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Hilferuf aus Libyen

Andreas Gorzewski15. August 2014

Das libysche Parlament fordert die UNO auf, sich um die Sicherheit der Zivilbevölkerung in dem Krisenland zu kümmern. Allerdings sind die Handlungsoptionen des Auslands begrenzt.

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Bewaffnete bei der Beerdigung des ermordeten Polizeichefs von Tripolis am 12.08.14 (Foto: EPA)
Bild: picture-alliance/dpa

Der Appell kam aus dem libyschen Tobruk, etwa tausend Kilometer östlich der Hauptstadt Tripolis. Die Vereinten Nationen sollen angesichts der eskalierenden Kämpfe eingreifen, um Bürger und Institutionen in dem nordafrikanischen Krisenstaat zu schützen, forderten die libyschen Parlamentsabgeordneten in der abgelegenen Küstenstadt. Dorthin hat sich das neu gewählte Parlament vor den andauernden Schießereien aus der Hauptstadt zurückgezogen. Wie genau diese Hilfe aussehen soll, ließen die Volksvertreter am Mittwoch zunächst offen. In Tripolis und andernorts gehen derweil die heftigen Feuergefechte weiter. Die meisten Botschaften und die UN-Hilfsmission für Libyen (UNSMIL) haben in dem Chaos längst ihr Personal abgezogen.

Nach Einschätzung des Libyen-Analysten Wolfgang Pusztai belegt der Parlamentsbeschluss das Scheitern der Gruppen, die im Abgeordnetenhaus mitwirken. "Das ist das Eingeständnis dieser demokratisch orientierten Gruppe, dass man politisch am Ende ist", sagt der frühere österreichische Verteidigungsattaché in Libyen im DW-Gespräch.

Libysche Armeesoldaten sichern am 25. Juni 2014 eine Wahllokal bei der Parlamentswahl (Foto: Reuters)
Nur wenige Libyer waren im Juni in die schwer bewachten Wahllokale gegangenBild: Reuters

Er betont jedoch, dass das Parlament nicht repräsentativ für die ganze Bevölkerung sei. "Die Wahlbeteiligung war extrem gering", erläutert Pusztai. Außerdem sei in einigen Gegenden gar keine Abstimmung möglich gewesen. "Es sind vor allem die Leute zur Wahl gegangen, die an Demokratie interessiert sind." Viele Anhänger der islamistischen Muslimbrüder blieben ihm zufolge dem Urnengang fern.

UN-Resolution 1973 betont Schutzverantwortung

Mattia Toaldo von der Denkfabrik Europa Council on Foreign Relations (ECFR) sieht den Parlamentsbeschluss in zwei Zusammenhängen. Auf der rechtlichen Ebene erinnerten die Abgeordneten die Vereinten Nationen mit dem Beschluss, der formal den Charakter eines Gesetzes habe, an die Resolution 1973 des UN-Sicherheitsrates. Die weiterhin gültige Resolution rufe die internationale Gemeinschaft zum Schutz der libyschen Zivilbevölkerung auf. "Auf der politischen Ebene richtet sich die libysche Forderung an die ausländischen Mächte, etwas zu tun, denn Libyen wurde wegen anderer Krisen vernachlässigt", erklärt Toaldo.

Im Schatten der Konflikte in der Ukraine, Syrien, dem Gazastreifen und dem Irak wurden auch die Gefechte zwischen den rivalisierenden Milizen in Libyen heftiger. Dabei schießen je nach Region unterschiedliche Gruppen aufeinander. Sie vertreten regionale, religiöse oder politische Interessen. Allein bei den jüngsten Kämpfen starben insgesamt mehr als zweihundert Menschen. In Tripolis wurden am Mittwoch fünf Menschen durch Raketenbeschuss getötet. Auf einen Kampf zwischen Islamisten und säkularen Kräften lässt sich der Konflikt laut Pusztai nicht reduzieren. Allerdings hätten islamistische Kräfte in der Region von Misrata eine Hochburg, während die Stadt Sintan eine Art Sammelbecken für ihre Gegner geworden sei.

Kämpfer des Schura-Rats von Bengasi, zu dem auch die islamistischen Ansar al-Scharia gehören, winken im Juli 2014 von einem Panzer (Foto: Reuters)
Ein Teil der Milizen gehört zu islamistischen BewegungenBild: Reuters

Zahlungsstopp gegen Milizen schwer durchsetzbar

Das Parlament will die Macht der vielen Milizen brechen. Ein großer Teil der Kämpfer gehört laut Toaldo formal zu den offiziellen Sicherheitskräften. "Das ist eine Ironie der Konfrontation in Libyen, dass die Kämpfenden auf beiden Seiten in den meisten Fällen ein Gehalt vom Staat erhalten", erklärt der Politikwissenschaftler. Das Parlament wolle nun die Zahlungen an einige der Kampfverbände stoppen. Ob die Abgeordneten das durchsetzen könnten, sei jedoch fraglich. Außerdem sei es möglich, dass ein Zahlungsstopp einige Milizen zu noch mehr Gewalt anstachele.

Für die internationale Staatengemeinschaft zeigt Pusztai vier Handlungsoptionen auf. Erstens könne sie weiter machen wie bisher. Sie würde Verhandlungen und andere Möglichkeiten der Konfliktlösung unterstützen. Dabei sollten auch Staaten wie Katar oder die Türkei stärker eingebunden werden. "Ich glaube aber nicht, dass man hier noch einen großen Erfolg erzielen wird", prophezeit Pusztai. Eine zweite Möglichkeit wäre, den Konflikt so weit wie möglich einzudämmen. Dazu würden die Grenzen abgeriegelt. Humanitäre Hilfe könnte geleistet werden, aber im Wesentlichen würde sich das Ausland heraushalten. "Das würde aber bedeuten, dass die internationale Gemeinschaft eingesteht, dass Libyen ein Fehlschlag war", sagt der frühere Verteidigungsattaché.

Als dritte Option bezeichnet Pusztai einen Ansatz, von Tripolis ausgehend einen stufenweisen Staatsaufbau voranzutreiben. Das sei derzeit jedoch nicht machbar, da auch die Hauptstadt dafür zu unsicher sei. Die letzte Variante wäre eine begrenzte internationale Friedensmission. Das entspricht nach Einschätzung von Pusztai ungefähr dem Wunsch des libyschen Parlaments. Ziel sei, dass sich eine Regierung in Tripolis etablieren und ihre Autorität dann ohne fremde Hilfe auf andere Landesteile ausdehnen könne.

Zerstörte Maschinen am Flugplatz von Tripolis im Juli 2014 (Foto: EPA)
Bei den Gefechten wurde auch der Flughafen in Tripolis schwer beschädigtBild: picture-alliance/dpa

Die Chancen für eine ausländische Intervention im dem ölreichen Land stehen Toaldo zufolge jedoch schlecht. "Ich sehe keine Neigung in den großen Staaten, so etwas zu machen", sagt der ECFR-Fachmann. Allenfalls Italien und Ägypten hätten andeutet, zu einem stärkeren Engagement bereit zu sein, ohne dies jedoch näher zu definieren. Selbst wenn eine Friedenstruppe zustande käme, wäre ihr Einsatzort unklar. "Es gibt in Libyen nicht nur eine Frontlinie, sondern 20", beschreibt er die verworrene Lage. Außerdem fehle ein breiter Konsens der Libyer für eine Intervention. Viele Milizen seien nicht an einer Feuerpause interessiert.