1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Libyen, der IS und das Streben nach politischer Einheit

Kersten Knipp17. August 2016

Libysche Milizen haben ein Quartier der von der Dschihad-Organisation "Islamischer Staat" gehaltenen Hafenstadt Sirte zurückerobert. Doch die Sicherheitslage im Land ist weiterhin fragil. Gefragt ist nun die Politik.

https://p.dw.com/p/1IpGF
Libyen Angriff libyscher Streitkräfte auf IS in Sirte (Foto: Reuters/G. Tomasevic)
Bild: Reuters/G. Tomasevic

Untersützt von den USA, haben libysche Milizen den so genannen "Bezirk 2" der Hafenstadt Sirte von Dschihadisten der Terrororganisation "Islamischer Staat" (IS) zurückerobert.

Bereits in der vergangenen Woche hatten die regierungstreuen Einheiten das IS-Hauptquartier in der Stadt eingenommen. Die Dschihadisten halten aber weiterhin Gebiete der Innenstadt Sirtes. Zudem erschweren IS-Scharfschützen den weiteren Vormarsch. Außerdem ist es schwierig, Wohnviertel zurückzuerobern, weil in dem dicht bebauten Gelände Sprengfallen lauern.

Regierungstreue Milizen hatten im Mai eine Offensive gegen die IS-Milizen gestartet, nachdem das Einflussgebiet der Dschihadisten in Zentrallibyen auf etwa 300 Kilometer angewachsen war. Innerhalb weniger Wochen rückten Truppen von allen Seiten auf das Zentrum Sirtes vor, in dem die restlichen Extremisten - nach letzten US-Schätzungen etwa 1000 - nun eingekesselt sind.

"Das Versäumnis war 2011"

Der liybsche Premier Fajis al-Sarradsch in Wien (Foto: picture-alliance/dpa)
"Libyer müssen in sich gehen": Premierminister Fajis al-SarradschBild: picture-alliance/dpa

Derweil erholt sich das Land von seiner seit Jahren anhaltenden politischen Krise. Premierminister Fajis al-Sarradsch setzt weiter auf internationale Hilfe, nimmt aber auch seine Landsleute in die Pflicht. In einem Beitrag in der britischen Tageszeitung Daily Telegraph hattwe er sie aufgefordert, in sich zu gehen. "Als Libyer müssen wir einen strengen Blick auf uns selbst werfen und unser Verhalten reformieren. Anstatt sich als verantwortliche Staatsmänner zu präsentierten, hätten die Libyer endlos gestritten. Darüber sei der Staat implodiert. Davon hätte auch die Terrororganisation "Islamischer Staat" profitiert. Allerdings: "Der IS ist nicht unser größter Feind. Unser größter Feind ist die nationale Spaltung."

Die Fehler sind erkannt, und zwar auf beiden Seiten. "Das Versäumnis war 2011", erklärte der UN-Beauftragte Martin Kobler gegenüber dem Deutschlandfunk. "Die internationale Gemeinschaft hat sich zu einer Militäraktion entschlossen, ohne den zweiten Schritt mitzudenken. Ich glaube, das war ein Fehler. Wenn man interveniert, dann darf man das Land hinterher nicht alleine lassen und sagen, macht eure Revolution selber. Insofern sind wir gerade dabei, das zu reparieren."

Doch die von al-Sarradsch geführte Regierung ist militärisch so schwach, dass sie auf den Beistand ihr gewogener Milizen angewiesen ist. Diese schützen den Regierungssitz, der aus Sicherheitsgründen einige Kilometer außerhalb der Hauptstadt Tripolis gelegen ist. Auch die Rückeroberung von Teilen Sirtes konnte sie nicht aus eigener Kraft leisten.

Abkommen auf tönernen Füßen

Libyen Kämpfer GNC gegen IS Foto: AFP PHOTO / MAHMUD TURKIA
Libysche Milizen kämpfen gegen den ISBild: Getty Images/AFP/M.Turkia

Die militärische Schwäche spiegelt die politische. Das Abkommen, auf das die Einheitsregierung sich stütze, sei brüchig, und ihre Handlungsfähigkeit stark eingeschränkt, schreibt der Libyen-Experte Wolfram Lacher von der Berliner Stiftung Wissenschaft und Politik. Die Einheitsregierung verfüge über keine staatlichen Sicherheitskräfte und müsse zunächst die Kontrolle über einen gespaltenen, halb kollabierten Staatsapparat gewinnen. "So sie nicht von internen Rivalitäten auseinandergerissen wird, wird sie ihre ganze Kraft dafür brauchen, ihre politischen und militärischen Gegner abzuwehren und den wirtschaftlichen Kollaps des Landes abzuwenden."

Umso bedeutender sind die jüngsten Erfolge im Kampf gegen den IS. Der hatte die unterworfenen Gebiete mit brutaler Gewalt regiert. "Der IS führt furchtbare Strafaktionen gegen alle durch, die es wagen, sich ihm entgegenzustellen", berichtet das Internet-Magazin Al-Monitor. "Er hat Tausende Menschen zur Flucht getrieben und zur Entstehung einer halben Millionen Binnenflüchtlinge und einer Millionen Migranten beigetragen."

Flüchtlinge in einem Versteck an der libyschen Küste, 17.4.2016 (Foto: Reuters/H. Amara)
Flüchtlinge in einem Versteck an der libyschen KüsteBild: Reuters/H. Amara

"Wir reden mit allen, außer mit Terroristen"

Entsprechend hart will die internationale Gemeinschaft gegen den IS vorgehen. Der IS könne nur militärisch bekämpft werden, erklärte Martin Kobler. "Wir reden mit allen Gruppen, islamistischen Milizen, überhaupt mit allen Gruppen, mit Ausnahme des Islamischen Staates, Al-Kaida und anderen Terrororganisationen. Die Ausdehnung auf die Ölfelder läuft, da ist noch zurückgeschlagen worden durch die Schutztruppen, die an den Ölfeldern sind, aber wer weiß, wie lange das hält."

Die Libyer wüssten, dass für Europa Migration und Menschenschmuggel zentrale Problem seien, schrieb Premier Al-Sarradsch in seinem Beitrag für den Daily Telegraph. An seiner Lösung werde seine Regierung entschlossen arbeiten, schrieb er. "Aber der beste Weg, um Schlepper aus dem Geschäft zu drängen, ist der, dass Libyen stabil und sicher ist und sich mithilfe ökonomischer Reformen wieder erholt." Das sei die einzig denkbare langfristige Lösung. "Ausländische Truppen und Schiffe sind nicht die richtige Antwort." Libyen, deutete der Präsident an, braucht vor allem eines: Hilfe zur Selbsthilfe.