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Letzter Gipfel im alten Stil?

Gerda Meuer 16. März 2002

Innovation, Liberalisierung, Arbeitsplätze - Der EU-Gipfel in Barcelona hat die wichtigen EU-Themen angepackt. Ein DW-Kommentar von Gerda Meuer, Barcelona.

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Das war ein ungewöhnlicher Gipfel der Europäischen Union. Keine Krise auf dem Balkan dominierte die Gespräche, keine Auseinandersetzung über das Verhältnis der Europäer zu den USA trübte die Stimmung und auch die Situation im Nahen Osten überschattete das EU-Spitzentreffen nicht. Natürlich gab es im Kreise der EU-Chefs Diskussionen über all diese Themen und man einigte sich auch auf eine neue Erklärung der Union zum Nahen Osten - aber es wäre absolut falsch zu behaupten, dass dieser Gipfel sich wie so oft in den letzten zwei Jahren wieder einmal mit außenpolitischen Ereignissen beschäftigt hätte.

Nein, dieser Gipfel, der Frühjahrs- und Wirtschaftsgipfel der EU, stellte die schlichte Frage: Was können die Europäer tun, damit sie das selbstgesteckte Ziel erreichen, im Jahr 2010 die wettbewerbsfähigste Region der Welt zu sein. Über diesen Anspruch hatten viele noch gelacht, als er vor zwei Jahren beim EU-Gipfel in Portugal formuliert wurde. Der sogenannte Lissabon-Prozess wurde als "Zehn-Jahres-Plan im Stile kommunistischer Planwirtschaft" abqualifiziert, gleichbedeutend mit: er wurde nicht ernstgenommen.

Doch die Europäer haben seitdem Druck gemacht. Sie wollen die Innovation, sie wollen mehr Flexibilität, sie wollen die Liberalisierung der Märkte und sie wollen mehr Arbeitsplätze. Und Motor dieser Bewegung sind in jüngster Zeit nicht Frankreich und Deutschland, die sich in diesem Jahr durch Wahlen selbst blockieren. Über alle Parteigrenzen hinweg treiben der britische Regierungschef Tony Blair, Spaniens konservativer Premier Jose Maria Aznar und auch Italiens Ministerpräsident Silvio Berlusconi, der sein Land wie ein Unternehmen führen möchte, die Europäische Union voran. Das oft so genannte "lahme Europa" soll an Dynamik und Wettbewerbsfähigkeit nicht mehr hinter den USA zurückstehen.

Und gegen alle Unkenrufe hat die EU in den letzten zwei Jahren Fortschritte gemacht. Die Erwerbsquote in Europa ist leicht angestiegen, im EU-Durchschnitt sank die Arbeitslosigkeit im letzten Jahr auf 7,7 Prozent. Die Europäer haben seit Lissabon erkannt, dass sie verstärkt in Informationstechnologie und Bildung investieren müssen, weil Wissen das Kapital der Zukunft ist. Strom- und Telekommunikationskosten sind gesunken - und als ein Ergebnis von Barcelona weiss man jetzt, dass auch die endgültige Liberalisierung der Energiemärkte kommen wird.

Zwar geht das alles nicht so schnell, wie mancher den endgültigen Aufschwung in Europa gerne hätte. Und das größte Problem stellten nach wie vor die Arbeitsmärkte der europäischen Wirtschaft dar. Doch auch in den Ländern der Reformer, wie Aznars Spanien und Berlusconis Italien, gibt es gewachsene strukturelle Probleme, die dem eifrigsten Modernisierer Schwierigkeiten machen. So gilt in Spanien noch heute das scharfe Kündigungsrecht aus Zeiten Francos - was dazu führt, dass ein Drittel aller Arbeitnehmer befristetete Arbeitsverträge haben, oft nur über wenige Wochen oder Monate. Und in Italien ist das Arbeitsrecht so rigide, dass die größte Schattenwirtschaft in der Ersten Welt entstanden ist. Erst wenn Aznar und Berlusconi sich hier an Reformen wagen, kommt auch Bewegung in die Arbeitsmärkte ihrer Länder.

Und vielleicht ist dieser Gipfel auch noch aus einem anderen Grunde ungewöhnlich. Das Treffen von Barcelona könnte der letzte Gipfel der Europäer im alten Stil sein. Die Staats- und Regierungschefs scheinen entschlossen, die EU-Spitzentreffen auf ihren ursprünglichen Sinn und Zweck zurückzuführen. Nach einem Arbeitspapier von EU-Chefdiplomat Javier Solana sollen künftige Beratungen der Chefs wieder effizienter werden, sollen nicht Aufgaben erledigt werden, die eigentlich die Fachminister im Vorfeld bewältigen müßten. Und auch Kanzler Schröder forderte in Barcelona mehrfach öffentlich, die EU-Gipfel wieder politisch zu machen, und sie beispielsweise nicht mit der Öffnung der Alpentunnel zu belästigen. Beim nächsten Treffen im spanischen Sevilla schon soll über die Pläne zur Gipfelreform entscheiden werden. Es bleibt zu hoffen, dass den höchsten Vertretern der EU bis dahin nicht der ungewöhnliche Mut verloren geht.