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Letzte Ruhe nach 64 Jahren

14. August 2009

Sie gehören zu den letzten Opfern des Zweiten Weltkriegs: 2161 Deutsche kamen kurz vor Ende des Krieges in Malbork, an der deutsch-polnischen Grenze ums Leben. Erst jetzt wurden sie beigesetzt. Wer sie waren, ist unklar.

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Deutsche Opfer im 2. Weltkrieg in Polen Beisetzung (Foto: dpa)
Die Kriegsopfer wurden nun in einem Dorf bei Stettin bestattetBild: picture-alliance/ dpa

Die eiserne Garagentür geht auf. Seit Monaten stehen hier 109 Särge, aufeinander gestapelt und warten auf ihren letzten Transport. Darin sind die Gebeine von 2116 Toten, in jedem Sarg liegen Knochen mehrerer Opfer. Hartmut Mehnert vom Volksbund der deutschen Kriegsgräberfürsorge erklärt warum: "Da das eine Massengrab-Anlage war und weil man die Toten nicht trennen konnte, haben wir große Särge genommen und in jedem Sarg befinden sich die Gebeine und Reste von bis zu 20 Toten."

Außer den Vertretern des deutschen Volksbundes für Kriegsgräberfürsorge stehen auf dem Platz nur noch die Arbeiter, die die Särge auf einen LKW tragen, der Chef der Städtischen Verkehrsbetriebe, auf dessen Gelände die Garage gemietet wurde, und ein TV-Team der Deutschen Welle. Sonst wusste niemand vom Versteck der Gebeine. Man wollte keine Lokalpresse dabei haben, denn Aufsehen hatten die Stadt Malbork, das frühere Marienburg, und die Kriegsgräberfürsorge schon Anfang 2009 genug, sagt Piotr Szwedowski, der Sprecher der Stadt. "Wir wollten die Überreste der Toten würdig bergen und eine Exhumierung durchführen. Doch das mediale Interesse war riesengroß und hat alles nur gestört."

Exhumierung der Leichen (Foto: dpa)
Bei einem Hotelbau wurden die Leichen zufällig entdeckt - im Januar hat man sie exhumiertBild: picture-alliance/ dpa

Anfang 2009 wurden die Leichen exhumiert

Die 40.000-Einwohner-Ortschaft nahe der Ostsee schien mit dem Medieninteresse und den lästigen Spekulationen etwas überfordert zu sein, zumal sie teilweise absurden Verschwörungstheorien widersprechen musste. Mittlerweile kann man zumindest manche von ihnen ausschließen: Die Toten sind nicht Opfer eines Exekutionskommandos geworden - das schließen die Untersuchungen der Gebeine aus. Nur bei ein paar Toten wurden Kopfschüsse festgestellt, die restlichen trugen keine Spuren von Gewalt dieser Art. Zbigniew Sawicki, der Archäologe der Stadt leitete die Exhumierung Anfang des Jahres. "Wir können nicht eindeutig sagen, ob hier nur Marienburger liegen, die es nicht mehr geschafft haben, zu fliehen, bevor die Rote Armee kam, oder ob es auch Flüchtlinge aus Ostpreußen sind", sagt er. "Auch über das Schicksal der Menschen können wir nur mutmaßen, denn es gibt keine echten Augenzeugen."

Ein paar Personen haben sich nach all dem Medientrubel doch gemeldet. Unter anderem eine Frau aus Westdeutschland, die in einem Brief ihre Erinnerungen schildert. Es war im Winter 1944, die meisten Menschen flohen aus der Stadt. "40 Tage haben die Straßenkämpfe gedauert. Tagsüber waren Russen da, nachts kamen Deutsche", schreibt die alte Dame. "Die Russen haben 14 junge Frauen, darunter auch meine Tante und meinen kleinen Bruder mitgenommen, bis heute wissen wir nicht, was mit ihnen passierte. Was ich als junges Mädchen erlebte, möchte ich nicht beschreiben. Im März haben die Russen die Stadt erobert und holten uns, damit die Erwachsenen die Leichen einsammeln."

Keine der Leichen wurde identifiziert

In der Stadt rechnet man damit, dass in Zukunft noch mehr solche Funde auftauchen könnten. Auch die Kriegsgräberfürsorge hat schon Hinweise für zwei weitere Massengräber aus anderen polnischen Städten. Deshalb will man die Toten auf einem zentralen Friedhof begraben. Es geht auch um Geld, sagt Hartmut Mehnert vom Volksbund der deutschen Kriegsgräberfürsorge. "Wir können nicht überall dort, wo wir Tote finden, einen Friedhof bauen. Deshalb bringen wir sie nach Stare Czarnowo. Wenn man zumindest Angehörige kennen würde, wäre das etwas anderes." Aber es sind keine gefunden worden, keine der Leichen wurde identifiziert.

Deutscher Botschafter bei der Beisetzung (Foto: dpa)
Keine der Leichen wurde identifiziert - jetzt sollen die Toten in einem Dorf bei Stettin ihre letzte Ruhe findenBild: picture-alliance/ dpa

Der Stadtverwaltung war es recht, dass die Gebeine am Freitag (14.8.2009) 400 Kilometer weiter begraben wurden. In Malbork soll ein Denkmal am Fundort aufgestellt werden, das an das Massengrab erinnert. Auch das Hotel, bei dessen Bauarbeiten die Gebeine gefunden worden waren, entsteht jetzt woanders. Über die Fundstelle ist mittlerweile Gras gewachsen und die Stadt ist sich sicher, dass es die beste Lösung ist.

Angst vor rechten Pilgern

Es könnte da noch einen weiteren Grund geben, weshalb die Stadt nicht auf einen eigenen Friedhof bestanden hat. Keiner sagt das hier ganz offen, doch in Malbork gab es offensichtlich Bedenken, ob eine große deutsche Grabstätte nicht rechtsradikale Pilger anziehen könnte. Doch eine offene Diskussion dazu gab es nicht. Seit der Entdeckung des makabren Fundes vor zehn Monaten gab es weder ein Podiumsgespräch noch einen Infoabend.

Das Thema hat natürlich - wie so häufig im deutsch-polnischen Verhältnis - auch eine politische Dimension: Erika Steinbach vom Bund der Vertriebenen kritisierte den deutschen Außenminister Frank Walter Steinmeier (SPD) für seine Abwesenheit bei der Beisetzung. "Ein deutscher Botschafter sei nicht genug", erklärte sie im Boulevard-Blatt "Bild" und fragte, ob deutsche Opfer dem Außenminister nicht wichtig seien. Doch auch sie kam nicht persönlich zur Beisetzung – wohl um den Unmut der Polen nicht zu provozieren.

Autorin: Rosalia Romaniecz

Redaktion: Manfred Götzke