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Lethargie und Zersplitterung

Gérard Foussier6. Juni 2002

Fünf Wochen nach der Präsidentschaftswahl werden die Franzosen erneut zu den Wahlurnen gerufen. Die Franzosen sind nach den Präsidentschaftswahlen nun wieder politikmüde, meint Gérard Foussier.

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Drei Themen beschäftigen zurzeit die Franzosen: Die Oberschenkelverletzung von Fußballstar Zinédine Zidane bei der Weltmeisterschaft in Asien; die Leistungen der Tennisspieler bei den French Open in Paris; und die nächste Tour de France, von der behauptet wird, sie wurde nur deswegen erfunden, um Regierungskrisen in der hochsommerlichen Ferienzeit zu vermeiden. Alles andere lässt die Franzosen gleichgültig – auch der erste Wahlgang zu den Parlamentswahlen am Sonntag (9.6.).

Diese lethargische Haltung der französischen Wähler kann überraschen, nur fünf Wochen nach der überraschenden und bitteren Niederlage des sozialistischen Premierministers Lionel Jospin und dem nicht weniger überraschenden Wahlerfolg der Rechtsextremen beim ersten Wahlgang der Präsidentschaftswahlen.

Nun wissen die linken Parteien, warum sie kläglich verloren haben: Unter anderem wegen einer langweiligen Wahlkampagne, aber auch wegen einer dramatischen Zersplitterung der Kandidaturen aus ihrem eigenen Lager. Nicht weniger als vier Varianten von Kommunismus sowie mehrere grüne und sozialistische Bewerber haben den damaligen amtierenden Regierungschef wertvolle Stimmenanteile gekostet. Die Folge war ein einmaliger Einsatz der Demokraten von rechts und links gegen den Rechtsextremen Jean-Marie Le Pen bei der Stichwahl. Jacques Chirac wurde dann am 5. Mai mit 82 Prozent der Stimmen wiedergewählt.

Nun müssen die Wähler entscheiden, ob der gaullistische Präsident in den nächsten fünf Jahren mit einer eigenen bürgerlichen Mehrheit regieren kann oder ob er mit einer erneuten Zwangsehe mit den Sozialisten, Kommunisten und Grünen, "Cohabitation" genannt, leben muss.

Die Politiker scheinen aus den Entwicklungen der letzten Wochen nichts gelernt zu haben. Selten haben die Franzosen einen so langweiligen Wahlkampf erlebt. Und schlimmer noch: Mit durchschnittlich 15 Kandidaten pro Wahlkreis ist eine Wiederholung des Dilemmas der Präsidentschaftswahlen diesmal auf regionaler Ebene zu befürchten. Fazit: Zur Stichwahl am 16.6. dürfte in vielen Wahlkreisen ein demokratischer Kandidat, von rechts oder von links, einem rechtsextremen gegenüberstehen. Ob sich die Solidarität der Demokraten gegen die Le Pen-Anhänger wie bei der Chirac-Wahl wieder zeigt, ist fraglich. Die bürgerlichen Wähler wollen keine neue lähmende Cohabitation riskieren und hoffen auf eine eigene Mehrheit in der Pariser Nationalversammlung. Ihrerseits hätten die linken Wähler mit einer zu großen Mehrheit von rechts zu viel Gewissensbisse, um wieder einmal für den Gegenkandidaten stimmen zu wollen.

Da die Meinungsforschungsinstitute nach dem Überraschungsergebnis vom vergangenen April mit ihren Voraussagen sehr vorsichtig geworden sind, ist kaum eine Prognose zu wagen, auch wenn eine Mehrheit für Chiracs Lager sehr wahrscheinlich ist. Egal welche Mehrheit aus den Urnen kommen wird, diese Parlamentswahlen werden nicht der deutliche Ausdruck eines politischen Volksbegehrens zugunsten der einen oder anderen Seite sein. Der Aufstand der Demokraten, der im Mai den Sieg von Chirac gegen Le Pen ermöglicht hat, ist außer Atem. Die Rechtsradikalen werden ihre Rolle als Spielverderber der französischen Demokratie weiterhin wahrnehmen, als wäre in den letzten Wochen gar nichts geschehen.