeit leistet sie ehrenamtlich. Und gehört damit zu einer aussterbenden Art. 2006 waren noch zwei Drittel aller deutschen Studierenden ehrenamtlich tätig, mittlerweile ist es nur noch ein Drittel.

Die Studierenden in Deutschland haben keine Zeit mehr, sich gemeinnützig zu betätigen. Das jedenfalls sind die Erfahrungen von Marianne Ravenstein, Prorektorin für Lehre, Studienreform und studentische Angelegenheiten an der Universität Münster. Während der Umstellung der herkömmlichen Diplom- und Magisterstudiengänge auf die neuen Bachelor- und Masterstudiengänge hätten sich viele Vertreter studentischer Initiativen darüber beklagt, "dass die Studierenden sich nicht mehr engagieren können", so Ravenstein.

Credit-Points von Radio Q

Studio von Radio Q, dem Studentenradio der Uni Münster (Foto: Sebastian Witte, DW)
Das Studio des CampusradiosBild: Sebastian Witte

Keine guten Nachrichten für Radio Q, denn das Campusradio stützt sich auf genau diese ehrenamtlichen Mitarbeiter. Vor drei Jahren führte der Sender deshalb die sogenannte Radio-Kompaktausbildung ein, die seither einmal pro Semester für 15 Studierende angeboten wird. Innerhalb von acht Wochen lernen die Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Ausbildung die Grundlagen des Hörfunkjournalismus. Der Hintergedanke: Für gute Mitarbeit im Kompaktkurs können die Studierenden bis zu fünf Credit-Points sammeln. Das entspricht immerhin einem Viertel der 20 Leistungspunkte, die viele im Bereich "Allgemeine Studien" erarbeiten müssen.

Auf diese Weise will Radio Q langfristig mehr Studierende für sich gewinnen. Die Hoffnung: Studierende, die sich für den Journalismus interessieren, werden über die Leistungspunkte in den Radio-Kompaktkurs gelockt – und bleiben dem Campusradio auch nach dem Kurs noch treu. Und zwar auch dann, wenn sie nach Abschluss der achtwöchigen Ausbildung keine weiteren Credit-Points mehr für ihre ehrenamtliche Mitarbeit bekommen.

Strenge Kontrolle studentischer Initiativen

Radio Q ist nicht die einzige Initiative, die an der Uni Münster Leistungspunkte für ehrenamtliche Tätigkeiten eingeführt hat. Auch die internationalen Studentenorganisationen AIESEC oder SIFE und der studentische Verein Weitblick vergeben Leistungspunkte fürs Ehrenamt. Insgesamt können die Münsteraner Studierenden ihre Ehrenamt-Punkte in etwa einem Dutzend studentischer Initiativen sammeln.

Allerdings erkennen nicht alle Fakultäten die dort gesammelten Punkte an. Bisher beteiligen sich das Institut für Kommunikationswissenschaft und die Fakultät für Wirtschaftswissenschaften an dem Modell. Ab dem Wintersemester 2009/10 sollen zusätzliche Fakultäten und auch weitere studentische Initiativen mit ins Boot geholt werden, sagt Norbert Frie, Pressesprecher der Universität Münster. "Aber es wird nicht jeder beliebige Verein mitmachen können", betont Frie. Das Rektorat prüfe vorab streng, ob und wie viele Leistungspunkte ein Verein vergeben darf. Damit wolle man einem möglichen Missbrauch von Vornherein einen Riegel vorschieben.

Zeitfresser: Bachelorstudium

Marianne Ravenstein, Prorektorin für Lehre, Studienreform und studentische Angelegenheiten an der Universität Münster (Foto: Sebastian Witte)
Marianne Ravenstein ist stolz auf das Münsteraner ModellBild: Sebastian Witte

Bisher scheint das Konzept aufzugehen. Von den 15 Studentinnen und Studenten, die jedes Semester am Kompaktkurs von Radio Q teilnehmen, bleibt im Schnitt rund die Hälfte dem Campusradio treu. Zumindest für ein paar Wochen oder Monate. "Das Bachelorstudium raubt uns das Ehrenamt, aber ich glaube, die Kompaktausbildung ist eine Möglichkeit, dem entgegenzusteuern", sagt Benedikt Meyer, erster Vorsitzender des Campusradios. Eine schlechte Klausur im Hauptfach auszubessern wird mit den ehrenamtlich erworbenen Leistungspunkten aber nicht möglich sein.

Mehr Zeit für echtes Ehrenamt

Credit-Points also als Rettungsanker fürs aussterbende Uni-Ehrenamt? Jochen Hesping, Vorsitzender des Allgemeinen Studierenden Ausschusses AStA, würde da nicht zustimmen. Er bewertet das Modell der Universität Münster kritisch und sieht ein Problem darin, "dass hier ehrenamtliches Engagement zu Leistung innerhalb des Studiums werden soll". Der soziale Gedanke, der beim Ehrenamt im Vordergrund steht, werde überschattet durch ein "eigennütziges Interesse", so Hesping. Stattdessen solle man lieber über eine Entlastung der Studierenden innerhalb des Studiums nachdenken, damit wieder mehr Zeit für echtes Engagement bleibe. Eine Forderung, die im Rektorat auf offene Ohren stoßen dürfte. "Die Uni prüft zurzeit, wo man Freiräume im Studium schaffen kann", sagt Pressesprecher Norbert Frie.


Autor: Sebastian Witte
Redaktion: Svenja Üing