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Lettland weist russischen Diplomaten wegen Spionage aus

26. April 2004

- Russland: Eine Provokation

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Riga, 24.4.2004, DIENA, lett.

Das [lettische] Außenministerium hat am Freitag (23.4.) einen russischen Diplomaten aufgefordert, wegen Spionage innerhalb von 72 Stunden das Land zu verlassen. Die wahrscheinlichste Reaktion darauf wird sein, dass ein lettischer Diplomat jetzt aus Russland ausgewiesen wird. Der Kulturattaché, der mindestens drei Jahre lang in Riga tätig war, hatte sich allzu interessiert an der militärischen Infrastruktur der neuen NATO-Mitglieder und an internen politischen Entwicklungen gezeigt. Es ist der sechste Diplomat, der in diesem Jahr aus den baltischen Ländern, die seit einem knappen Monat Mitglieder der NATO sind und in einer Woche der EU angehören werden, ausgewiesen worden sind. Lettland ist das letzte der drei baltischen Länder, die Diplomaten ausgewiesen haben.

Moskau bezeichnet den Vorfall als Provokation, die "wieder einmal zeigt, dass es in den Hauptstädten der baltischen Länder ein deutliches Defizit an eigenständigen Entscheidungen gibt" und gibt zu verstehen, dass hinter der Ausweisung Lettlands Verbündeten stehen.

Die Stellungnahme des russischen Außenministeriums enthält aber ein interessantes Detail. Es wird behauptet, was geschehen sei, sei keine Überraschung, da es in einer Pressemitteilung am 12. April vor "solchen Plänen russophober lettischer Politiker" gewarnt habe. (...)

Offiziell wird der Name des ausgewiesenen Diplomaten nicht bekannt gegeben, nach unserer Zeitung vorliegenden Informationen aber handelt es sich um Pjotr Urschumow, Zweiter Sekretär der Botschaft. Angaben der Sicherheitsorgane darüber, was tatsächlich geschehen ist, sind spärlich, das Amt für Verfassungsschutz (SAB) hat aber zumindest teilweise Beweise. "Der Diplomat hat versucht, an Informationen über die militärische Infrastruktur der NATO und über bestimmte lettische innen- und außenpolitische Ereignisse zu kommen und diese weiter zu nutzen", sagte der Pressesprecher des größten Geheimdienstes des Landes, Dainis Mikelsons. Aus zuverlässigen Quellen verlautete, es habe sich um "Armeepläne" und "das Sammeln belastenden Materials" gehandelt.

Bekannt geworden war die Ausweisung am Freitagnachmittag nachdem Staatssekretär Maris Riekstins den russischen Botschafter, Igor Studennikow, beordert und ihm eröffnet hatte, aus Berichten der Sicherheitsorgane gehe hervor, dass seine "Aktivitäten" mit seinem "diplomatischen Status unvereinbar" seien, was in der Diplomatensprache Spionage bedeutet. Der Botschafter sagte, er sei überrascht, habe sich an die diplomatischen Richtlinien gehalten und wies warnend darauf hin, der Vorfall könnte sich auf die Beziehungen beider Länder negativ auswirken. "Wir hoffen, die russische Regierung wird nicht auf gleiche Weise reagieren, gehen aber davon aus, dass diese geschehen könnte. Aber alle unsere Diplomaten halten sich an ihre Regeln", so Riekstins.

Die aus 31 Mitarbeitern bestehende russische Botschaft - die größte Botschaft in Riga - hatte den Sicherheitsorganen niemals Grund zu der Illusion gegeben, dass sich hinter den offiziellen Posten einiger nichts anderes verbirgt. In den 14 Jahren seit der Wiederherstellung der Unabhängigkeit ist dies aber das erste Mal, dass Lettland einen ausländischen Diplomaten wegen Spionage ausweist. SAB-Direktor Janis Kazocins bezeichnete die Ausweisung in [der Zeitung] Latvijas Avize als ultimativen Schritt, da gewöhnlich Diplomaten das Einreisevisum für Lettland verweigert werde, was in diesem Jahr sogar geschehen sei.

Estland hat mit der Ausweisung von Diplomaten die größte Erfahrung: Im Jahre 2000 wies es einen Konsul und einen Botschaftsattaché aus, die sich für die Reform der Streitkräfte interessiert hatten. Im März dieses Jahres wies Estland zwei Diplomaten aus, weil sie an Unterlagen heranzukommen versucht hätten, die mit Estlands EU-und NATO-Mitgliedschaft im Zusammenhang standen und möglicherweise an Militärplänen des Bündnisses interessiert waren. Ihre Namen und Posten wurden nicht bekannt gegeben, Angaben der Presse zufolge waren es professionelle Geheimdienstler, jedoch niedrigeren Ranges, erfuhr unsere Zeitung von Karel Kaas von der estnischen Zeitung Postimees.

Ende Februar wurden drei Diplomaten aus Litauen ausgewiesen mit der Begründung, sie seien Geheimdienstoffiziere gewesen, die versuchten, an Informationen heranzukommen und den Privatisierungsprozess zu beeinflussen sowie auf rechtswidrige Weise an Material über die Absetzung von Präsident Rolandas Paksas heranzukommen. Nach Meldungen von BNS [Baltische Nachrichtenagentur] handelte es sich dabei um den Ersten Sekretär einer Botschaft, der als "extrem eifriger" Sammler von geheimem Material bezeichnet wurde, einen ersten Sekretär, spezialisiert auf das Sammeln militärischer Informationen sowie einen Mitarbeiter einer Handelsmission, der besonders interessiert war an [dem Ölkonzern] Mezeikiu Nafta, an Lithuanian Gas, den Stromwerken und deren möglicher Privatisierung.

Russland reagierte in jedem einzelnen Fall auf gleiche Weise. Der lettische diplomatische Dienst rüstete sich am Freitag also für den Fall, dass einer seiner Diplomaten aus einem gewissen Land ausgewiesen wird. (TS)