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Afghanistaneinsatz

Heiner Kiesel17. Mai 2012

Die Bundeswehr ist mit hohen Erwartungen nach Afghanistan geschickt worden. Kampf gegen Terror und Demokratieaufbau sollten geleistet werden. Nun ziehen viele Deutsche eine gemischte Bilanz.

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Bundeswehrsoldaten auf Patrouille in Afghanistan (Foto: Maurizio Gambarini)
Bild: picture-alliance/dpa

"Nichts ist gut in Afghanistan", hatte Anfang 2010 Margot Käßmann, damals noch die Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) gepredigt und damit der Abneigung vieler Deutscher gegen den Militäreinsatz der NATO fernab vom Bündnisgebiet Ausdruck gegeben. Diese Haltung ist seither noch gewachsen. Der Einsatz wird in Analysen und Kommentaren überwiegend als Misserfolg beschrieben. Jeder neue spektakuläre Anschlag der Taliban, wie zuletzt Mitte April die Gefechte mitten in Kabul, liefert den Medien neue Argumente für eine Bilanz des Scheiterns.

Seit mehr als elf Jahren engagiert sich die NATO in Afghanistan. Im Rahmen des ISAF-Einsatzes sind derzeit rund 4800 Bundeswehrsoldaten damit beschäftigt für Sicherheit und Stabilität zu sorgen - insgesamt sind noch 130.000 Soldaten des Militärbündnisses am Hindukusch stationiert. Es wäre verwegen, zu sagen, dass sie nichts bewirkt hätten. ”Ein Drittel der über acht Millionen Schüler und Schülerinnen sind Mädchen”, betont Außenminister Guido Westerwelle, als er Ende 2011 den Fortschrittsbericht der Bundesregierung zu Afghanistan vorstellt und verweist auf die verbesserte Gesundheits- und Wasserversorgung des Landes sowie die Fortschritte beim Aufbau der einheimischen Sicherheitskräfte. "Wir brauchen eine ehrliche Lagebeurteilung, ohne etwas schön zu reden, aber auch ohne die Fortschritte zu übersehen", fordert Westerwelle.

Kampf gegen den Terrorismus

Keine Frage, auch beim Aufbau von demokratischen Strukturen ist einiges erreicht worden. "Die afghanische Verfassung hat Fortschritte bei der Verankerung der Bürgerrechte gebracht", sagt der Leiter der Asienabteilung der Friedrich-Ebert-Stiftung, Jürgen Stetten, "und es zeigt sich auch, dass der überwiegende Teil der Bevölkerung diese Ziele teilt." Die Taliban wünsche sich in Afghanistan höchstens eine Minderheit zurück.

Bei einer differenzierten Betrachtung der aktuellen Zustände in Afghanistan ergibt sich für viele deutsche Politiker zwangsläufig eine Lagebeschreibung des "sowohl als auch". Rainer Arnold, der verteidigungspolitische Sprecher der größten Oppositionspartei im Bundestag, der Sozialdemokraten, bringt das in ein anschauliches Bild: "In dem einen Tal gibt es positive Entwicklungen, im Nachbartal Rückschläge!" Seine Partei war an der Regierung, als der Einsatz begann. Damals, nach den Anschlägen vom 11. September 2001, als Deutschland den USA seine Solidarität und Bündnistreue demonstrieren wollte. Zuerst ging es vor allem um die Bekämpfung des islamistischen Terrorismus und seiner Basen in Afghanistan. Deutschlands Freiheit werde auch am Hindukusch verteidigt, sagte 2002 Peter Struck, der damalige SPD-Verteidigungsminister. Hier sieht Arnold eindeutig einen Erfolg. "Das eigentliche Ziel, dass Afghanistan kein Rückzugsraum mehr für internationale Terroristen wird - dieses Ziel ist erreicht."

Kostspielige Erfolge

Nach Berechnungen des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung wird Deutschland bis 2014 insgesamt 22 Milliarden Euro für den Einsatz ausgegeben haben, die USA lassen sich den Einsatz allein dieses Jahr mehr als 80 Milliarden Euro kosten. "Sicher hat sich etwas in Afghanistan getan", gesteht auch Paul Schäfer zu, Verteidigungsexperte der Partei Die Linke, "aber das steht in keinem Verhältnis zum Aufwand." Die Bevölkerung in Afghanistan sei frustriert darüber, dass die vielen Milliarden an Hilfsgeldern in den Taschen einer korrupten Machtelite verschwänden, die gleichzeitig von den internationalen Truppen an der Macht gehalten werde.

Auch in Bezug auf die Terrorbekämpfung ist Schäfer nicht zufrieden und warnt: "Die Terroristen sind in anderen Ländern untergeschlüpft." Es ist nicht nur das Geld, das ihn ärgert. In den Jahren des Afghanistaneinsatzes musste sich die deutsche Bevölkerung daran gewöhnen, dass Bundeswehrsoldaten getötet, verletzt oder schwer traumatisiert werden. Der Einsatz habe auch die deutsche Gesellschaft verändert, so Schäfer.

Das Erreichte und das Erhoffte

Die Beurteilung des Militärengagements in Afghanistan hängt stark von der Perspektive ab. Wird der jetzige Zustand mit der Situation vor der Intervention 2001 verglichen, ergibt sich fast zwangsläufig ein positives Bild. Unter den Taliban wurden Frauen weggesperrt und hatten keine Chance auf Bildung. Menschen- und Bürgerrechte hatten keinen Platz unter den Mullahs und die Infrastruktur im Lande war katastrophal. Misst man das Erreichte allerdings an den Hoffnungen und Versprechungen, mit denen die Soldaten, Ausbilder und Entwicklungshelfer in den Einsatz geschickt wurden, bleiben die Ergebnisse für viele Deutsche weit hinter den Erwartungen zurück.

Nation-Building sollte betrieben und in Afghanistan ein Staatswesen errichtet werden, das westlichen Standards entspricht. Inzwischen hat man das Ziel bis 2014 darauf reduziert, dass die Afghanen in die Lage versetzt werden sollen, selbst für die Sicherheit und Stabilität ihres Landes sorgen zu können. Die am Einsatz beteiligten Staaten mussten lernen, dass sich Demokratie nicht so einfach exportieren lässt. "Das ist letztlich ein Prozess, der Jahrzehnte, wenn nicht sogar Jahrhunderte dauert", resümiert Jürgen Stetten. "Wir kennen das aus unserer eigenen, deutschen Geschichte, dass das nicht etwas ist, dass man in wenigen Jahren erlernen kann, sondern dass das wachsen und sich entwickeln muss." In Deutschland fragen sich derzeit viele, ob Afghanistan die Zeit für diese Entwicklung überhaupt hat. Die Diskussion unter den Bündnispartnern über einen vorgezogenen Abzug der ISAF-Truppen hat diese Zweifel eher noch verstärkt.

Jürgen Stetten von der Friedrich Ebert Stiftung (Foto: Friedrich Ebert Stiftung) Eingestellt am 27.3.2012 Rechte: Friedrich Ebert Stiftung
Asien-Experte Jürgen Stetten sieht positive Ansätze in AfghanistanBild: Friedrich Ebert Stiftung
Paul Schäfer, verteidigungspolitischer Sprecher der Bundestagsfraktion der Linken (Foto: Heiner Kiesel)
Grundsätzlich gegen den Einsatz: Paul Schäfer von 'Die Linke'Bild: DW