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Liberale genießen die Hängepartie

8. Mai 2010

Die Alleinherrschaft von Labour in London hat ein Ende. Wer mit wem regieren wird, ist noch völlig offen. Klar ist nur: Ohne die Liberalen geht in der nächsten Regierung in Großbritannien gar nichts.

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David Cameron (l.) und Nick Clegg (Foto: AP)
David Cameron (l.) und Nick Clegg: Bald Premier und Vize?Bild: AP

Für Festland-Europäer wäre ein Wahlergebnis wie das aktuelle britische angenehm eindeutig: zwei große Parteien, die eine – die konservativen Tories - liegt klar vorn, die andere – Labour - hat ein wenig verloren. Keine von ihnen hat eine absolute Mehrheit. Und dann gibt es nur noch eine kleine Partei – die Liberalen – die als Königsmacher dienen wird, indem sie mit einer der beiden großen koaliert.

In vielen europäischen Staaten mit ihren Fünf- oder Sechs-Parteien-Parlamenten, mit wackligen Dreier- oder Vierer-Koalitionen würde man sich über so viel Klarheit freuen. Doch in Großbritannien gilt dank Mehrheitswahlrecht seit Jahrzehnten das Prinzip: Entweder die Konservativen regieren allein, oder eben die Sozialdemokraten. Klappt das wie jetzt mal nicht, beklagt der Brite die "Hängepartie" – das "hung parliament".

David Cameron (Foto: AP)
Er hat die besten Chancen, Premier zu werden: David CameronBild: AP

Gibt es bald Verhältniswahlrecht?

Genau das wollen die Königsmacher von den Liberalen gerne zum Dauerzustand machen – und das Wahlrecht so ändern, dass kleine Parteien künftig besser im Parlament repräsentiert werden. Denn das bestehende System sei unfair und benachteilige die kleineren, moniert Liberalen-Chef Nick Clegg. Bei den ersten Sondierunsgesprächen mit den siegreichen Konservativen am Freitag (07.05.2010) soll das Thema Wahlrechtsreform eine Hauptrolle gespielt haben – genaues ist allerdings bisher noch nicht bekannt. "Wir hatten ein erstes Treffen, das ist alles, was im Moment zu sagen ist", sagte William Hague, der Quasi-Stellvertreter von Tory-Chef David Cameron vor Journalisten.

Dass die Konservativen den "Lib Dems" in dieser Frage entgegen kommen würden, hat Tory-Chef Cameron schon am Freitag deutlich gemacht. Er wolle den Liberaldemokraten "ein großes, umfassendes Angebot machen". Darin enthalten sei auch eine Reform des Wahlsystems, sagte Cameron und schlug einen parteienübergreifenden Ausschuss dazu vor. Zwar stimmten die beiden Parteien in vielen Punkten nicht überein, darunter in ihrer EU- und Immigrations-Politik. Jedoch sehe er auch "viele Gemeinsamkeiten" mit den "Lib Dems". Cameron ließ allerdings offen, ob er den Liberaldemokraten eine Koalition mit Ministerposten anbieten würde. Auch würde er versuchen, eine Minderheitsregierung mit anderen Parteien zu bilden, sagte Cameron.

Cameron hat beste Chancen

Für die Liberalen scheint eine Koalition mit den Konservativen eher in Frage zu kommen als eine Zusammenarbeit mit Labour – das deutete Liberalen-Chef Clegg am Freitag bereits an. Ein Sprecher der Liberaldemokraten sagte, bei dem gut einstündigen Sondierungs-Gespräch seien weitere Treffen vereinbart worden. Nach Beratungen in der Parteizentrale sagte der einflussreiche Liberaldemokrat Simon Hughes: "Die Dinge laufen richtig. Die Dinge laufen vorsichtig. Ich werde nicht spekulieren. Sie müssen einfach abwarten."

Gordon Brown vor Amtssitz (Foto: AP)
Die "Sun" nennt ihn schon Hausbesetzer: Noch-Premier Gordon BrownBild: AP

Dass die Liberalen zuerst mit den Wahlsiegern gesprochen haben, entspricht übrigens nicht den Regeln. Hat keine Partei eine absolute Mehrheit, hat der amtierende Premier das Vorrecht eine Regierung zu bilden. Premier Gordon Brown, dessen Labour-Partei eine herbe Schlappe erlitten hat, gab aber den guten Verlierer. Er verstehe, dass die Liberalen zunächst mit den Konservativen verhandeln würden. Bis eine neue Regierung gebildet ist, darf Brown nach britischem Recht noch im Amt bleiben.

Browns Zeit scheint abgelaufen

Auch Brown stellte den Liberalen sogleich Gespräche und eine Reform des Wahlrechts in Aussicht. Doch die Zeit des glücklosen Premiers scheint abgelaufen. Selbst wenn die Liberalen sich für ein Bündnis mit Labour entscheiden sollten: Einen Regierungschef Brown dürften sie kaum akzeptieren – das haben sie schon vor der Wahl angedeutet.

Autor: Manfred Götzke (dpa, afp, rtr)

Redaktion: Oliver Samson