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Finanskandal

9. Oktober 2009

Der Libanon hat die internationale Finanzkrise ziemlich ungeschoren überstanden. Doch nun hat der Zedernstaat seinen eigenen Investmentskandal: Medien sprechen bereits vom "libanesischen Madoff".

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Moschee und Gemeindeverwaltung im Zentrum von Maaroub (Foto: DW)
Moschee und Gemeindeverwaltung in Maaroub - beides mit Geldern Ezzedins errichtetBild: DW

Ali Ajami sitzt in beigem Polohemd und Jeans mit zwei Freunden auf weißen Plastikstühlen in seiner Tankstelle in Toura, einem kleinen Dorf im Südlibanon. Die drei trinken Cola und debattieren die jüngsten Entwicklungen im Fall Salah Ezzedin. "Das ist ein Tsunami", stöhnt Ajami. Wenn jemand ein paar Millionen US-Dollar in den Sand setze, sei das eine Sache, sagt er. Aber wenn jemand die Existenz der Leute zerstöre, dann sei das unmenschlich. "Wenn er uns wirklich betrogen hat, dann sollte man ihn in Stücke schneiden!" Die beiden Freunde, die ebenfalls erkleckliche Summen verloren haben, nicken. Doch dass der schiitische Geschäftsmann seine Anleger absichtlich betrogen hat, das wollen sie einfach noch nicht glauben.

Toura und Maaroub (Foto: DW)
Die Hisbollah ist mit ihren Plakaten und Fahnen in den Dörfern Toura und Maaroub überall präsentBild: DW

Lokale Medien nennen ihn den "libanesischen Bernie Madoff" - in Anlehnung an den amerikanischen Betrüger, der seine Anleger mit einem Pyramidenschema um rund 65 Milliarden Dollar prellte. Salah Ezzedin, der den Ruf eines ehrlichen, mildtätigen und sehr religiösen Schiiten genießt, soll rund eine Milliarde Dollar in den Sand gesetzt haben. Unter seinen Kunden waren Geschäftsleute aus dem Libanon, Irak, Kuwait und Katar. Aber auch einfache Menschen aus südlibanesischen Dörfern, sowie der überwiegend von Schiiten bewohnten Dahiyeh südlich von Beirut, die teilweise ihre Existenzgrundlage verloren haben. Der Spekulant Ezzedin sitzt nun im Gefängnis und wartet auf seinen Prozess. Ihm wird Betrug vorgeworfen.

Investment auf Vertrauensbasis

Dabei begann alles ganz harmlos, erläutert Ajami: Er selbst habe 2006 angefangen, dem erfolgreichen Geschäftsmann kleinere Summen zu geben, die Ezzedin in Projekte in den Bereichen Öl, Gas, Metall, Gold und Diamanten im Ausland investierte. Die Rendite lag zunächst zwischen 20 und 40 Prozent, später stieg sie auf bis zu 60 Prozent an. Ezzedin, der Besitzer eines Verlagshauses für religiöse schiitische Schriften und eines Kinderfernsehkanals, habe immer pünktlich gezahlt. Ajami sagt, er habe rund 1,4 Millionen Dollar investiert. Darunter auch Geld, das ihm andere anvertraut hatten. "Ich bin zu ihm gegangen, weil wir ihm vertrauten. Warum? Weil wir wussten, wer hinter ihm stand." Dann präzisiert Ajami, Ezzedin habe vorgegeben, ein Hisbollah-Mann zu sein. "Wir wussten, dass kein Papier der Welt unser Geld garantieren konnte. Aber dieser Mann trug den Mantel der Hisbollah." Und das Vertrauen der Leute in die Schiitenpartei sei riesig. Man würde ihr die eigenen Kinder überlassen, so Ajami.

Blick auf Maaroub (Foto: DW)
Maaroub, der Heimatort Ezzedins: Hier vertrauten ihm die MenschenBild: Kaspar

Kritiker beschuldigen die Hisbollah, sie habe sich in dem mutmaßlichen Betrugsfall die Finger schmutzig gemacht und müsse nun Verantwortung übernehmen. Doch Hisbollah-Chef Nasrallah weist jede offizielle Verbindung zu Ezzedin zurück: Man habe mit der Angelegenheit nichts zu tun, sagt er, einige Medien versuchten lediglich, das Image der Schiitenpartei zu beschmutzen. Die Sache ist der Organisation, die als eine Art "Über-Mutter" der Schiiten im Libanon wirkt, dennoch unangenehm, sind doch die Opfer des Skandals überwiegend ihre Anhänger. Aber die sind nicht gegen die Hisbollah aufgebracht - noch verfluchen sie Ezzedin.

"Schlächter im eigenen Haus"

Hassan Fneish, der Besitzer einer kleinen Autoreparaturwerkstatt in Maaroub, dem südlibanesischen Heimatort Ezzedins, sagt, er verstehe nicht, wie das passieren konnte. "Vielleicht war es eine amerikanische oder israelische Verschwörung." Fneish beteuert, die Leute in Maaroub stünden nach wie vor zu dem Wohltäter Ezzedin, der so vielen in Notlagen geholfen habe. "Sie sind bereit Geld zu sammeln, um ihn aus dem Gefängnis zu holen." Auch in der 5000-Seelen-Gemeinde Maaroub haben viele ihre Ersparnisse verloren. Doch der Gemeindeveraltungschef Hussein Fneish ist überzeugt, die Dorfbewohner unterstützten sich jetzt gegenseitig: "Niemand wird Hunger leiden müssen", sagt er.

Ezzedins Villa (Foto: DW)
Hinter hohen Sicherheitszäunen liegt Salah Ezzedins Villa – heute verlassen und versiegelt,Bild: DW

Im Nachbardorf Toura ist die Stimmung nicht so nachsichtig. Dies sei schlimmer als der Juli-Krieg gegen Israel 2006, meint Ali Ajami: "Das Problem ist nicht nur materiell. Diesmal ist der Schlächter jemand aus meinem eigenen Haus, jemand, dem ich vertraut habe." Das Problem ist aber auch eines von Geldgier und Naivität, in einer Gesellschaft, in der es üblich ist, eher einer lokalen Vertrauensperson große Summen zu überlassen, statt eine Bank oder einen Broker zu konsultieren. Das letzte Projekt Ezzedins sei für viele unwiderstehlich gewesen, erklärt Ajami: Es ging um eine iranische Goldmine, die versprochene Rendite lag bei fast 80 Prozent. Viele Leute in Toura nahmen Hypotheken auf oder machten Schulden, um sich zu beteiligen. Jetzt stehen sie vor einem Scherbenhaufen. Im Augenblick schaue man auf die Justiz in Beirut, sagt der Tankstellenbesitzer. "Noch ist die Lage ruhig, aber wenn länger keine Lösung gefunden wird, dann könnte es hier einen Bürgerkrieg geben."

Autorin: Birgit Kaspar
Redaktion: Ina Rottscheidt